Die Tiefe Hirnstimulation könnte behandlungsresistenten Patienten mit Zwangsstörungen neue Hoffnung geben. Das Verfahren ist bereits seit Jahrzehnten in anderen Bereichen bewährt, trotzdem bestehen Vorurteile. Forscher wollen das jetzt ändern.
Bis zu 300.000 Menschen in Deutschland leiden unter einer Zwangsstörung, die sich nicht mit Verhaltenstherapien oder Medikamenten behandeln lässt. Für einzelne dieser behandlungsresistenten Personen könnte eine Tiefe Hirnstimulation eine wirksame Therapie darstellen. Doch bislang finden nur wenige dieser Menschen den Weg bis zur Operation. Experten des Universitätsklinikums Freiburg veröffentlichten nun einen Artikel im Fachmagazin Nature, in dem sie einen besseren Zugang für Betroffene zu dieser Therapieform fordern und Vorschläge machen, wie dies gelingen könnte.
Die Tiefe Hirnstimulation wird seit Jahrzehnten erfolgreich zur Behandlung von Parkinson-Patienten eingesetzt. Auch bei Depression können zum Teil sehr gute Erfolge erzielt werden. Dabei werden haarfeine Elektroden in einen bestimmten Bereich des Gehirns geschoben. Über ein dünnes Kabel sind sie mit einer Batterie im Brustraum verbunden. Durch regelmäßige schwache elektrische Impulse können krankhafte Aktivitäten der Hirnregion reduziert und in einen normalen Zustand gebracht werden.
„Die Tiefe Hirnstimulation kann bei psychischen Erkrankungen sehr wirksam sein. Anders als bei der Parkinson-Erkrankung, wo diese Behandlungsform inzwischen zum Standard der Behandlung bei fortgeschrittener Erkrankung gehört, ist die Tiefe Hirnstimulation bei der Zwangserkrankung den meisten Kolleg*innen weitestgehend unbekannt. Dies gilt vor Allem für die Psychiater*innen und Psycholog*innen, die in Unkenntnis der Chancen und Ergebnisse einer solchen Therapie oft ablehnend gegenüberstehen“, erklärt Prof. Volker A. Coenen, Ärztlicher Leiter der Abteilung Stereotaktische und Funktionelle Neurochirurgie der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg.
Die Autoren des Artikels diskutieren die Hauptgründe für diese mangelnden Akzeptanz: Historische Bedenken im Zusammenhang mit überholten psychochirugischen Verfahren, Skepsis aufgrund vermeintlich geringer wissenschaftlicher Evidenz, mangelnde Wahrnehmung unter Psychiatern und Psychologen, Mangel an entsprechend qualifiziertem Personal für die Betreuung der Patienten, Einschränkungen in der Medizinprodukte-Zulassung, mangelhafte Kostenübernahme oder intransparente Entscheidungen durch Versicherungen, ungleiche Partnerschaften zwischen Industrie und Wissenschaft. „Für all diese Schwierigkeiten gibt es gute Lösungsvorschläge, die wir im Sinne der Patient*innen dringend angehen sollten“, sagt Prof. Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg.
„Eine spezialisierte Versorgung dieser Patient*innen gelingt, wenn Fachleute für die psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung und ein spezialisiertes Team für Tiefe Hirnstimulation involviert sind. Damit haben wir in Freiburg sehr gute Erfahrungen gemacht“, erklärt Prof. Katharina Domschke, Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg.
Im Mai 2022 hatten Schläpfer, Domschke und Coenen im Magazin Brain Stimulation eine Studie zur Therapie von Zwangsstörungen mit der Tiefen Hirnstimulation veröffentlicht. Die neun Patienten litten im Schnitt 23 Jahre unter der Krankheit und andere Therapien waren erfolglos. Bei sieben Patienten wirkte die Therapie auch ein Jahr nach dem Eingriff noch deutlich.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Freiburg. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Bret Kavanaugh, unsplash