Maßgeschneiderte Unterstützung für Autisten: Ein neuer Biomarker könnte genau das in Zukunft möglich machen. Das zeigt eine aktuelle Studie. Was die Gesichtserkennung damit zu tun hat, lest ihr hier.
Neue Forschungsergebnisse der Birkbeck University of London haben erstmals gezeigt, dass sich anhand der Messung der Gehirnaktivität drei Untergruppen von Autismus identifizieren lassen. Die Forschung zeigt auch, dass die Gehirnaktivität vorhersagen kann, wie sich die sozialen Fähigkeiten entwickeln. Diese neue Art der Vorhersage könnte dazu beitragen, eine maßgeschneiderte Betreuung zu gewährleisten und damit die Lebensqualität von Autisten langfristig erheblich zu verbessern.
Bei der Untersuchung wurden den Teilnehmern wiederholt Bilder von Gesichtern gezeigt, während ihre Gehirnaktivität aufgezeichnet wurde. Die Mittelwertbildung der Gehirnreaktionen auf jedes Gesicht ergab ein bestimmtes Gehirnwellenmuster, das etwa 170 Millisekunden nach dem Erscheinen jedes Gesichts auftrat.
Die Studie, die in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine veröffentlicht wurde, bestätigte, dass Autisten auf Gruppenebene dazu neigen, Gesichter anders zu verarbeiten als Nichtautisten: Autisten zeigen im Durchschnitt eine kurze Verzögerung, bevor das Muster erscheint. Diese Unterschiede stehen im Zusammenhang mit der Aktivität in bestimmten sozialen Gehirnregionen und mit genetischen Merkmalen, die mit Autismus in Verbindung stehen. Die Forscher fanden auch heraus, dass es innerhalb der autistischen Teilnehmenden drei verschiedene Untergruppen gab.
In einer Folgestudie nach 18 Monaten bis zwei Jahren stellten die Forscher fest, dass die ursprüngliche Verzögerungszeit des Gehirns jedes Einzelnen die Veränderung seiner sozialen Fähigkeiten vorhersagte. Dies könnte helfen, die Unterstützung für Einzelpersonen in der Zukunft anzupassen, da es bei der individuellen Entscheidungsfindung über die Notwendigkeit von sozial gezielten Unterstützungsstrategien helfen könnte.
Die leitende Forscherin Emily Jones, Professorin für translationale Neuroentwicklung an der Birkbeck University of London, dazu: „Etwa 1 Prozent der britischen Bevölkerung ist autistisch und reagiert in der Regel anders auf soziale Interaktionen. Autisten neigen auch dazu, unterschiedliche Kommunikationsstile, Interessenmuster und sensorische Schwierigkeiten zu haben. Die Art und Weise, in der verschiedene Menschen Autismus erleben, ist von Person zu Person sehr unterschiedlich. Unsere Ergebnisse könnten schließlich dazu genutzt werden, die Unterstützung effektiver zu gestalten und das psychische Wohlbefinden sowie die Lebensqualität autistischer Menschen zu verbessern. Dies ist wichtig, da Schwierigkeiten bei der sozialen Entwicklung zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Isolation und Einsamkeit führen können, was wiederum zu den von autistischen Menschen berichteten höheren Angst- und Depressionsraten beitragen kann.“
„Die Ergebnisse der Studie sind relevant, weil die Reaktionszeit auf Gesichter ein erster Biomarker sein könnte, der die Aussagekraft klinischer Studien zu Autismus verbessern kann. Das könnte uns darin weiterbringen, eine Autismus-Spektrum-Störung frühzeitig zu diagnostizieren und schließlich gezielte, individuell angepasste Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln“, so Prof. Tobias Banaschewski, Mitautor der Studie und Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Elena G, unsplash