Ibuprofen und ASS bergen so manches Geheimnis. Neue Studien zeigen überraschende Effekte – von der Lebenszeitverlängerung bis zum Schutz gegen Krebserkrankungen. Zweifel bleiben, und so setzen Heilberufler entsprechende Wirkstoffe nach wie vor nicht prophylaktisch ein.
Nichtsteroidale Antirheumatika verlängern das Leben – zumindest im Labor. Zu diesem Fazit gelangte ein internationales Team um Michael Polymenis aus dem texanischen College Station. Altersforscher untersuchten drei Modellorganismen: die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, den Fadenwurm Caenorhabditis elegans sowie die Taufliege Drosophila melanogaster. Diese Spezies erhielten Ibuprofen in einer Dosis, die typischen Plasmaspiegeln bei Schmerzpatienten entspricht. Hefezellen gewannen durch Zusätze 17 Prozent an Lebenszeit, und bei anderen Organismen waren es zehn Prozent. Wie es zu diesem Effekt kommt, wissen die Autoren nicht. Antiinflammatorische Effekte scheiden aus, schließlich haben Fadenwürmer und Hefezellen kein Immunsystem. Polymenis vermutet, das Pharmakon könnte einen Tryptophan-Transporter hemmen. Zur Synthese sind viele Mikroben selbst in der Lage, der Mensch aber nicht. Kalorienrestriktionen hatten auch zu mehr Lebenszeit geführt. Bleibt als Kritik, dass die Ergebnisse nicht unbedingt auf Menschen übertragbar sind. Bleiben noch epidemiologische Studien, um Wissenslücken schließen, was bei manchen Krebserkrankungen schon heute der Fall ist.
Dass NSAIDs protektive Effekte gegen Kolonkarzinome zeigen, ist nicht neu. Prospektive Studien belegten oft – aber keineswegs immer – deren Benefit. Eine mögliche Erklärung: Reiko Nishihara, Boston, hat in gesunder Darmschleimhaut Spiegel von 15-Hydroxyprostaglandin-Dehydrogenase (15-PGDH) bestimmt. Das Enzym ist am Abbau von Prostaglandinen beteiligt und fungiert als Gegenspieler der bekannten Cyclooxygenase 2 (COX-2). Patienten mit normaler 15-PGDH-Expression halbierten durch ASS ihr Darmkrebsrisiko. Niedrige Werte führten zum Versagen der pharmakologischen Protektion. Bleibt als Wermutstropfen, dass prospektive Studien dieser Art eine begrenzte Aussagekraft haben. Trotzdem bewertet Nishihara 15-PGDH als möglichen Biomarker, um schützende Effekte von ASS vorherzusagen. Biopsien ließen sich im Rahmen üblicher Vorsorgeuntersuchungen gewinnen.
Als weiteres Einsatzgebiet von ASS im Gastrointestinaltrakt nennt Harvey A. Risch, New Heaven, Pankreaskarzinome. Er veröffentlichte Resultate einer Studie mit 363 Patienten und 690 Kontrollen. Personen, die regelmäßig ASS in niedriger Dosierung einnahmen, erkrankten Risch zufolge um 48 Prozent seltener als Teilnehmer der Vergleichsgruppe ohne Medikation. Zuvor hatten Untersuchungen mit sporadischen ASS-Anwendern kein klares Resultat ergeben. Die Kehrseite: Setzten Patienten ihre Low-Dose-Pharmakotherapie ab, schnellte das Risiko nach oben. Harvey A. Risch sieht dahinter keine biochemischen Mechanismen – er hat eine recht banale Erklärung parat: Patienten würden aufgrund von vermeintlichen Nebenwirkungen ihre Pharmakotherapie beenden. Befindlichkeitsstörungen seien jedoch nicht auf ASS zurückzuführen, sondern vielmehr auf die Krebserkrankung in einem frühen Stadium.
Wissenschaftler sehen jenseits des Magen-Darm-Trakts weitere Potenziale für NSAIDs. Einer australischen Metaanalyse zufolge gibt es Hinweise, dass entsprechende Moleküle Schutz gegen Spinaliome bieten. Als Basis dienten fünf Fall-Kontroll-, drei Kohorten- und eine Interventionsstudie. Patienten, die regelmäßig NSAIDs einnahmen, erkrankten um 15 Prozent seltener an Plattenepithelkarzinomen, errechnete Adèle C. Green, Brisbane. Ihre Studie ist nicht frei von Kritik. Das beginnt mit einer recht schwachen Evidenz, wie Green selbst zugibt. Damit nicht genug: Wer entsprechende Präparate regelmäßig einnimmt, leidet oft an Schmerzen des Bewegungsapparats. Betroffene gehen allein deswegen weniger nach draußen und verringern ihre UV-Exposition. Für Empfehlungen zur Chemoprophylaxe ist die Zeit noch nicht reif. Auch hat jede Pharmakotherapie ihre Schattenseiten.
Das Dilemma: Wie lassen sich nützliche Effekte zur Prophylaxe von Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen gegen unerwünschte Wirkungen abwägen? Jetzt ist die Zeit reif für eine Bilanz. Jack Cuzick, London, kommt zu dem Resultat, dass sich Darmkrebs-Risiken durch ASS um 40 Prozent verringern lassen, und Ösophaguskarzinome um 50 Prozent seltener auftreten. Bei Magenkrebs spricht der Forscher von minus 35 Prozent, und bei Herzinfarkten von minus fünf Prozent. Patienten zahlen einen hohen Preis durch tödliche gastrointestinale Blutungen (plus 60 Prozent), tödliche Schlaganfälle (plus 21 Prozent) und tödliche peptische Ulzera (plus 60 Prozent). Unter dem Strich bleibt trotzdem ein Benefit. Würden 1.000 Menschen von ihrem 50. bis 60. Lebensjahr regelmäßig ASS einnehmen, ließen sich 16 Todesfälle vermeiden. Statistisch gesehen würden jedoch zwei Menschen an Blutungen versterben. Für generelle Empfehlungen zur Krebsprophylaxe ist es noch zu früh.