Schwangerschaft oder Karzinome, eine Altersspanne von Menarche bis Menopause und weit darüber hinaus – gerade die Vielfalt macht die Gynäkologie so spannend. 5 Gründe, warum mich das Fach nicht mehr loslässt.
Welche Facharztrichtung man nach dem Studium einschlägt, kann vielerlei Gründe haben. Manche werden durch den Beruf der eigenen Eltern geprägt, bei anderen sind es besondere Eindrücke in Famulaturen oder dem PJ, die sich eingebrannt haben. Oftmals begegnet man auch beruflichen Vorbildern, die die Richtung der Facharztausbildung anstoßen. Und nicht selten ist es das Fach an sich, das einen nicht mehr loslässt.
Die Betreuung einer Schwangerschaft ist herausfordernd, weil man die Verantwortung für zwei Menschen gleichzeitig hat. Geht es der Mutter schlecht, ist das Kind meist auch in Gefahr. Gibt es gesundheitliche Probleme beim Kind, hat dies Auswirkungen auf die Mutter und den weiteren Schwangerschaftsverlauf. Schafft man es, Frühgeburtsbestrebungen rechtzeitig entgegen zu wirken, bleibt der gesamten Familie viel Stress erspart (hier habe ich schon darüber geschrieben).
Intensiver geworden ist die Beratungssituation am Anfang einer Schwangerschaft. Ausgiebige Vorabinformationen auf diversen Internetplattformen können hilfreich, mitunter aber auch kompliziert sein. Außenseiterpositionen und Fehlinformationen müssen neu eingeordnet, evidenzbasierte Fakten erklärt werden. Seit die Bluttests auf Trisomien von den Krankenkassen übernommen werden, die Indikationen aber unklar formuliert sind, gilt es, die Patientinnen auf eine ausgewogene Weise zu informieren. Dabei können sich ethisch interessante Gespräche entwickeln.
Anspruchsvoll ist die Beratung bei einem Schwangerschaftskonflikt (mehr dazu hier). Da die gynäkologische Praxis häufig die erste Anlaufstelle ist, findet hier eine Orientierung statt. Mit viel Einfühlungsvermögen wird herausgearbeitet, in welche Richtung die Patientin tendiert. Adressen für Beratungseinrichtungen und andere Hilfestellungen werden mitgegeben. Manchmal möchten Frauen auch ganz offen über das Für und Wider ihrer Entscheidung sprechen.
Die ganz normale Schwangerenbetreuung macht Spaß, besonders wenn man innerhalb einer Familie mehrere Kinder intrauterin begleiten darf. Verkomplizieren sich die Verläufe, etwa durch Präeklampsie, Gestationsdiabetes, Wachstumsretardierung oder Zervixinsuffizienz, wird es medizinisch anspruchsvoller. Die enge Kooperation mit einem Perinatalzentrum ist spannend und entlastet alle Beteiligten.
Während der Facharztausbildung dreht sich schon allein in den Diensten ein Großteil um die Geburtshilfe. Als Arzt übernimmt man gemeinsam mit der Hebamme viel Verantwortung für zwei Menschenleben und ist jedes Mal froh, wenn alles glatt läuft. Es ist ein Privileg, in die Intimität einer Geburt miteinbezogen zu werden.
Nach der Schwangerschaft ist vor der Schwangerschaft, oder: Gute Antikonzeptionsberatung hilft, Konflikte zu vermeiden. Zwischen 15 und 55 sollte keine Patientin ohne Antikonzeptionsberatung die Praxis verlassen. Die Palette an Möglichkeiten ist vielfältiger geworden. Es gibt nicht nur einfach die Pille, also klassische kombinierte Ovulationshemmer, sondern interessante Gestagen-mono-Präparate mit Desogestrel oder Drospirenon, die ein breiteres Einsatzspektrum haben (hier mehr dazu).
Herausfordernd bleiben dabei die Berührungspunkte mit anderen Fächern, wenn es etwa um Wechselwirkungen zwischen Kontrazeptiva und neurologischen Pharmaka oder internistischen Erkrankungen als Kontraindikation geht.
