Seit ziemlich genau elf Jahren gibt es Versandapotheken in Deutschland. Es ist an der Zeit, ein Resümee zu ziehen: Rebellen oder randständige Vertriebsformen – welchen Stellenwert haben Versender bei Arzneimitteln wirklich? Und wohin geht die Reise für alle Beteiligten?
Deutschland bestellt online – und seit Anfang 2004 landen auch Medikamente im virtuellen Warenkorb. Durch Novellierungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) beziehungsweise des Apothekengesetzes (ApoG) war es Apotheken plötzlich erlaubt, Pharmaka zu versenden. Im gleichen Jahr fiel die Preisbindung für OTCs, was neue Möglichkeiten der Preisgestaltung eröffnete. Bei Rx-Präparaten gab es geldwerte Boni, und nicht nur von Anbietern aus den Niederlanden. Kunden proklamierten bereits das Ende einer Ära mit scheinbar überteuerten Medikamenten. Doch es kam anders.
Nach mehreren Urteilen aus Vorinstanzen sprachen Richter eines gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe Mitte 2012 Klartext. Ihr Votum: Deutsche Vorschriften für Rx-Abgabepreise gelten auch für Apotheken mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat. Einzelne Anbieter loteten dennoch Schlupflöcher aus. Sie lockten beispielsweise mit veritablen Prämien für Interaktionschecks – und müssen viel Lehrgeld berappen. Bekanntestes Beispiel: Mittlerweile summieren sich Forderungen von Gerichten gegen DocMorris auf 850.000 Euro.
Kunden interessieren sich nicht für rechtliche Hintergründe; sie wollen in erster Linie Geld sparen. Das zeigt sich auch bei Umsatzanalysen von IMS Health: Über die Jahre hat sich der Marktanteil bei OTCs zwischen elf und zwölf Prozent eingependelt. Bei Rx-Präparaten ist von weniger als einem Prozent die Rede, schließlich gibt es keine Preisvorteile mehr. Wachstumstendenzen von Versandapotheken lassen sich vor allem auf nicht verschreibungspflichtige Präparate zurückführen. Das Interesse ist offensichtlich: Laut Zahlen des Branchenverbands Bitkom haben in 2012 mehr als 16 Millionen Kunden Arzneimittel bei Versandapotheken bestellt – ein Jahr zuvor waren es noch neun Millionen. Viele Konsumenten schätzen die fachliche Kompetenz von Präsenzapotheken, kaufen aber bei Versendern ein.
Umfragen des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) mit rund 270 Inhabern bestätigen diese oft geäußerte Vermutung. Mindestens jede zehnte Beratung zu OTCs blieb ohne Arzneimittelabgabe. Etwa 20 Prozent aller Apotheker gaben an, dieser Wert habe sich in letzter Zeit stark erhöht, und weitere 39 Prozent sprechen von einem leichten Zuwachs. Kollegen vor Ort informieren besonders häufig zu Nahrungsergänzungsmitteln, gefolgt von Präparaten zur Anwendung auf der Haut, auf Schleimhäuten oder Nägeln. An dritter Stelle stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen inklusive Funktionsstörungen der Venen, und Schmerzen des Bewegungsapparats folgen auf Platz vier. Nahezu jeder Apotheker bewertet die Pflicht zur persönlichen Beratung als unersetzlich. Genau hier bestehen erstaunlich große Interpretationsspielräume. Präsenzapotheken müssen gemäß der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), Paragraph 20, Patienten aktiv informieren. Versandapotheken sind lediglich verpflichtet, Kunden eine Telefonnummer zu nennen, unter der pharmazeutisches Personal telefonisch ohne zusätzliche Gebühren berät, schreibt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in einer Stellungnahme. „Damit entfällt bei einer Versandapotheke grundsätzlich die Pflicht, eigeninitiativ zu beraten, nicht aber das Recht der Patienten, beraten zu werden.“
Wie stark derartige Rosinenpickerei zum Apothekensterben ab 2006/2007 beigetragen hat, lässt sich objektiv schwer sagen. Tatsache ist, dass staatliche Sparprogramme, allen voran Rabattverträge und Regularien des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG), ebenfalls schuldig im Sinne der Anklage sind. Und Honorierungssysteme wurden trotz steigender Kosten jahrelang nicht angepasst. Versandapotheken durchlebten ebenfalls einen Konsolidierungsprozess. Bundesweit haben mehr als 3.000 aller 21.000 öffentlichen Apotheken eine Versandhandelserlaubnis, aber nur 5,4 Prozent betreiben laut Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) einen aktiven Online-Handel. Die „Top 10” decken mehr als 80 Prozent des Versandmarkts ab.
Bleibt zu klären, inwieweit Versandapotheken tatsächlich die Arzneimittelsicherheit gefährden. Heimische Versender unterliegen deutschem Recht – Kunden finden alle bei uns zugelassenen Versandapotheken in einer Zusammenstellung des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). Gefährlich wird es bei außereuropäischen Versendern. Beispielsweise haben Behörden im Rahmen der Aktion PANGEA VI weltweit 9,8 Millionen illegale und gefälschte Arzneimittel konfisziert. Davor sind Präsenzapotheken ebenfalls nicht gefeit. Durch Parallel- und Reimporte gelangen immer wieder dubiose Präparate in die legale Lieferkette. Um dieses Problem endgültig zu lösen, setzen Präsenz- und Versandapotheken auf Sicherheitsmerkmale wie bei securPharm vorgesehen.
Sicherheit ist nur eine der zukünftigen Herausforderungen. Versandapotheken werden mehr und mehr das OTC-Segment für sich beanspruchen und mit niedrigen Preisen um Kunden werben. Um hier mitzuhalten, bleibt Präsenzapotheken nur, sich Kooperationen anzuschließen, um Einkaufsvorteile zu sichern. Damit nicht genug: Laut IMS Health wird Cross-Channel-Konzepten eine stärkere Bedeutung zukommen. Offline und online – stationäre und mobile Welten verschmelzen immer stärker. Bereits heute sind Apps und Social-Media-Präsenzen für öffentliche Apotheken ein wichtiges Thema.