Komplexe Beziehungen von Bakterien und ihrer Umwelt zu verstehen, ist schwierig. Umso wichtiger sind die Methoden, um diese aufzuschlüsseln. Das Darmmikrobiom bietet dabei die nötige Vorlage.
Mikrobiome prägen die Gesundheit von Menschen und Umwelt. Wie sie das tun, verrät eine Analyse der Funktionen, die einzelne Mikroben in diesen Gemeinschaften von Mikroorganismen übernehmen. Wissenschaftler der Universität Wien haben in Zusammenarbeit mit Photonikern der Universität Boston eine Mikroskopie-Methode entwickelt, mit der sie Bakterienzellen in Millisekunden identifizieren und gleichzeitig ihre Stoffwechselaktivität bestimmen können.
Ihre Methode zur Funktionsanalyse ist damit 100- bis 1.000-Mal schneller als bisher verfügbare Ansätze. Sie ermöglichte den Forschern neue Erkenntnisse zum Abbau von Mukus durch das Darmmikrobiom des Menschen. Die Erkenntnisse können dazu beitragen, die Anfälligkeit einiger Menschen für entzündliche Darmerkrankungen zu erklären. Die Studie ist nun in der Fachzeitschrift The Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.
Im menschlichen Darm gedeihen hunderte verschiedene Bakterienarten. Sie sind Teil des Darmmikrobioms und ihre vielfältigen Funktionen beeinflussen die Gesundheit des Menschen. Eine der wichtigsten Aufgaben der Mikrobiomforschung ist daher, die Funktionen unserer mikrobiellen Mitbewohner zu entschlüsseln und zu erforschen, wie diese gezielt beeinflusst werden können.
Da sich Bakterien im Labor in Reinkultur häufig völlig anders verhalten als in komplexen Lebensgemeinschaften, ist die direkte Funktionsanalyse, die die Funktionen einzelner Mikroben in komplexen Mikrobiomproben und damit in ihrem natürlichen Lebensraum erfasst, besonders aussagekräftig. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Ji-Xin Cheng von der Universität Boston ist es Forschern des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien nun gelungen, einen bildgebenden Ansatz zu entwickeln, der Proben in Hochgeschwindigkeit analysiert.
Die direkte Funktionsanalyse macht Bakterien und das Fressverhalten einzelner Bakterienzellen mittels chemischer Bildgebung sichtbar. Hierfür wird die Mikrobiomprobe mit einem Substrat versetzt, das mit einem stabilen Isotop markiert ist. Mikroben, die dieses Substrat verstoffwechseln, werden entlang des Prinzips „Du bist was du isst“ mit dem stabilen Isotop markiert. Über den Isotopengehalt einzelner Bakterienzellen kann somit ihr Fressverhalten analysiert werden. Gleichzeitig werden unterschiedliche Bakterienarten farbig mithilfe fluoreszenzmarkierter Gensonden markiert, die sich jeweils an die Ribosomen ganz bestimmter Bakterien heften.
Aufgrund des hohen Zeitaufwands für die Messung selbst konnten Forscher bisher sogar mit den modernsten Analyseverfahren immer nur relativ wenige Zellen pro Probe untersuchen. „Dies ist problematisch, da Mikrobiomproben hunderte Bakterienarten in verschiedenen Häufigkeiten enthalten. Die bisher verfügbaren Analysen waren daher nur für die jeweils dominanten Mikrobiommitglieder geeignet. Viele weitere gerieten aus dem Blick“, erklärt Michael Wagner, Mikrobiologe und stellvertretender Leiter des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft.
Das internationale Forschungsteam reduzierte durch die Kombination von Stimulierter Raman Streumikroskopie (SRS) und Zwei-Photonen-Mikroskopie die für die Identifizierung und Bestimmung des Isotopengehalts notwendige Messzeit auf Millisekunden und damit um 2 bis 3 Größenordnungen im Vergleich zur konventionellen Ramanspektroskopie. „Mit dieser Hochgeschwindigkeitsmethode konnten wir nun in kürzester Zeit den Isotopengehalt von mehr als 30.000 Bakterienzellen aus menschlichen Darmproben nach Inkubation mit verschiedenen Zuckern, die im Darm-Mukus vorkommen, bestimmen“ berichtet Wagner.
„Dabei zeigte sich zu unserer Überraschung, dass bestimmte Clostridien eine wichtige und bislang unbekannte Rolle beim Abbau des Schleimhautzuckers Fucose spielen“, ergänzt Fátima Pereira, Co-Erstautorin der Studie und Senior PostDoc in der Wiener Forschungsgruppe. Der Befund ist bemerkenswert, da Fucose die Schnittstelle zwischen der Schleimhaut und dem Darmmikrobiom darstellt. Jeder fünfte Mensch kann jedoch keine Fucosylierung des Darm-Mukus durchführen und zeigt ein erhöhtes Risiko für entzündliche Darmerkrankungen. Aktuelle Forschungsprojekte versuchen u.a. gezielt Probiotika einzusetzen, um das Erkrankungsrisiko dieser Personen zu reduzieren. Damit dies gelingen kann, ist es wichtig zu verstehen welche Mikroben vom Fucoseabbau im Darm profitieren und den betroffenen Personen möglicherweise fehlen.
In einem aktuellen Forschungsprojekt verwendet das Forschungsteam die neu entwickelte Methode nun, um zu untersuchen, wie Medikamente, die zur Behandlung von Parkinson und Schizophrenie häufig verschrieben werden, das Darmmikrobiom des Menschen beeinflussen. „Der Einsatz dieser neuen Methode beschränkt sich aber nicht auf humane Mikrobiom, sondern eröffnet auch völlig neue Möglichkeiten in der Erforschung von Mikrobiomen der Umwelt“, erläutert Wagner.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Wien. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text.
Bildquelle: CDC, unsplash