Mit dem Beginn der Pilzsaison trudeln wieder die ersten Pilzvergiftungen in der Notaufnahme ein. Zeit für einen Refresher. Kennt ihr die giftigsten Pilze in Deutschland – und wisst ihr, wie man behandelt?
Herbstzeit ist Pilzzeit. Doch schnell landet die falsche Spezies im Korb. Während manche Pilze nur bitter und ungenießbar sind, enthalten einige stark giftige Inhaltsstoffe. Ein Überblick:
Foto: Archenzo/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0Rund 90 % aller Todesfälle durch Pilzvergiftungen gehen auf das Konto von Amanita phalloides, dem Grünen Knollenblätterpilz. Schon 50 g der Fruchtkörper im Pilzgericht können bei Erwachsenen tödliche Intoxikationen nach sich ziehen.
Vergiftungen werden durch zyklische Peptide ausgelöst, vor allem durch Amatoxine sowie durch Phallotoxine. Sie überleben aufgrund ihrer Stabilität auch das Kochen oder Braten und sind gegen Verdauungsenzyme resistent. Die Moleküle hemmen als Inhibitoren einer RNA-Polymerase die Proteinbiosynthese.
Gefährlich ist, dass es erst nach sechs bis 24 Stunden zu Übelkeit und Erbrechen kommt („gastrointestinale Phase“). Zu dem Zeitpunkt bringt es nichts mehr, den Magen auszupumpen. Allenfalls eine Hämodialyse kann noch Sinn machen. Zwischen 24 und 48 Stunden nach dem giftigen Mahl wird die Leber zunehmend geschädigt („hepatische Phase“). Im Blutbild sehen Ärzte ansteigende Leberwerte. Auch zu Störungen der Blutgerinnung kann es kommen. Sechs bis zehn Tage nach dem Verzehr sterben Patienten ohne Therapie. Die Beschwerden selbst werden Amatoxin-Syndrom genannt.
Was tun? Silibinin gilt als erste Wahl, um die Leber zu schützen, eventuell in Kombination mit N-Acetylcystein. Flüssigkeit, Elektrolyte und eventuell auch Gerinnungsfaktoren sind zu substituieren. In schweren Fällen oder bei zu später Diagnose bleibt Ärzten nur, Patienten für eine Lebertransplantation vorzuschlagen. Selbst unter intensiver Therapie sterben noch 5–10 % der Vergifteten.
Foto: B.Baldassari/ Wikimedia Commons, CC BY 2.5Er wird vor allem in jungen Stadien mit wildwachsenden Champignons verwechselt – der Kegelhütige Knollenblätterpilz (Amanita virosa). Toxikologisch steht er dem Grünen Knollenblätterpilz in nichts nach; die Symptome nach Pilzvergiftungen und die Therapiemöglichkeiten sind vergleichbar.
Foto: EmillimeS/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0Galerina marginata, so der wissenschaftliche Name, gehört ebenfalls zu den potenziell tödlichen Pilzarten. Tückisch ist die Ähnlichkeit zum Gemeinen Stockschwämmchen, einem Speisepilz. Der Gift-Häubling selbst enthält Amatoxine; Vergiftungserscheinungen ähneln dementsprechend dem Grünen Knollenblätterpilz.
Foto: Andreas Kunze/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0Cortinarius orellanus narrt Pilzsammler durch seine Ähnlichkeit zu schmackhaften Pfifferlingen. Er gilt, neben den Knollenblätterpilzen, als einer der gefährlichsten Giftpilze Europas. Das liegt an Orellanin, einer heterozyklischen Verbindung mit nephrotoxischen Eigenschaften. Sie führt zu oxidativem Stress in Zellen und hemmt spezifisch mehrere Enzyme. Dadurch wird die Proteinbiosynthese in den Nierenzellen unterbunden. Das Krankheitsbild selbst heißt deswegen auch Orellana-Syndrom.
Besonders tückisch ist, dass die Wirkung verzögert auftritt: frühestens nach 36 Stunden, in seltenen Fällen auch erst nach 14 bis 17 Tagen. In der Latenzphase sind die meisten Patienten beschwerdefrei. Übelkeit und Erbrechen werden nicht mehr mit der Pilzmahlzeit in Verbindung gebracht. Lendenschmerzen deuten später auf eine beginnende Schädigung der Nieren hin. Unspezifische Schmerzen, Schüttelfrost, extremer Durst und eine Polyurie sind auch charakteristisch für die Intoxikation.
