Mein Sohn kommt aus der Schule nach Hause und seine Mitschüler sagen, dass ich mit den Impfungen „Leute umbringen würde“. In Anbetracht des Suizids von Dr. Kellermayr kommt mir der Gedanke: „Hätte mir das auch passieren können?“
Der Suizid der österreichischen Ärztin Dr. Kellermayr beschäftigt mich immer noch. Erst kürzlich habe ich wieder einen Artikel zu den Hintergründen gelesen, der mich sehr berührt hat. Und da es sich um eine Ärztin handelt, die nur wenig jünger war als ich, stellte sich mir natürlich auch die Frage „hätte auch dir sowas passieren können?“
Ich denke, dass die Pandemie das Leben so ziemlich aller (Haus-)Ärzte in den letzten zwei Jahren in einer Weise dominiert hat, wie das glaube ich in den letzten Jahrzehnten nie vorgekommen ist. In der Anfangszeit habe ich gefühlt jedes winzige bisschen Information gesucht, was ich finden konnte, habe jeden Tag mit unseren Patienten telefoniert, um auch erstmal ein Gefühl für die Erkrankung zu bekommen. Und ich kann gar nicht sagen, wie froh ich war, als endlich die Impfungen kamen.
Vor allem, weil ich große Angst hatte, meinen Mann anzustecken, da wir mehrere Fälle hatten, wo die Frauen zwar selbst mild erkrankten, aber die Männer schwer. Und nachdem wir Ostern dieses Jahres auch „dran waren“, war ich sehr froh, dass mein Mann vorher 3-mal geimpft war. Denn schon so hat er über Wochen mit (Belastungs-)Luftnot zu kämpfen gehabt, die jetzt glücklicherweise fast komplett weg ist.
Deshalb habe ich mich damals auch sehr im Bereich der Impfungen engagiert und nicht nur in der Praxis geimpft, sondern auch in Impfzentren und hier bei der Organisation der Impfungen geholfen, was dann auch in der lokalen Presse namentlich erwähnt wurde. Aber so im Nachhinein war das Frühjahr 2021 auch noch eine andere Zeit. Eine, in der zumindest in meinem Bekanntenkreis auch wirklich die Euphorie überwog und die allermeisten sehnsüchtig auf die Impfung gewartet haben.
Natürlich habe ich auch Diskussionen mit Patienten geführt, die skeptisch waren. Und ja, einige meiner Patienten haben sich sehr spät, und ganz wenige bislang überhaupt nicht impfen lassen. Ich hatte auch mal überlegt, ob wir ein paar Erklärungen auf die Homepage setzen sollen – auch damit wir nicht alles immer 1.000-mal erzählen müssen. Auch, wenn das persönliche Gespräch dadurch nicht ersetzt werden kann. Letztlich blieb dafür keine Zeit, denn ich war eigentlich die ganze Zeit mit Impfen beschäftigt.
Anfeindungen habe ich persönlich, zumindest zu der Zeit, in der Region nicht mitbekommen. Wir hatten ein einziges Mal einen Brief über die Nürnberger Prozesse, ohne Absender natürlich, zu dem man sich wohl seinen Teil denken sollte – aber der ist einfach im Altpapier gelandet. Ein Kollege einer etwas entfernteren Praxis erzählte, dass ein solches Schreiben bei ihm einen konkreten Vergleich zwischen den Vergehen der Nazis und seinem Impfen hergestellt habe, aber da es bei einem einzigen anonymen Schreiben ohne konkrete Handlungsabsicht blieb, unternahm er da auch nichts.
Im Laufe des Jahres kippte aber die Stimmung immer mehr. Vor allem, als es dann schlussendlich um die Kinder-Impfungen ging. Ja, meine Kinder sind geimpft und ich habe auch, wenn mich Patienten mit entsprechenden Indikationen angesprochen haben, Kinder geimpft. Und ja, sie haben es alle gut vertragen. Aber weil sich schon damals andeutete, dass dieses Thema deutlich heißer diskutiert werden würde, haben wir das nicht groß öffentlich gemacht, sondern jeweils auf Nachfrage in Kooperation mit einer anderen Praxis organisiert, um jeweils genug Patienten pro Vial zu haben.
Ich gebe aber zu, dass ich auch bei einer Sache gekniffen habe: Als Gutachter gesucht wurden, um die Nicht-Impffähigkeit einiger Leute zu bescheinigen, die sich nicht impfen lassen wollten. Mein Chef hatte mich drauf angesprochen, ob ich das nicht machen möchte.
Aber zu dem Zeitpunkt hatte mein mittleres Kind mir schon erzählt, dass es von anderen Kindern angegangen wurde, weil ich ja mit den Impfungen „Leute umbringen würde“. Auch mein jüngstes berichtete aus der ersten Klasse, dass andere Kinder ihm gesagt hätten, dass „alle Geimpften im September sterben würden“. Das fand ich schon ganz schön krass. Denn das haben sich sicher nicht die Grundschüler selbst ausgedacht, das haben sie zu Hause gehört. Ich war nur froh, dass meine Kinder das relativ gelassen genommen haben. Sie haben mir zwar davon erzählt, wirkten aber nicht ernsthaft beunruhigt.
Dann die Anfrage, ob ich Gutachten schreiben würde. Ganz ehrlich: Zu dem Zeitpunkt habe ich auch arg darüber nachgedacht, ob das nicht zu einem großen Teil Leute sind, die den sogenannten Querdenkern nahestehen. Möchte ich, dass dann auch mein Name und meine Adresse unter dem Gutachten steht? Und vielleicht dann auch in solchen Kreisen im Netz kursiert? Das bringt vor allem auch meine Familie und meine Kinder in die Schusslinie – und in Anbetracht der Tankstellen-Tat und der Reaktionen auf den Suizid der Impfärztin aus Österreich finde ich diese Wortwahl nicht mal mehr übertrieben. Das ist es mir nicht wert.
Das mag man jetzt als feige bezeichnen und vielleicht ist es das auch. Aber meine Familie geht da eindeutig vor. Ich diskutiere immer noch mit meinen Patienten über die Impfungen und versuche, im persönlichen Gespräch zu überzeugen – aber das sind auch Leute, die mich seit über 10 Jahren kennen. Ich hoffe, dass so ein persönlicher Kontakt davon abhält, solche Hass-Mails zu schreiben, wie sie in der Anonymität des Netzes vielleicht dann doch schnell geschrieben sind. Und dass dieser Kontakt auch meine Familie mit schützt.
Denn so darf man nicht miteinander umgehen – weder im realen Leben, noch im Netz.
Bildquelle: Ryoji Iwata, unsplash