Smartwatches können Vorhofflimmern erkennen. Aber bringt das in der Praxis wirklich was? Die Ergebnisse einer aktuellen Studie könnten selbst technikkritische Ärzte überzeugen.
Wearables wie Fitness-Tracker oder Smartwatches werden immer beliebter. Auch in Forschung und Praxis setzen sich Ärzte mehr und mehr mit den neuen technischen Möglichkeiten auseinander – so auch auf dem diesjährigen Kongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona.
Entwickler von Apps, Smartwatches und Fitnesstrackern werben gerne mit diversen Funktionen und Möglichkeiten für Anwender, durch ihre Produkte gesund und fit zu bleiben oder bestimmte Erkrankungen frühzeitig erkennen zu können. Ein Beispiel hierfür ist das Vorhofflimmern (VHF). Die häufigste tachykarde Herzrhythmusstörung kann auch symptomlos auftreten und mit Komplikationen wie Thromboembolien oder Kammerflimmern einhergehen. Betroffene haben außerdem ein fünfmal höheres Schlaganfallrisiko als ihre Altersgenossen. Einmal diagnostiziert, lässt sich dieses Risiko mithilfe des CHA2DS2-VASc-Scores abschätzen und einordnen.
Dass von jedermann anwendbare Geräte Erkrankungen wie Vorhofflimmern detektieren können, ist die eine Sache. Die für Mediziner wichtige Frage ist aber, ob ihr Einsatz einen Vorteil gegenüber den etablierten Screeningmethoden und Abläufen bringen kann. Genau darüber sollte die von Prof. Axel Bauer und seinem Team designte klinische Studie eBRAVE-AF Aufschluss geben.
„Das Screening mit gängigen Smartphones erhöhte die Entdeckungsrate von therapierelevantem Vorhofflimmern signifikant“, fasst Prof. Bauer die Ergebnisse in Barcelona zusammen. Dabei stellte das App-basierte Pre-Screening mittels Photoplethysmographie (PPG) nur einen Teil der Erhebungen dar; auf einen auffälligen Befund in der App folgte eine EKG-Messung und eine anschließende Bewertung der Befunde durch einen unabhängigen Arzt. DocCheck traf Prof. Bauer, Direktor der Innsbrucker Universitäts-Klinik für Innere Medizin, auf dem ESC, um mit ihm über die Studienergebnisse zu sprechen.
Bei der eBRAVE-AF-Studie handelt es sich um eine standortunabhängige, randomisierte Studie an Erwachsenen mit Schlaganfallrisiko, welche ein Smartphone mit den entsprechenden technischen Voraussetzungen besaßen. Das Screening per Smartphone wurde dann mit dem üblichen Screening hinsichtlich der Fähigkeit verglichen, behandlungsrelevantes Vorhofflimmern zu erkennen. Alle Teilnehmer waren Versicherte einer großen Krankenkasse zwischen 50 und 90 Jahren, ohne bekanntes Vorhofflimmern, ohne bisherige Verschreibung oraler Antikoagulantien und mit einem CHA2DS2-VASc-Score ≥ 1 bei Männern und ≥ 2 bei Frauen. Die Forscher nutzten eine spezielle Studien-App, um die Einschlusskriterien zu überprüfen und mit den Teilnehmern zu kommunizieren. Die Fragebögen wurden ebenfalls über die App ausgefüllt.
5.551 von 67.488 eingeladenen Versicherungsnehmern konnten in die Studie aufgenommen werden. „Mit so einer regen Teilnahme hatte ich anfangs nicht gerechnet“, zeigt sich Bauer positiv überrascht. Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer lag bei 65 Jahren, 31 % waren Frauen. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip einer sechsmonatigen digitalen oder konventionellen Screening-Strategie für Vorhofflimmern zugewiesen.
Teilnehmer mit digitalem Screening luden eine zertifizierte App auf ihr Smartphone herunter, die Pulswellenunregelmäßigkeiten mittels Photoplethysmographiesensor (PPG) am Handy misst. 14 Tage lang sollte zweimal täglich eine Messung durchgeführt werden, danach weiterhin zweimal pro Woche. Durch Push-Benachrichtigungen wurden die Teilnehmer an die Messung erinnert. Waren die Ergebnisse auffällig, erhielten sie ein mobiles, für die Eigenanwendung geeignetes Gerät, um ein 14-tägiges EKG aufzuzeichnen. Hinterher wurde dieses per Post an die Forscher zurückgesendet und die Messung ausgewertet. Die Ergebnisse gingen dann wiederum zurück an die Teilnehmer mit der Bitte, dass diese sich bezüglich der Behandlung an ihren Hausarzt wenden sollten.
Die Kontroll-Gruppe spiegelte das Screening auf Vorhofflimmern wider, wie es in der Praxis üblicherweise erfolgt: Befunde kommen durch vom Patienten beschriebene Symptome und daraufhin eingeleitete Diagnostik oder Auffälligkeiten bei Routine-EKGs und anderen Untersuchungen zustande.
