Sonja ist Mitte 30 und blutet wie ein Wasserfall aus Mund und Nase. Sie hat unglaubliche Angst. Wir wissen nicht sofort, was sie hat – aber eines ist jetzt besonders wichtig: die Kommunikation.
Freitagabend in der Notaufnahme. Der Rettungsdienst hat gerade eine neue Patientin gebracht – Leitsymptom Nasenbluten, das aber wieder aufgehört hatte. Jetzt ruft eine Pflegekraft laut aus Zimmer 8: „Sie blutet!“
Ein paar Sekunden später fahren wir die junge Patientin aus dem Überwachungszimmer in den Schockraum gegenüber. Ich laufe neben der Trage. Auf ihr liegt Sonja. Sonja ist in ihren 30ern, Diplom-Ingenieurin, plötzlich mitten aus dem Leben gerissen. Das Blut sprudelt wie ein Wasserfall aus Mund und Nase. Wir wissen nicht genau, woher es kommt – sie kann kaum mehr atmen, würgt, hustet, spuckt, schlägt um sich, kämpft um ihr Leben, das Bett durchnässt von einer Mischung aus Blut und Urin. Das ist kein normales Nasenbluten – später werden wir herausfinden, dass es aus der Carotis interna kommt.
Die Blutung will nicht stehen, wir versuchen, zu tamponieren, rufen den diensthabenden Anästhesie-Oberarzt. Sie braucht einen Tubus und zwar sofort. Innerhalb von 5 Minuten hat Sonja zwei großlumige Zugänge, Noradrenalin – Perfusor, arteriellen Zugang und die ersten EKs laufen über einen neu gelegten Dialyse-Katheter in der Leiste. Sie kriegt davon nicht mehr wirklich was mit.
Die Blutung konnten wir etwas stoppen, aber Sonja ist kaltschweißig und deutlich eingetrübt. Alle sind für die Intubation bereit. In einem kurzen Moment klart sie etwas auf, öffnet die Augen halb und schaut mich geschwächt an. Mir fällt auf, dass ich anscheinend die ganze Zeit unterbewusst ihren Kopf gestreichelt und ihr beruhigende Worte zugesprochen habe. Ein kurzer Moment der Menschlichkeit inmitten der dystopischen Umgebung einer Schockraumversorgung. Ihr fällt es sichtlich schwer, die Augen offenzuhalten: „Was passiert mit mir?“, fragt sie mich.
Ich weiß es nicht, denn wir können den Tatsachen aktuell nur hinterherlaufen, versuche aber, möglichst ruhig, sanft zu klingen: „Hey, alles gut. Wir legen dich jetzt schlafen. Wir kümmern uns um dich.“ Das Midazolam scheint anzukommen. Sonja driftet weg, wird intubiert. Nur weiß ich in diesem Moment noch nicht, wie viele Komplikationen sie noch vor sich haben sollte und wie es am Ende ausgeht.
Es sind Momente wie dieser, in denen uns wieder einmal klar wird, dass wir nicht nur Verantwortung für die medizinische Therapie eines Menschen, sondern auch für den Menschen an sich tragen – mit all den Sorgen, Ängsten, Ungewissheiten.
Was sagt man in so einer Situation? Hier kann man lange diskutieren. „Alles gut“ – stimmt sicherlich nicht. Aber geht es in so einem Zusammenhang wirklich darum, dem Patienten auf der Sachebene korrekte Informationen zu übermitteln? Wohl eher nicht. In vielen emotional aufgeladenen Situationen oder Gesprächen mit Patienten kommen eh nur wenige Fakten beim Gegenüber an. Das wissen wir schon lange aus der Forschung bei schwierigen Gesprächen, wie Erstdiagnose- oder Angehörigengesprächen, dem Überbringen schlechter Nachrichten. Diese Gespräche sind für uns Alltag, für unsere Gegenüber nicht.
