Der Personalmangel ist auch in der Tiermedizin ein großes Problem. Darunter leiden nicht nur Haustiere – in Nutztierställen und Schlachthöfen kommt es ebenfalls zu Missständen.
Wie überall werden mittlerweile auch im öffentlichen Dienst händeringend Tierärzte gesucht – und die Situation spitzt sich immer weiter zu. In einer Pressemitteilung des Bundesverbands beamteter Tierärzte (BbT) weist die Vereinigung darauf hin, dass der Personalmangel das Tierwohl in Schlachtbetrieben und der regionalen Lebensmittelproduktion akut gefährde. Der Präsident des Bundesverbands sieht die Gründe in „immer längeren, nicht vergüteten Anfahrtszeiten“ und einer Vergütung, die „bei Schlachtungen mit geringen Stückzahlen rasch weit unter dem Niveau des Mindestlohns“ liege. Aber sind das die einzigen Faktoren für das Imageproblem des Arbeitsbereiches?
Sie arbeiten für den normalen Bürger im Alltag kaum sichtbar und im Hintergrund: Amtliche Tierärzte befassen sich mit Aufgaben des öffentlichen Veterinärwesens (Tierschutz und Bekämpfung von Tierseuchen), der Überwachung von Lebensmitteln (u. a. Schlachttier- und Fleischuntersuchung) und Verbraucherschutz (u. a. Überwachung von Kosmetika und Bedarfsgegenständen). Dabei müssen sie sich mit den steigenden Anforderungen einer modernen Gesellschaft an Nahrungs- und Genussmittel auseinandersetzen, die Landwirtschaft auf dem immer wichtigeren Gebiet der Tierseuchenbekämpfung unterstützen und im Bereich Tierschutz den ethischen Anforderungen unserer Zeit und den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Ihre Tätigkeitsbereiche unterliegen dabei nicht nur strengen nationalen Regelungen, sondern auch EU-Bestimmungen.
Früher waren diese Jobs sehr begehrt und freie Stellen rar. Bewerber mussten mindestens einige Jahre Erfahrung in der Großtierpraxis und einen Doktortitel mitbringen. Diese Ansprüche werden langsam aufgeweicht, auch wenn die praktische Arbeitserfahrung immer noch essenziell ist. Aber oft dauert es, bis freie Stellen besetzt werden.
Um als Tierarzt im Veterinäramt arbeiten zu können, muss man also bestimmte Voraussetzungen erfüllen – diese sind aber in jedem Bundesland anders. Das macht es unübersichtlich, auch für Bewerber. Manche Bundesländer, wie Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz, haben keine eigenenAusbildungs- und Prüfungsvorschriften. In anderen Bundesländern benötigt man als approbierter Veterinär für einen Job im höheren amtstierärztlichen Dienst eine sogenannte Laufbahnbefähigung. Doch der Weg dahin ist, wie gesagt, in jedem Bundesland anders (eine Übersicht findet ihr hier). Für die Laufbahnbefähigung müssen über 1–2 Jahre Lehrgänge, Seminare, und Prüfungen absolviert und eine bestimmte Anzahl praktischer Stunden in bestimmten Bereichen geleistet werden. Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern bieten hierfür ein Referendariat an.
Ein passender Fachtierarzt, zum Beispiel für öffentliches Veterinärwesen, Tierschutz, Epidemiologie, Mikrobiologie oder Lebensmittelkunde, verbessert außerdem die Chancen, eine Stelle im Amt zu bekommen.
Das Ganze ist aufwändig für Interessenten. Freie Stellen sind zuhauf in den gängigen Portalen zu finden und bleiben oft lange ausgeschrieben. Neben dem zeitlichen und fachlichen Aufwand liegt das aber noch an einem anderen Faktor: Als Amtstierarzt ist man nicht gerade beliebt – weder bei Betrieben, noch bei privaten Tierhaltern, die man auf Verstöße gegen geltendes Recht kontrolliert. „Dass du in Ausübung deiner Tätigkeit bedroht wirst, ist eher Standard“, berichtet Tim Bogs in einem Interview.
Angeschrien oder beschimpft, mit Wasser bespritzt oder mit einem Messer bedroht werden – das alles gehöre zur Tagesordnung. Auch habe er schon mal eine Hand am Hals gehabt, sagt der Amtstierarzt. „Da muss man mehr oder weniger drüberstehen.“ Bei der Aufarbeitung solcher Vorfälle seien die Kollegen besonders wichtig, doch da muss man es mit dem Arbeitsumfeld natürlich gut treffen. Fast jeder Tiermedizinstudent hört in seinem Praktikum beim Amt ähnlich bedrohliche Geschichten von den erfahrenen Veterinären. Das macht den Beruf nicht gerade attraktiv. Ein Job also, für den man psychisch stabil sein sollte. Dass so mancher diesen Anforderungen nicht gewachsen ist, zeigte jüngst ein Vorfall aus Ulm, bei dem ein Tierarzt seinen Kollegen im Schlachthof mit einem Messer angriff.
