Deutschlandweit sinkt die Anzahl der Arztpraxen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Ein neuer Ansatz: Medikamentöser Abbruch zu Hause mit Video-Beratung. Aber, ist das die Lösung für das Versorgungsproblem?
Das Thema Abtreibung polarisiert – nicht nur in der Ärzteschaft. In der Debatte um Leben und Tod mischen sich die Rechte von zwei Personen: die der Mutter, in deren Körper neues Leben heranwächst, und die des ungeborenen Kindes. Besteht ein Grundrecht auf Abtreibung? Darüber wird in Deutschland schon sehr lange diskutiert (hier mehr dazu).
Nun hat die Ampel-Koalition den umstrittenen und viel diskutierten Paragraf 219a, der das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche regelte, im Juni 2022 aus dem StGB gestrichen. Schwangerschaftsabbrüche sollten „außerhalb des Strafgesetzbuches“ geregelt werden, wird Bundesfamilienministerin Lisa Paus in der ARD zitiert. In der Koalition hätte man sich darauf verständigt, eine Expertenkommission einzusetzen, die sich den reproduktiven Rechten in Deutschland widmet und Reformvorschläge und Empfehlungen entwickeln soll.
Das ist auch nötig, denn die Versorgungslage von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen wollen, verschlechtert sich stetig. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der Einrichtungen, die diesen Eingriff vornehmen, in den letzten zwanzig Jahren auf aktuell nur etwas über 1.000 fast halbiert. Immer weniger Ärzte wollen Schwangerschaftsabbrüche durchführen – auch scheint jede Generation dem Thema etwas anders gegenüber zu stehen (DocCheck berichtete).
„Wir hören weiterhin von vielen Beratungsstellen, dass sie Probleme haben, Ärzt*innen zu vermitteln“, erzählt Ärztin Dr. Alicia Baier, Vorsitzende des Vereins Doctors for Choice Germany, auf Nachfrage von DocCheck News. Sie forderte schon mehrfach öffentlichkeitswirksam, dass die Methoden des Schwangerschaftsabbruchs auch in den Lehrplan für Mediziner aufgenommen werden sollten.
Da Frauen in Deutschland in bestimmten Regionen mittlerweile für einen Schwangerschaftsabbruch mehrere hundert Kilometer fahren müssten, hat sich der Verein außerdem mit einem Berliner Familienplanungszentrum zusammengetan, um den telemedizinisch begleiteten medikamentösen Abbruch anzubieten. Es handelt sich bisher um das einzige Projekt dieser Art in Deutschland. Laut Baier ist die Nachfrage groß – „von den meisten Frauen aus einer Not heraus, da vor Ort keine Ärzt*in ist, die den Abbruch durchführen kann. Die meisten kommen aus Südwestdeutschland und haben oft schon eine lange Suche hinter sich.“ Etwa 170 Abbrüche wurden so bisher mithilfe von Video-Telefonaten betreut und selbstständig von den Patientinnen durchgeführt.
Durch die COVID-19-Pandemie hat diese Art der Betreuung in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit bekommen; einige Länder haben auf die Probleme der Versorgungslage mit einer Vereinfachung reagiert. In Großbritannien wurde beispielsweise die telemedizinische Betreuung durch Videosprechstunden mit Postversand oder Abholung der Medikamente ermöglicht, allerdings zunächst nur für die Dauer der Pandemie. Zwischen April und Dezember 2020 konnten so über 29.000 ungewollt Schwangere bei einem medikamentösen Abbruch wissenschaftlich begleitet und mit über 20.000 Patientinnen verglichen werden, die wie bisher mit persönlichem Kontakt zu einer Ärztin begleitet wurden. Das Fazit der Autoren fällt positiv für die Telemedizin aus. Im März 2022 stimmte das Parlament dafür, die Telemedizin für medizinische Frühabtreibungen in Großbritannien dauerhaft einzuführen.
Dass der medikamentöse Abbruch im eigenen Wohnzimmer aber die Versorgungslücke schließen könnte, ist unrealistisch. „Das ist auch nicht gewollt“, so Gynäkologin Jana Maeffert gegenüber dem rnd. Sie ist ebenfalls Mitinitiatorin des Berliner Projekts „Schwangerschaftsabbruch zuhause“ sowie Vorstandsmitglied bei Doctors for Choice. „Viele Frauen wollen gar keine Telemedizin. Sie wünschen sich, dass ihre Gynäkologin oder ihr Gynäkologe vor Ort ihnen hilft.“ Ein telemedizinischer Schwangerschaftsabbruch sei aber manchmal die bessere Option, als 100 Kilometer zu einer Klinik zu fahren. Auch könne die Blutung während des Abbruchs in einer vertrauten Umgebung und nicht in einer fremden Praxis stattfinden.
Die Forderungen nach niedrigschwelligen Angeboten und der Aufnahme des Themas in die gynäkologische Ausbildung werden aber keinesfalls von allen Frauenärzten positiv beurteilt. „Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Routine, sondern eine einschneidende Ausnahmesituation, die das Leben mehrerer Menschen betrifft“, sagt Gynäkologin Dr. Petra Brandt. Ihr liegt die Debatte am Herzen, weshalb sie regelmäßig darüber schreibt (z. B. hier und hier).
Sie findet es in Ordnung, dass § 219a gestrichen wurde. Wer Schwangerschaftsabbrüche durchführe, der könne auch sachlich über die Methoden informieren. Aber: „Die immer wieder betonte Forderung nach einer Ausbildung zum adäquaten medizinischen Vorgehen bei Abbrüchen ist [für mich] unverständlich. Facharztstandard in der Gynäkologie heißt: Fehlgeburten medizinisch richtig versorgen können. Das Vorgehen unterscheidet sich nicht von dem eines Abbruchs.“ Außerdem würden in Diskussionen häufig die Ausnahmesituationen zitiert. „Dabei wird vergessen, dass 96 % aller Abbrüche unter die Beratungsindikation fallen, kriminologische Indikationen liegen unter 1 % – was natürlich auch noch zu viel ist.“
Auch Matthias Beckmann, Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum Erlangen und Mitglied der Lernzielkatalogkommission, findet, dass die Forderung nach Aufnahme in den Lehrplan sachlich unbegründet sei. Beckmann ist Leitlinienbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und beteiligt an der neuen S2k-Leitlinie zum „Sicheren Schwangerschaftsabbruch“, die im April 2023 erscheinen soll. Die Leitlinie sei aber keine Voraussetzung für die Eingriffe und für die tägliche Arbeit der Frauenärzte nicht zentral. Eher sei sie politisch gewollt – „das Ganze ist ein politisches Thema“.
Ärzte seien in der Verantwortung, aufzuklären, so Brandt. „Keine Patientin zwischen Menarche und Menopause sollte ohne individuelles Antikonzeptionsgespräch die – insbesondere – gynäkologische Praxis verlassen.“ Bis zum 22. Lebensjahr werde Verhütung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. „Daneben gibt es Hilfsfonds für bedürftige Frauen aller Altersgruppen, wobei hier sicher noch Luft nach oben ist. Letztendlich müssen alle, die Aufklärungsarbeit betreiben können (Eltern, Schulen, Medien) mit ins Boot genommen werden.“ Es gehe auch um den verantwortlichen Umgang jedes einzelnen mit Sexualität – damit Schwangerschaftskonflikte erst gar nicht entstehen. „Das würde viel Leid ersparen, insbesondere den betroffenen Frauen und deren Familien.“
Es bleibt abzuwarten, ob die Expertenkommission der Ampel diesem Anspruch gerecht werden kann.
Bildquelle: Arina Krasnikova, pexels