Gefährlich ist die lange Latenzzeit. Damit macht es meist keinen Sinn mehr, Pilzmaterial aus Magen oder Darm zu entfernen. Eine Hämoperfusion kann noch Sinn machen, um Giftstoffe aus dem Blut zu entfernen; ggf. werden auch Steroide verabreicht. Ärzten bleibt ansonsten nur, Patienten zu dialysieren. In manchen Fällen ist eine Nierentransplantation erforderlich.
Foto: Andreas Kunze/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0Auch der Spitzgebuckelte Raukopf (Cortinarius rubellus) enthält den Giftstoff Orellanin. Verwechslungsgefahr besteht mit jungen Pfifferlingen. Details zur Vergiftung und zur Therapie siehe oben.
Foto: Tony Wills/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0Obwohl er zahlreiche Toxine herstellt, vergiften sich nur wenige Menschen mit Fruchtkörpern des Fliegenpilzes – sein Aussehen ist zu charakteristisch. Amanita muscaria enthält wie auch der Pantherpilz (Amanita pantherina) Ibotensäure, eine nicht proteinogene Aminosäure, und deren Abbauprodukt Muscimol. Bei längerer Trocknung bildet sich aus der Ibotensäure Muscimol, welches weniger giftig, dafür aber umso stärker halluzinogen sein soll. Beide Stoffe sind strukturell den Neurotransmittern Glutamat bzw. GABA ähnlich.
Vom Pantherpilz leitet sich das Pantherina-Syndrom für Vergiftungen ab. Nach wenigen Minuten bis Stunden treten erste Vergiftungserscheinungen auf, oft Schwindel und Müdigkeit, später auch Sinnestäuschungen, mit Halluzinationen und Krampfanfällen.
Ärzte sollten versuchen, Pilzreste per Magen-Darm-Entleerung aus dem Körper zu entfernen. Ansonsten orientiert sich die Behandlung an den vorherrschenden Symptomen. Wichtig ist, den Kreislauf zu überwachen. Bei Agitation können Benzodiazepine gegeben werden. Unter medizinischer Überwachung ist die Sterblichkeit recht gering.
Foto: ccfarmer/Wikimedia Comons, CC BY-SA 3.0Im weitesten Sinne sieht Amanita pantherina wie ein Fliegenpilz ohne die charakteristische Färbung aus. Er ist dem essbaren Grauen Wulstling (Amanita excelsa) jedoch ähnlich. Der Pantherpilz ruft das Pantherina-Syndrom hervor; Details sind beim Fliegenpilz zu finden.
Foto: Toffel/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0Zwar ist die Frühjahrs-Giftlorchel ein Giftpilz. Sie wurde jedoch in großen Mengen verkauft und verspeist – noch im 19. Jahrhundert tonnenweise am Münchener Viktualienmarkt. Wie kann das sein?
Gyromitra esculenta, so der wissenschaftliche Name, enthält Gyromitrin, eine stickstoffhaltige Verbindung, als Toxin. Das Molekül ist flüchtig, hydrolysiert leicht und zerfällt beim mehrmaligen Kochen und Spülen. In Deutschland darf die Frühjahrs-Giftlorchel nicht verkauft werden; auf finnischen Märkten soll sie noch erhältlich sein. Zu Vergiftungen kommt es vor allem im Nordosten Europas. Aus Gyromitrin entsteht ein Hydrazin-Derivat, das die Biosynthese von Vitamin B6 inhibiert; ein spezifisches Enzym wird gehemmt.
Ärzte beschreiben die Beschwerden als Gyromitra-Syndrom – mit Ähnlichkeit zum Amatoxin-Syndrom. Gastrointestinale Beschwerden treten nach sechs bis 25 Stunden auf; oft zu spät, um den Großteil der Pilze aus dem Körper zu entfernen. Nach einer scheinbaren Genesung innerhalb von zwei bis sechs Tagen folgt die lebensbedrohliche hepatorenale Phase mit Krämpfen, Organschäden und Blutungen. Vor allem die Leber und die Nieren sind betroffen, daher der Name der Phase.
Ärzte setzen auf symptomorientierte Therapien; sie geben Kochsalzlösung, dialysieren Patienten und verabreichen Vitamin B6, Folsäure bzw. Pyridoxin. Dennoch kommt es zu Todesfällen, meist aufgrund eines Multiorganversagens.
