Die Eltern eines 4-jährigen Jungen bringen ihren Sohn im Hochsommer ins Krankenhaus. Das eigentlich lebhafte Kind ist seit 4 Wochen sehr schwach und müde und hat zudem an Gewicht verloren. Doch die Laborwerte sind merkwürdigerweise zunächst unauffällig. Es beginnt eine umfangreiche Ursachensuche.
Mitten im Sommer bringen die Eltern eines 4-jährigen Jungen ihren Sohn ins Krankenhaus. Er hat in den letzten 4 Wochen etwa 2 kg Gewicht verloren, schwitzt vermehrt und leidet zusätzlich an Schwäche und Müdigkeit. In der Notaufnahme sind außerdem ein erhöhter Blutdruck bei 114/104 mmHg und eine Tachykardie > 150 bpm auffällig. Die Eltern berichten außerdem, ihr Sohn würde immer wieder über unspezifische epigastrische Bauchschmerzen sowie Gelenkschmerzen in den Knöcheln klagen. Letzteres gehe sogar so weit, dass er immer wieder vor Schmerzen von den Eltern getragen werden möchte statt zu gehen. Den Eltern zufolge war ihr Sohn immer ein lebhaftes und fröhliches Kind, doch nun wirkt er schüchtern und zurückhaltend.
Besonders alarmierend finden die behandelnden Ärzte die arterielle Hypertonie und den Gewichtsverlust des Jungen. Doch merkwürdigerweise sind die Blutuntersuchungen im Wesentlichen – bis auf einen erhöhten Aldosteronwert – unauffällig. Die Ärzte verschreiben dem 4-jährigen 3,75 mg Amlodipin pro Tag zur Kontrolle seines Blutdrucks und entlassen ihn wieder. Doch der Blutdruck bleibt trotz der Medikamente erhöht und auch die übrigen Symptome bessern sich kaum, sodass einige Zeit später weitere diagnostische Tests folgen.
Könnte vielleicht ein neoplastisches Geschehen zugrundeliegen? Eine Röntgenaufnahme des Brustkorbes sowie eine Ganzkörper-Magnetresonanztomographie ergeben keinerlei Hinweis auf einen Tumor. Doch etwas anderes kommt den Ärzten auffällig vor: Sie entdecken unspezifisch vergrößerte Lymphknoten in der Achselhöhle und unter der Halsschlagader. Allerdings sind sämtliche Laboruntersuchungen und auch mikrobiologische Tests weiterhin unauffällig. Aufgrund der anhaltenden Hypertonie und Tachykardie ergänzen die Ärzte die Medikation um 3,75 mg Propranolol dreimal täglich.
Doch einem der Ärzte lässt dieser merkwürdige Fall keine Ruhe - Hypertonie und Tachykardie bei einem 4-Jährigen? Er erinnert sich an einen ähnlichen Fall vor Jahren. Damals hieß des Rätsels Lösung: Quecksilber. Und ein Symptom einer Quecksilberintoxikation? Arterielle Hypertonie. Daraufhin lassen die Ärzte das Blut des Jungen umgehend auf Quecksilber testen - und tatsächlich: Die Werte sind bei 37 µg/l extrem erhöht. Auch im Urin lassen sich erheblichen Mengen Quecksilber nachweisen. Doch wie lassen sich diese Werte erklären?
Die Familie wird ausführlich zu Veränderungen beispielsweise bei Hausmitteln befragt, und tatsächlich gibt die Mutter an, seit Kurzem eine neue Gesichtscreme aus dem Kosovo zu nutzen, die sie online gekauft habe. Die Ärzte lassen diese Creme genauer unter die Lupe nehmen, wobei sich herausstellt, dass diese einen Quecksilbergehalt von ~18 % aufweist. Was nichts ungewöhnliches für eine Hautaufhellungscreme ist, wurde hier jedoch fatal, denn die Creme wurde als ein Mittel zur Verbesserung des Hautbildes beworben.
Tatsächlich können die Ärzte auch im Blut der Mutter sowie des 9-jährigen Bruders erhöhte Quecksilberwerte nachweisen. Diese haben jedoch keine klinischen Anzeichen einer Quecksilbervergiftung. Um andere Expositionsquellen auszuschließen, wird nun auch die Wohnung der Familie gründlich untersucht. Doch erhöhte Quecksilberwerte ergeben sich hierbei nicht.
Den 4-Jährigen behandeln die Ärzte inzwischen zweimal täglich mit einer Chelattherapie. Sein Zustand besser sich rasch, sodass er schon bald wieder entlassen werden kann. Die orale Chelattherapie wird anschließend noch fortgesetzt, bis die Quecksilberwerte wieder unter dem HBM-I-Wert liegen.
Sechs Monate nach der Entlassung sind die Quecksilberwerte im Urin und im Blut des Patienten deutlich gesunken und seine Symptome verschwunden. Auch 18 Monate später sind keine langfristigen Auswirkungen feststellbar.
Vier Monate nach dem Vorfall entnehmen die Ärzte noch eine Haarprobe bei der Mutter, welche die Creme inzwischen nicht mehr nutzt. Dabei zeigen sich abfallende Quecksilberwerte nach dem Absetzen der Creme. Da sie zusätzlich angibt, die Creme immer vor dem Schlafengehen aufgetragen zu haben und der 4-Jährige regelmäßig im Bett der Eltern geschlafen habe, vermuten die Ärzte, dass die Creme über den Hautkontakt zwischen Mutter und Sohn zu einer indirekten Intoxikation des Kindes geführt hatte.
Text- und Bildquelle: Rakete et al. / SAGE Open Medical Case Reports
Bildquelle: Unsplash / Jocelyn Morales