Hier geht es also in erster Linie darum, die Menschen emotional abzuholen und zu unterstützen. Das gesprochene Wort ist unser Instrument, der menschliche Kontakt z. B. in Form einer Berührung, gerade in Zeiten von verstärkter (Covid-verursachter) Sterilität, unser Verstärker. Je nachdem, wie wir Informationen verpacken, können wir unterschiedliche Interpretationen ein und derselben Botschaft mit unterschiedlichen Reaktionen hervorrufen – und im Extremfall sogar die Botschaft an sich verändern.
Wir beeinflussen auf unterschiedliche Art und Weise jederzeit, wie unsere Botschaften beim Empfänger ankommen – meistens unbewusst. Die Rolle nonverbaler (Mimik, Gestik, Augenkontakt) und paraverbaler (Tonalität, Sprachtempo, Lautstärke) Kommunikation wird hier zu oft unterschätzt. Zu diesem Thema gibt es einen Haufen Bücher und Lehrveranstaltungen mit allerlei Modellen und „Algorithmen“, mit denen man jede Situation mühelos meistern soll (Spoiler: Es handelt sich, wie so oft in der Medizin, lediglich um einen Leitfaden, von dem individuell gut und gerne abgewichen werden kann und darf).
Ein in diesem Zusammenhang wichtiger Aspekt: das Framing, die Wortwahl. In speziellen Situationen sollten wir noch präziser unsere Worte wählen, um die Wirkung der Botschaft aktiv zu beeinflussen. Teilweise bringen wir Patienten auch erst nur auf bestimmte Gedanken, indem wir neue Wörter aussprechen: „Wir gehen derzeit nicht von etwas Bösartigem aus.“ – „WAS? ETWAS BÖSARTIGES???“ Andere Beispiele:
Wir sollten entsprechend versuchen, Verneinungen zu vermeiden und stattdessen positiv zu kommunizieren. Das fällt schwer, denn medizinisch denken wir anders. Wir schließen aus, halten eine Diagnose für unwahrscheinlich, entscheiden uns gegen eine Therapie.
Sehr eindrücklich kann man des Pudels Kern, das beim ersten Blick paradox erscheinende Phänomen, bei Kleinkindern beobachten. Auf „Stolper nicht!/Nicht hinfallen!“ folgt in bestimmten Altersgruppen gerne mal ein Stolpern und Hinfallen. Warum? Um Verneinungen verstehen zu können, müssen wir uns zuerst das verneinte Wort im Kopf vorstellen: Das Stolpern, das Hinfallen. Was bedeutet dieses Wort nochmal? Und zack – Hannah plumpst mit großen Augen aus dem Stand enthusiastisch in die Pfütze. Der rosa Elefant grüßt. (Für alle die nicht wissen, wovon ich rede: Mit der Bitte, jetzt nicht an einen rosa Elefanten zu denken, bewirken wir genau das Gegenteil.) Für uns ist dies nicht nur im pädiatrischen Bereich interessant, denn die geistige Bandbreite von Erwachsenen geht in (emotional) fordernden Situationen oft in Richtung der kleinen Hannah.
Was spricht denn dagegen, beim ängstlichen Patienten mit Herzinfarkt und Tachykardie als First-Line-Medikament zur Frequenzkontrolle nicht den Betablocker zu nehmen, sondern erstmal ein paar Worte? Auf Augenhöhe, entschleunigt, mit beruhigender Stimme.
Wenn folglich als Ziel gilt, dass unser Gegenüber möglichst emotional unbelastet und unaufgewühlt aus der Situation herausgeht, müssen wir unseren Kommunikationsstil entsprechend anpassen. Natürlich nur wenn möglich und sinnvoll. Mein Vorschlag soll hier eine Einladung zur durchdachteren Kommunikation sein, aber natürlich nicht, wenn gefordert, eine realistische Kommunikation mit dem Patienten ersetzen. Denn auch die 80-jährige Patientin mit schmerzlosem Ikterus verdient von Anfang an ungeschönte Ehrlichkeit und eine realistische Erwartungshaltung – die durch unsere Kommunikation gesetzt wird.
Für die Leute, die nur runtergescrollt haben, um die Zusammenfassung zu lesen: Hier seid ihr richtig.
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Bildquelle: Marc Szeglat, unsplash