Angaben zu neu entdecktem Vorhofflimmern wurden von den Forschern in beiden Gruppen über App-basierte Fragebögen, Telefonanrufe sowie Daten zu Versicherungsansprüchen abgefragt. Insgesamt wurden 2.860 Teilnehmer dem digitalen Screening und 2.691 dem konventionellen Screening zugewiesen. Der primäre Endpunkt war neu diagnostiziertes und behandlungsbedürftiges Vorhofflimmern innerhalb von sechs Monaten, bei dem es im weiteren Verlauf zur Einleitung einer oralen Antikoagulation durch einen unabhängigen Arzt kam. Der primäre Endpunkt trat bei 38 Teilnehmern (1,33 %) in der digitalen Gruppe und 17 Teilnehmern (0,63 %) in der konventionellen Gruppe auf, was einer Odds Ratio (OR) von 2,12 (95 % Konfidenzintervall [CI] 1,19–3,76; p = 0,010) entspricht.
„Bei eBRAVE-AF wurde das erste Mal eine digitale Screening-Technologie randomisiert und kontrolliert überprüft. Wir wollten wissen: Wie ist konkret der Zugewinn durch die neuen digitalen Techniken? Und es zeigte sich, dass man die Erkennungsrate von therapierelevantem VHF, also solches, dass von unabhängigen Ärzten tatsächlich dann auch in Form einer Antikoagulation behandelt wird, etwas mehr als verdoppeln kann“, so Bauer.
Diejenigen Teilnehmer, die den primären Endpunkt in den ersten sechs Monaten nicht erreichten, wurden zur Teilnahme an einer zweiten sechsmonatigen Studienphase mit Crossover-Zuweisung zum konventionellen bzw. digitalen Screening eingeladen. So bekamen alle Teilnehmer die Möglichkeit, sich dem digitalen Screening zu unterziehen. Auch konnten so die statistische Aussagekraft für sekundäre Analysen erhöht und die primären Ergebnisse validiert werden.
Insgesamt 4.752 (85,6 %) Teilnehmer nahmen an der zweiten Studienphase teil. Auch hier war das digitale Screening dem konventionellen Screening bei der Erkennung von Vorhofflimmern überlegen (33 von 2.387 vs. 12 von 2.365 Teilnehmern; OR 2,95; 95 % CI 1,52–5,72; p = 0,001). In sekundären Analysen konnten Vorhofflimmern, mit dem Smartphone nachgewiesenes Vorhofflimmern (per PPG) und abnormale Befunde mit der App signifikant schwerwiegende unerwünschte kardiale und zerebrovaskuläre Ereignisse (MACCE) mit Hazard Ratios von 6,13 (95 % CI 3,07–12,21), 3,22 (95 % CI 1,01–10,33) bzw. 2,74 (95 % CI 1,25–6,00) voraussagen.
„Ich hatte anfangs Sorge, dass gerade die älteren Patienten – die ja eigentlich am meisten profitieren, weil dort Vorhofflimmern häufiger vorkommt sowie der CHA2DS2-VASc-Score und damit die Notwendigkeit der Antikoagulation auch entsprechend höher sind – dass die gar nicht so mit der Technik umgehen können oder wollen“, sagt Bauer. Hier waren die Erkenntnisse aus der Studie für ihn überraschend. „Aber wir haben genau das Gegenteil beobachtet: Die älteren Menschen haben mehr gemessen als die Jüngeren. Manche haben teilweise 1.000 Messungen innerhalb der 6 Monate gemacht. Das waren statistisch signifikant mehr Messungen als bei den Jungen.“ Ein Zeichen dafür, dass Smartphone-basierte Screenings nicht nur „was für Jüngere“ sein müssen.
Die Technik leistet also, was sie verspricht und kann tatsächlich helfen, Vorhofflimmern häufiger zu diagnostizieren. Und trotzdem spielt auch hier – wie immer – die Motivation des Patienten eine Rolle. „Wir wissen aus anderen Studien, dass sich lange nicht jeder aktiv selbst mit mobilen Devices screenen würde. Von den digitalen Techniken profitieren meiner Meinung vor allem diejenigen, die auch so schon ein großes Eigeninteresse haben, etwas für ihre Gesundheit zu tun und da auch motiviert sind“, so Bauer. Hier können Ärzte helfen, indem Sie Patienten motivieren – und bei Auffälligkeiten auch tatsächlich eine Behandlung einleiten. „Viele Menschen laufen herum und haben eigentlich eine klare Indikation für Antikoagulanzien, aber werden nicht antikoaguliert.“ Auch im Zuge von eBRAVE-AF sei das vorgekommen. „Wenn am Ende der Behandlungskette dann nicht die richtigen Entscheidungen getroffen werden, dann bringt natürlich die ganze Vor-Diagnostik nichts.“
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