Weihnachten ist das Fest der Liebe, der Geschenke und der Kalorien. Aber auch Herzinfarkte, Vergiftungen, Unfälle und besonders Suizide häufen sich in der weihnachtlichen Zeit, so die verbreitete Meinung. Was aber sagt die evidenzbasierte Datenlage zu diesen Klischees?
„Weihnachtsbäume können eine nicht unerhebliche Quelle für Schimmelpilze darstellen, deren Sporen bei Allergikern Reizungen in den Augen, der Nase und der Kehle, Kopfschmerzen sowie eine chronisch verstopfte Nase hervorrufen können“, heißt es beim Bundesverband der Pneumologen. Nach einer Studie von Johnston et al. treten in der Weihnachtszeit erheblich mehr COPD-Exazerbationen als in der gesamten Winterzeit auf. In den Weihnachtsferien kam es bei den 114 untersuchten Probanden zu 6,7 Exazerbationen pro Woche, im Rest des Winters nur zu 4,3. Als Ursache machen die Wissenschaftler sozioökonomische und logistische Gründe verantwortlich. Der Faktor vorweihnachtlicher Stress spielt vermutlich ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass die medizinische Versorgung in den Festtagen eingeschränkt ist. Andere Autoren vermuten, dass vermehrte Familienbesuche und engere soziale Kontakte zu mehr Atemwegsinfektionen und Pneumonien führen.
Harze, Zedernpollen, Schimmelsporen im Christbaum können allergische Reaktionen bis hin zu Asthmaanfällen oder Exazerbationen auslösen. Etherische Öle und Terpene sind normalerweise hilfreich bei Atemwegserkrankungen. Allergiker können darauf jedoch empfindlich reagieren. In den ersten drei Tagen gibt ein Weihnachtsbaum 800 Sporen pro Kubikmeter Luft ab, so eine Studie von Kurlandsky. Hat er sich erst mal an die heimische Umgebung gewöhnt, legt er richtig los: 5.000 Sporen pro Kubikmeter am Tag 14, wenn der Baum abgeschmückt wurde. 15 Prozent der Bevölkerung reagieren allergisch auf Schimmelsporen, besonders Asthmatiker sind betroffen.
Das Singen von (Weihnachts)Liedern kann für COPD-Patienten hilfreich sein. Eine Studie des Sidney De Haan Research Centre for Arts and Health in Folkestone, Großbritannien untersuchte an 97 COPD-Patienten die Auswirkung von Gesangsstunden auf den Krankheitsverlauf. Die Ergebnisse der Lungenfunktionstests als auch die Ergebnisse der Befragung hinsichtlich der gesundheitlichen Lebensqualität haben sich während der zehn Monate des Singprojekts deutlich verbessert. 22,7 % der Teilnehmer zeigten eine Veränderung ihres FEV1% von mehr als 120ml. Die Forcierte Vitalkapazität (FVC) erhöhte sich in der Studie von Clift et al. über den Verlauf der Untersuchung von 2.430 ml auf 2.540ml. FVC% steigerte sich innerhalb von zehn Monaten signifikant von 81,7 % auf 85,4 %.
Eine Untersuchung der DAK über einen Zeitraum von vier Jahren ergab, dass Weihnachten im wahrsten Sinne des Wortes ans Herz gehen kann. An Weihnachtstagen verbringen 40 Patienten wegen eines Herzinfarktes in der Klinik, üblicherweise sind es 30 Einweisungen. Besonders Männer waren in der Studie betroffen. Ken Eagle aus Texas vermutet, dass Katecholamine die Übeltäter sein könnten. Sein Target ist SULT1A, eine Sulfotransferase, die Katecholamine abbaut. Durch exzessives Essen während der Feiertage, massivem Alkoholkonsum und Stress wird SULT1A inhibiert und die Katecholaminspiegel steigen.
Zu einem völlig anderen Ergebnis hingegen kommt die Arbeitsgruppe um Jochen Senges vom Institut für Herzinfarktforschung Ludwigshafen an der Universität Heidelberg. Seine Analyse basiert auf dem MITRA-Plus-Register, dem größten europäischen Herzinfarktregister. Setzt man die Infarkthäufigkeit mit 100 % an, beträgt sie an den Tagen vom 20. bis 22. Dezember unterdurchschnittliche 99 % und sinkt ab dem 23. Dezember um weitere zehn Prozent. Die Arbeitsgruppe analysierte Daten von rund 36.400 Herzinfarktpatienten in einigen Hundert Kliniken. Entgegen den Erwartungen liegt die tägliche Infarktquote schon in den Vorweihnachtstagen nicht über dem über das Jahr berechneten Mittelwert. Dies mache Weihnachten „zu einer sehr interessanten Ausnahme von der Regel“, so die Autoren.
„Die Suizidrate ist in der Weihnachtszeit am höchsten“, dieser Mythos ist schon oft postuliert worden. Die Notärztin Gillian Beauchamp von der University of Cincinnati wollte es genau wissen und analysierte das Datenmaterial des National Poison Database System. Zwischen dem 1. Januar 2006 und dem 31. Dezember 2010 begingen 1,06 Millionen Menschen in den USA Suizid mit Gift. An Ostern, am Mutter- und Vatertag und am Memorial Day gab es weder mehr noch weniger Giftsuizide als an gewöhnlichen Tagen. An Weihnachten ereigneten sich hingegen weniger Suizide und Suizidversuche. Auch an Thanksgiving und am US-Nationalfeiertag am 4. Juli blieb das Gift häufiger im Schrank. Vermutlich ist die Suizidrate geringer, weil viele die Festtage im Kreis ihrer Familie verbringen. In Deutschland ist die Situation vergleichbar. Laut Statistischem Bundesamt werden ausgerechnet im Dezember wesentlich weniger Selbstmorde begangen, als in anderen Monaten. Im Jahr 2013 begingen im Dezember 720 Menschen Suizid. Im April waren es 969 und im August 843. Auch in den Jahren davor wurden im Dezember die wenigsten Suizide begangen. Es findet sich eine „Evidenz für eine saisonale Asymmetrie“. Vladeta Ajdacic-Gross von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich hat festgestellt, dass mit Beginn der Adventszeit bis zum Jahresende die Zahl der Suizide in der Schweiz kontinuierlich zurückgeht. Die Suizidrate ging im Dezember um 12 Prozent zurück, an einigen Tagen sogar um 30 Prozent. Die Schweiz hat mit 17,5 Selbsttötungen auf 100.000 Einwohner übrigens die höchste Rate in Westeuropa.
Sara López Rojo untersuchte in ihrer Studie „Weihnachten für unsere Diabetespatienten – ein zusätzliches kardiales Risiko“ die metabolischen Veränderungen in der Weihnachtszeit. Der Blutzucker stieg von 137,56 ± 40,64mg/dl vor auf 148,78 ± 43,08mg/dl nach Weihnachten. Der systolische Druck war nach Weihnachten höher, das Gewicht und der Bauchumfang auch. Eine Studie von Yanovski et al. zeigt hingegen, dass wir zwischen Neujahr und Weihnachten und nicht zwischen Weihnachten und Neujahr zunehmen. Die Gewichtszunahme zwischen Weihnachten und Neujahr beträgt nur 370 Gramm. Die Feiertage sind also in vielen Punkten an Morbus Crystmas unschuldig.