Intrauterine Systeme mit Kupfer oder Hormonen sind zur Langzeitkontrazeption auch für Frauen geeignet, die keine Kinder geboren haben. Da die Wirkung hauptsächlich lokal erfolgt, ist die systemische Beeinflussung sehr gering, bei hoher Sicherheit und nebenwirkungsarmer Verträglichkeit. Auffallend in der Beratung ist eine zunehmende Hormonmüdigkeit. Frauen möchten möglichst natürlich verhüten, eine Kombination aus Zyklus-App und Kondom verbreitet sich immer mehr.
Die Frage „Was wäre, wenn Sie schwanger würden?“ hilft gut bei der Auswahl zwischen sicherer und weniger sicherer Methode.
Die gynäkologische Krebsvorsorge ist mit der Umstellung der Untersuchungsintervalle im Jahr 2020 aus der Routine geraten. Frauen bis zum 35. Lebensjahr erhalten nach wie vor einen PAP-Abstrich jährlich. Danach finden zwar jährlich Kontrolluntersuchungen statt, der PAP-Abstrich in Kombination mit einer Untersuchung auf HPV allerdings nur noch alle drei Jahre. Damit ist die häufigste Routineuntersuchung der gynäkologischen Praxis zum größten Patientinnen-Diskussionsforum schlechthin geworden. Es vergeht keine Sprechstunde ohne die mehrmalige Frage: „Was, nur noch alle drei Jahre?“, obwohl jede Patientin zuvor einen Informationsflyer bekommen hat.
Bei der Krebsvorsorge geht es darum, das Normale vom Pathologischen zu unterscheiden. Man sieht Patientinnen regelmäßig und in weitgehend entspannter Atmosphäre, was Gespräche über Beschwerden auch am Rande der Gynäkologie zulässt.
Unklare Unterbauchbeschwerden sind ein häufiger Grund, weshalb Patientinnen die gynäkologische Praxis aufsuchen. Werden Schwangerschaft, Infektionen, benigne oder maligne Raumforderungen und Darmerkrankungen ausgeschlossen, bleiben noch bei entsprechender Anamnese postoperative Verwachsungen und Endometrioseherde. Sind alle somatischen Ursachen diagnostisch abgeklärt, lassen sich im Gespräch oftmals ganz andere Problemfelder finden. Patientinnen berichten von beruflichem und privatem Stress, depressiven Verstimmungen, Ängsten und posttraumatischen Situationen. Ist das Vertrauensverhältnis groß genug, wird man auch als Gynäkologin mit hineingenommen in psychische Problemfelder. Man kann helfend zuhören und an die entsprechenden Fachkollegen weiterleiten.
Krebserkrankungen häufen sich im höheren Lebensalter, betreffen aber auch junge Frauen. Das Mammakarzinom ist die häufigste bösartige Erkrankung der Frau und greift stark in die körperliche und psychische Integrität ein. Die Nachsorgeintervalle sind in den ersten drei Jahren nach Abschluss der Primärtherapie vierteljährig, im vierten und fünften Jahr halbjährig. Die genitalen Karzinome sind seltener, werden aber ähnlich eng in die Nachsorge einbezogen.
Durch diese vielen Kontakte entsteht einerseits ein engeres Vertrauensverhältnis, andererseits eröffnet die Schwere der Erkrankung Gesprächsthemen über die Routine hinaus. Patientinnen möchten nicht nur medikamentös gut eingestellt oder apparativ sorgfältig untersucht sein, sondern auch mit ihren Beschwerden durch die Erkrankung und Therapie ernstgenommen werden. Ängste vor einem Rezidiv oder einer Metastasierung treiben sie um und jede unkomplizierte Nachsorge erleichtert.
Die Gynäkologie ist ein spannendes Fach. Ob als Mädchen in der Kindergynäkologie, oder als Frau zwischen Menarche und Menopause und weit darüber hinaus: Patientinnen werden von uns in besonderen Lebenslagen untersucht und therapiert. In der Klinik stehen Geburtshilfe und gynäkologische Operationen im Vordergrund, in der Praxis liegt der Fokus auf einer individuellen, oft langjährigen Begleitung. Ein bisschen wie Hausärztin für gynäkologische Fragestellungen. Gute Wahl!
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