Weltweit erkranken wieder mehr Menschen an Tuberkulose der Atmungsorgane, sprich „Schwindsucht“. Resistenzen gefährden zunehmend den Therapieerfolg. Doch erstmals seit fast 20 Jahren sind neue Präparate verfügbar. Auf Impfungen warten Heilberufler jedoch vergebens.
Negative Trends beim „Global tuberculosis report 2014“: Die Weltgesundheitsorganisation WHO musste ihre anfangs recht optimistischen Zahlen zu Neuerkrankungen um 400.000 nach oben korrigieren. Demnach litten in 2013 weltweit neun Millionen Menschen an Tuberkulose (TBC) der Atmungsorgane, und 1,5 Millionen starben daran. Deutschland hat ebenfalls Schwierigkeiten, die Krankheit effektiv zu kontrollieren. Nach einigen Jahren mit erfreulichem Rückgang berichtet das Robert-Koch-Institut wieder von steigenden Fallzahlen. Besonders häufig sind Migranten betroffen – laut RKI wurden 56,6 Prozent aller TBC-Patienten im Ausland geboren. Die Inzidenz ist etwa bei Einwohnern aus Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion neunmal höher im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt. Resistenzen kommen mit 36,3 versus 9,4 Prozent auch deutlich häufiger vor.
Als Grund für diese fatale Entwicklung sieht „Ärzte ohne Grenzen“ veraltete Methoden bei der Diagnostik und der Therapie. Weltweit werden weniger als ein Drittel aller resistenten TBC-Infektionen nachgewiesen und nur ein Fünftel korrekt behandelt. Derartige Lücken führen zur Übertragung widerstandsfähiger Keime von Mensch zu Mensch. Im Bericht „Out of Step“ fordert die Hilfsorganisation Regierungen, Geberländer und Firmen deshalb auf, den Kampf gegen resistente Formen voranzutreiben. Doch selbst bei unproblematischem Verlauf steckt der Teufel im Detail. Als Standardtherapie verordnen Ärzte zwei Monate lang Rifampicin, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol. Dann folgen vier Monate lang Isoniazid und Rifampin. Bestrebungen, dieses Therapieregime zu verkürzen, gibt es schon lange. Wissenschaftler des „Rapid Evaluation of Moxifloxacin in Tuberculosis“-Konsortiums hatten Ethambutol oder Isoniazid durch Moxifloxacin ersetzt und die Gesamtbehandlungsdauer auf vier Monate verringert. Ihr Fazit: Das etablierte Standardprotokoll lieferte bessere Ergebnisse. Ähnlich negativ hinsichtlich möglicher Rückfälle endeten Versuche mit Gatifloxacin. Das Pharmakon sollte Ethambutol ersetzen. Dann folgten Gatifloxacin, Rifampicin und Isoniazid. Und nicht zuletzt scheiterte das RIFAQUIN-Team darin, Behandlungsprotokolle mit Moxifloxacin und Rifapentin zu verkürzen. Grund genug für Forscher, nicht nur auf bestehende Wirkstoffe zu setzen.
Jetzt gelang es einem internationalen Team um Caroline Kisker, Würzburg, neue Schwachstellen beim Mycobacterium tuberculosis zu identifizieren. Im bakteriellen Cholesterinstoffwechsel fanden Forscher das Enzym FadA5. Es ist für den Cholesterinabbau verantwortlich. Nachdem sie die Proteinstruktur analysiert hatten, wurden per Computer Inhibitoren entwickelt. Kisker analysierte gleichzeitig Enzyme im menschlichen Körper. Ihr Ziel, einen spezifischen Hemmstoff zu finden, der nur in Bakterien Effekte zeigt, erwies sich zumindest in der Theorie als realistisch – Experimente müssen noch folgen. Deutlich weiter sind Wissenschaftler bei ihrem Versuch, Metformin gegen Tuberkulose einzusetzen. Alles begann mit einer zufälligen Entdeckung: Erkranken Diabetespatienten an Tuberkulose, fallen Schäden ihrer Lunge wesentlich geringer aus, falls sie das orale Antidiabetikum einnahmen. Amit Singhal, Singapur, hat sich detailliert mit möglichen Effekten befasst. Zellen produzierten in vitro vermehrt reaktive Sauerstoffradikale, falls das Pharmakon zugesetzt wurde. Anschließend verschmolzen Phagosomen im Zellinneren leichter mit Lysosomen – ein zentraler Schritt, um Bakterien zu eliminieren. Vom Erfolg angespornt, arbeiteten Forscherteams im Tiermodell weiter. Sie infizierten Mäuse mit Mycobacterium tuberculosis und verabreichten Metformin. Wie erhofft, kam es in der Lunge zu deutlich weniger pathologischen Vorgängen. Auch zeigten marktübliche Medikamente gegen TBC eine bessere Wirksamkeit. Jetzt müssen klinische Studien folgen. Ob pharmazeutische Hersteller noch Geld in den alten Wirkstoff stecken, erscheint fraglich. Sie suchen lieber nach neuen Molekülen – mit Erfolg. In 2014 wurden Bedaquilin und Delamanid zur Therapie der multiresistenten Tuberkulose zugelassen. Apotheker bewerten die Moleküle als erste Innovation seit 19 Jahren. Auch sind industrielle Pipelines mit weiteren Molekülen gut gefüllt.
Ein Schritt weiter: Nach wie vor hoffen Ärzte und Apotheker auf Impfstoffe. Seit 1998 rät die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut nicht mehr zu attenuierten Bacillus Calmette-Guérin-Stämmen. Jetzt setzen Forscher große Erwartungen in gentechnologisch produzierte Kuhpocken-Viren – inklusive TBC-Antigen 85A. Dieses sogenannte MVA85A-Konstrukt (modified vaccinia Ankara 85A) enttäuschte bei Feldversuchen in der Nähe von Kapstadt. Ein nennenswerter Schutz trat nicht auf. Jetzt startet Helen McShane, Oxford, neue Versuche. Ihr Ansatz, Vakzine direkt über die Lungenschleimhaut zu applizieren, scheint eine stärkere Immunantwort auszulösen. Damit käme die Weltgesundheitsorganisation WHO ihrem Ziel, TBC bis 2050 zu eliminieren, möglicherweise ein Stück näher – warten wir ab.