Foto: Jerzy Opioła/Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0Wie die Giftlorchel galt auch der Kahle Krempling (Paxillus involutus) lange Zeit als Speisepilz. Zwar werden beim Kochen oder Braten Giftstoffe zerstört, etwa Hämolysine und Hämagglutinine. Stabilere Inhaltsstoffe lösen jedoch das Paxillus-Syndrom aus. Hier handelt es sich nicht um eine Intoxikation im eigentlichen Sinne, sondern um eine Allergie. Solche Reaktionen sind selten, können aber vergleichsweise schwer ausfallen.
Nicht näher bekannte Moleküle wirken dabei als Antigene. Antigen-Antikörper-Komplexe binden an Erythrozyten; sie führen zur hämolytischen Anämie. Ein bis zwei Stunden nach dem Verzehr treten gastrointestinale Beschwerden auf. Auch von Hypotonie bis hin zum Kollaps wird berichtet. In schweren Fällen kommt es zu Nierenversagen.
Was lässt sich dagegen unternehmen? Patienten erhalten eine Infusionstherapie zum Ausgleich des Wasser- und Elektrolytverlusts. Ansonsten bleiben noch Dialyse oder Plasmapherese als Strategien. Am Paxillus-Syndrom sterben nur wenige Menschen. Es führt jedoch häufiger zu einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz.
James K. Lindsey/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0Sei Name verrät, dass es sich hier um den Doppelgänger des beliebten Speisepilzes handelt. Agaricus xanthodermus, so der wissenschaftliche Name, riecht nach Phenol (früher Karbol genannt). Er gilt als schwach giftig. Nach dem Konsum treten je nach Menge des toxischen Pilzgerichts Erbrechen und Durchfall auf, in schweren Fällen auch Schwindel und Sehstörungen. Die Symptome setzen 30 Minuten bis sechs Stunden nach dem Verzehr ein.
Ärzte gehen die Beschwerden symptomatisch an, etwa mit Flüssigkeitsersatz oder mit Unterstützung der Vitalfunktionen. Generell ist die Prognose gut.
Die Zahl an Giftpilzen ist weitaus höher als die hier Aufgeführten; schätzungsweise 150 gibt es in Europa. Für Ärzte bleibt das Problem, wie sie bei Hinweisen auf eine Vergiftung vorgehen sollten. Denn das ist leichter gesagt als getan.
Toxikologen raten Patienten oder deren Angehörigen, Material zu sichern, notfalls auch Erbrochenes. Giftinformationszentren wiederum vermitteln den Kontakt zu Pilzsachverständigen. Nur ist nicht immer ein Mykologe zur Stelle. Und nur die wenigsten Krankenhäuser haben Zugriff auf eine Routineanalytik, um Giftstoffe nachzuweisen. In etlichen Fällen ist auch keine Analytik für Serum- oder Urinproben möglich. Lediglich die Knollenblätterpilze bilden eine Ausnahme; mehrere Labors haben chromatographische oder immunchemische Tests auf Amatoxine im Programm.
Aufgrund der Problematik hat sich ein anderes Vorgehen bewährt. Falls Patienten noch Angaben machen können, wie viel Zeit zwischen der verhängnisvollen Pilzmahlzeit und dem Auftreten erster Symptome vergangen ist, bietet das wichtige Anhaltspunkte.
Damit gelingt wenigstens eine grobe Einteilung, wer intensivmedizinisch überwacht und aggressiv therapiert werden sollte. Vorsicht – manche Patienten haben vielleicht Pilzmischgerichte verspeist. Im Zweifelsfall sollten sie für mindestens 36 Stunden überwacht werden.
Quellen:
Deutsche Gesellschaft für Mykologie e.V., Fachausschuss Pilzverwertung und Toxikologie: Liste der Giftpilzarten nach Syndromen (online).
Flammer R.: Giftpilze: Pilzvergiftungen - Ein Nachschlagewerk für Ärzte, Apotheker, Biologen, Mykologen, Pilzexperten. AT Verlag, 2014
Wennig R, Eyer F, Schaper A, Zilker T, Andresen-Streichert H: Mushroom poisoning. Dtsch Arztebl Int, 2020. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0701 (online).
Bildquelle: Annie Spratt, unsplash.