Bergsteiger können in extremen Höhen Psychosen entwickeln. Jetzt berichten Psychologen, dass es sich dabei nicht um die Höhenkrankheit, sondern um ein separates Krankheitsbild handelt. Aufklärung über das Phänomen soll Bergsteiger vor Unfällen schützen.
Im Jahr 2008 machte der Extrembergsteiger Jeremy S. Windsor seltsame Beobachtungen. Auf dem Weg zum Gipfel des Mount Everest begegnete ihm ein Mann namens Jimmy. Er sprach mit Windsor, blieb etwas bei ihm und verschwand dann spurlos. Diese Begegnung war allerdings nicht real. Da sich die vermeintliche Zusammenkunft auf über 8.000 Metern ereignet hatte, lag es nahe, zunächst von einer akuten Höhenkrankheit auszugehen. Aus wissenschaftlicher Sicht bestehen an der Kausalität aber erhebliche Zweifel. Das berichten Forscher des Eurac Research und der Medizinischen Universität Innsbruck.
Sie haben rund 80 psychotische Ereignisse aus der deutschen Bergliteratur gesammelt und nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewertet. Bislang führten Mediziner Halluzinationen unterschiedlicher Art vor allem auf organische Ursachen der Höhenkrankheit zurück. Hirnödeme gehen nämlich mit starken Kopfschmerzen, Schwindel und Gleichgewichtsstörungen einher. Nur klagten nicht alle Sportler über solche Beschwerden. „Durch die Studie haben wir herausgefunden, dass es eine Gruppe von Symptomen gibt, die rein psychotisch sind, das heißt, dass sie zwar mit der Höhe zusammenhängen, jedoch weder auf ein Höhenhirnödem noch auf andere organische Faktoren wie Flüssigkeitsverlust, Infektionen oder organische Erkrankungen zurückzuführen sind“, sagt Hermann Brugger von Eurac Research. Zusammen mit Kollegen berichtet er jetzt von einem neuen Krankheitsbild. Isolierte höhenbedingte Psychosen treten meist jenseits von 7.000 Höhenmetern auf. Über die Auslöser kann Brugger derzeit nur spekulieren. Er nennt den Umstand, auf sich allein gestellt zu ein, aber auch Sauerstoffmangel und beginnende, leichte Gehirnschwellungen als Hypothesen.
Derzeit gibt es zwar keine Möglichkeiten, isolierte höhenbedingte Psychosen gezielt zu behandeln oder zu vermeiden. Trotzdem lassen sich aus dem Paper Lehren ziehen. „Vermutlich gibt es eine Dunkelziffer von Unfällen und Todesfällen infolge von Psychosen“, so Brugger. „Es ist äußerst wichtig, dass Extrembergsteiger über diese vorübergehenden Phänomene informiert werden.“ Mediziner können Bergsteiger aber vorbereiten, indem sie ihnen kognitive Behandlungsstrategien mit auf den Weg geben. Dazu gehört, erste Warnzeichen zu erkennen und zu reagieren, bevor das Unfallrisiko nach oben schnellt.
Da isolierte höhenbedingte Psychosen nach derzeitigem Wissensstand ohne bleibende Schäden wieder verschwinden, eignen sie sich als Modell für die Forschung. „Diese Erkenntnis erlaubt es uns, vorübergehende Psychosen an ansonsten völlig gesunden Menschen genauer zu untersuchen, das kann uns wichtige Hinweise zum Verständnis psychiatrischer Krankheiten wie zum Beispiel der Schizophrenie geben“, weiß Erstautorin Katharina Hüfner. Zusammen mit regionalen Ärzten plant sie zukünftige Untersuchungen im Himalaya-Gebiet.