SCHWARZBUCH | Krankenhäuser schlagen Alarm, denn es gibt zu wenige Pfleger und Betten. Die Folgen? Ein Patient stirbt unbemerkt – nur weil niemand seine leere Sauerstoffflasche wechselt.
Um zu zeigen, dass die Versorgung in deutschen Krankenhäusern flächendeckend an ihre Grenzen gekommen ist, wurde das Projekt Schwarzbuch Krankenhaus ins Leben gerufen. Auf der Internetseite schreiben die Initiatoren: „Wir, Arbeitende im Gesundheitssystem, berichten von Überlastung und Patientengefährdung im Arbeitsalltag. Die folgenden Erfahrungsberichte zeigen, wie die Gesundheitsversorgung in Deutschland wirklich ist.“
Wir bilden in den nächsten Wochen einen Teil der Erzählungen in leicht gekürzter Form auf DocCheck ab. Zu den Originaltexten und allen weiteren Berichten kommt ihr hier.
Zu wenig Betten sind ein großes Problem in den Kliniken. Krankenpfleger stehen bei der Erstellung eines Bettenplans daher vor immensem Druck, „einen hervorragenden Bettenplan zu erstellen“, schreibt ein Pfleger. „Allerdings weißt du, der Plan geht nicht auf.“ Nicht alle Patienten könnten untergebracht werden. Dann müsse der zuständige Arzt entscheiden, welcher Patient aufgenommen werden soll.
Es stellt sich die Frage: „Nehmen wir den gesetzlich versicherten Patienten mit dem Verdacht auf eine schwere Erkrankung auf, oder nehmen wir den privaten versicherten Patienten auf, der alle drei Monate zur Verlaufskontrolle für ein MRT kommt?“ Wie der Krankenpfleger schon befürchtete, sollte in diesem Fall der privat versicherte Patient aufgenommen werden. „Es zählt nicht der Mensch mit seiner Erkrankung – es zählt, wie viel Geld wir an den Patienten verdienen“, schreibt er dazu.
Darauf folgte der Anruf, in dem er den gesetzlich versicherten Patienten anlügen musste: „Heute haben wir kein freies Bett, zu viele Notfälle.“ Die Reaktion des Patienten sei die übliche gewesen. „Verzweiflung, Sauer, Drohungen, dass ich Schuld daran habe, dass ihm nicht geholfen wird, ich Schuld daran habe, dass der Mensch versterben kann.“
In einem weiteren Bericht beschreibt ein Mitarbeiter des Patiententransports an einer Uniklinik seinen Alltag: „Im Schnitt soll ich 20 Minuten Zeit haben, um einen Patienten von A nach B zu bringen. Ich muss jedoch viel schneller sein, denn ich komme an einem Tag auf 30 bis 35 Transporte. Nicht nur Patienten – sondern auch Medikamente, Laborproben und Patienteneigentum. Ohne mich kommen keine Patienten von einer Station in eine andere.“
Oft müsse er zwischen Patiententransport, Medikamenten oder Labor priorisieren. Wenn der Patiententransport nicht ausreichend besetzt ist, warten Patienten teilweise anderthalb Stunden auf dem Flur, bis er sie abhole.
Er erinnert sich an eine Geschichte, die er und sein Team niemals vergessen werden: „Meine Kollegin hatte einen sauerstoffpflichtigen Patienten zur Radiologie gebracht. Die Röntgenabteilung war – genau wie wir – schlecht besetzt. Nach seiner Untersuchung musste der Patient drei Stunden auf seine Abholung warten. Er verstarb unbemerkt aufgrund von Sauerstoffmangel, weil kein Personal da war, welches bemerkt hatte, dass seine Sauerstoffflasche leergelaufen war.“
Eine Krankenpflegerin in Ausbildung, die in der dritten Woche ihres ersten Praxiseinsatzes ist, berichtet über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
„In diesem Frühdienst werden mir in der Übergabe vier Patienten übergeben. Schon jetzt bin ich auf mich alleine gestellt mit der Versorgung, Dokumentation und den administrativen Aufgaben rund um die Patienten.“ Die Einarbeitung auf der Station selbst erfolgte über nur einen Tag. Sie fragt sich: „Die examinierten Pflegekräfte versuchen das Beste, um meine Fragen zu beantworten, doch auch sie müssen viele Patienten versorgen und finden nicht mal Zeit für die nötige Dokumentation. Wie sollen dann Auszubildene noch angeleitet oder gar begleitet werden?“
Sie schreibt weiter: „Ein Zimmer mit zwei älteren Patienten betreue ich nun seit einigen Tagen. Mit einem unguten Gefühl betrete ich das Zimmer schon am Morgen, denn in den letzten Tagen wurde ich mehrfach Betroffene von sexualisierten Aussagen und ebenso häufig ‚zufällig‘ angefasst.“ Dabei hörte sie immer wieder Sprüche wie „Hast du einen Freund?“ oder sie wollen nur von ihr geduscht werden, „der jungen, blonden, großen Auszubildenen“.
Sie teilte die Vorfälle und ihr Unwohlsein, in dieses Zimmer zu gehen, den Teamkollegen mit. Sie bat dabei um Unterstützung oder zumindest Begleitung beim Duschgang, doch die anderen Pflegekräfte lehnten deutlich ab. Auch sie könnten nur gerade so die Grundpflege durchführen. An die Übernahme von weiteren Tätigkeiten sei dabei nicht zu denken.
„Ohnehin fallen Tag für Tag schon Überstunden an“, schreibt die Krankenpflegerin am Ende. „Da ich als unerfahrene Auszubildene es nicht besser wusste und ich auch nicht informiert wurde, nahm ich die Aufgabe mit Bauchschmerzen an. Ich wurde trotz dieser Überfälle mit dieser Aufgabe allein gelassen. Vor diesem Tag habe ich noch keinen Patienten selbstständig bei einem Duschgang begleitet. Auch die nächsten Tage musste ich dieses Zimmer betreuen.“
Wenn auch ihr von Missständen in eurer Klinik berichten wollt, könnt ihr euch hier an Schwarzbuch Krankenhaus wenden.
Bildquelle: Marcelo Leal, unsplash