Auch die vom Bbt befürchtete Gefährdung des Tierwohls ist an vielen Orten in Deutschland schon alltäglich geworden, sei es durch Personalmangel oder Druck, der von der Politik auf Tierärzte ausgeübt wird. „Der Anspruch an das Veterinäramt, besonders in Sachen Tierschutz, wird immer extremer und ist zum Teil mit der gleichen Besetzung wie vor zwanzig Jahren zu bewerkstelligen“, so Bogs. Auch der Bbt schreibt: „Die steigenden Anforderungen durch die EU-Rechtsetzung erhöhen den stetigen Druck auf Tierärzte im Veterinäramt.“
Auch bei der Weiterbildung hapert es. In einem Antrag, der vom Bbt beim Deutschen Tierärztetag 2022 eingereicht wurde, schreiben die Veterinäre: „Selbst wenn Kolleginnen und Kollegen die Anforderungen zur Laufbahnbefähigung der einzelnen Bundesländer erfüllen, gibt es oft keine Möglichkeit für sie, diese auch zu erwerben. Aktuell sind die Staatskurse bis 2025 ausgebucht. Schaut man nun noch auf den demographischen Wandel, sieht man, dass der Bedarf in den nächsten Jahren noch deutlich weiter steigen wird. Die nächste Generation von Amtstierärzten fordert ihre Chance auf gute Ausbildung.“
Bekommen Amtstierärzte zumindest in Zukunft in einigen Bereichen Unterstützung von der Politik? Vielleicht. Grünen-Politikerin Miriam Staudte forderte jüngst ein effektiveres Kontrollsystem für landwirtschaftliche Betriebe in Sachen Tierschutz. Die niedersächsische Landwirtschaftsministerin erklärte zum Jahresanfang: „Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder die Situation gehabt, dass Tierschutzverstöße von anderen Akteuren aufgedeckt worden sind und nicht von den Stellen, die dafür originär zuständig sind.“ Zuletzt kam es immer wieder zu Berichten über Mängel in Nutztierställen und Schlachthöfen, die aber durch Videoaufnahmen von Tierschutzorganisationen ans Licht kamen – und nicht, wie vorgesehen, durch Kontrollen der zuständigen staatlichen Stellen. Ob die Kreisveterinärämter aber in Zukunft wirklich mehr Personal für Kontrollen bekommen, steht noch in den Sternen.
Fraglich ist auch, ob das Personal überlastet ist, oder die Strukturen und Abhängigkeiten verändert werden müssen. Erst kürzlich berichtete das ARD-Politikmagazin Report Mainz über Verstöße in einem Schlachthof in Baden-Württemberg. In diesem Fall war zwar ein Amtstierarzt vor Ort, er ignorierte aber die Gesetzesverstöße und verhielt sich sogar selber falsch gegenüber den Tieren. „Was häufig problematisch ist: Bei Schlachthöfen stehen sehr massive wirtschaftliche Interessen dahinter, wenn wir von irgendwelchen Großkonzernen sprechen, die dann ihrerseits Einfluss auf die Politik nehmen“, sagt Bogs. „Auf der anderen Seite haben wir durch diese Großkonzerne aufgrund des Wettbewerbs viele kleine Schlachthöfe verloren, sodass die Politik mit allen Mitteln versucht, die Schlachthöfe weiterhin zu erhalten – auch wenn es dort manchmal zu massiven Rechtsbrüchen kommt.“
Manchmal seien auch veraltete bauliche Voraussetzungen oder die fehlende Technik auf kleineren Schlachthöfen schuld. „Es gibt an vielen kleineren regionalen Betrieben Probleme. Die Schlachtzahlen sind oft im Vergleich zu den großen Betrieben zu gering. Das lässt Investitionen auf den neuesten Stand oft gar nicht zu.“
Amtstierärzte sind hier also oft in der Zwickmühle – das trägt zur psychischen Belastung bei. Was früher als bequemer Schreibtisch-Job galt, ist heute keine Arbeit für jeden. Doch in Bogs Augen überwiegen die Vorteile: „Man kann aus seinem Job eine 9-to-5-Tätigkeit machen. Es gibt aber genauso Tätigkeiten, bei denen du zu ungewöhnlichen Zeiten in den Dienst nach draußen musst, bei Schlachthofkontrollen oder Anzeigen, die du am Wochenende nachverfolgen möchtest. Man kann es sich bequem machen, aber es gibt auch zu ungewöhnlichen Zeiten was zu tun. Der Job ist [aber] auf alle Fälle planbarer als die meisten Praxisjobs.“
Wo die psychosozialen Belastungen in den verschiedenen Fachgebieten der Veterinärmedizin liegen, wird momentan in einer Studie der Freien Universität (FU) Berlin abgefragt. Auch Amtstierärzte sind ausdrücklich eingeladen, an der Onlinebefragung teilzunehmen. Ziel sei es, den Beruf in der Zukunft so zu gestalten, dass er – vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels – attraktiver wird, schreiben die Autoren. Ob das auch dazu beitragen wird, dass die Politik endlich entsprechende Schritte geht, bleibt abzuwarten.
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