Nicht immer sind bei einer Exazerbation der COPD Antibiotika nötig. Aber wann sind sie es doch? Und wie lange sollte man sie dann geben? Wir haben nachgefragt.
Bei der Chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) kommt es zu einer dauerhaften Verengung der Atemwege, anhaltenden Entzündungen und einer Zerstörung von Lungengewebe. Etwa acht Prozent der Menschen in Deutschland leiden an einer COPD, weltweit ist sie laut WHO die dritthäufigste Todesursache. Bei einer akuten Exazerbation der COPD (AECOPD) werden häufig Antibiotika verordnet. Doch sind sie wirklich immer notwendig? In welchen Fällen ist eine Antibiotikagabe gerechtfertigt und wann sollte sie unterbleiben? Und wie kann eine verantwortungsvolle Verordnung von Antibiotika gewährleistet werden, die die Entstehung von Resistenzen reduziert?
Typische Symptome einer akuten Exazerbation der COPD sind eine zunehmende Atemnot bis hin zu Atemnotanfällen, vermehrter Husten und eine verstärkte Sputumproduktion. Die Symptome halten mindestens zwei Tage an und machen eine Intensivierung der Therapie erforderlich. Darüber hinaus kann Fieber auftreten. Allerdings sind die Symptome oft nicht ganz klar einzuordnen und die Beurteilung, ob eine Lungenentzündung vorliegt, kann schwierig sein. In der Nationalen Versorgungsleitlinie COPD von 2021 wurde das Kapitel zur Exazerbation bisher noch nicht veröffentlicht. Wie sollte also vorgegangen werden?
„Der erste wichtige Punkt bei der Behandlung einer Exazerbation ist eine Optimierung der inhalativen Therapie“, erläutert Prof. Torsten Bauer. Er ist Chefarzt der Klinik für Pneumologie in der Lungenklinik Heckeshorn am Helios-Klinikum Emil von Behring in Berlin-Zehlendorf und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). „Viele Patienten machen Fehler bei der Inhalation, so dass eine korrekte Handhabung des Geräts sichergestellt werden sollte.“ Ein weiterer essentieller Baustein der Therapie ist eine antientzündliche Behandlung mit Glukokortikoiden. Dabei werden in der Regel 40 Milligramm Prednisolon in Tablettenform über fünf Tage gegeben. Wichtig ist zudem, eine ausreichende Sauerstoffversorgung sicherzustellen – insbesondere bei schwerer COPD und bei mehrfachen oder schweren Komorbiditäten, etwa einer Koronaren Herzkrankheit (KHK).
An dritter Stelle der Therapie stehen Antibiotika. Diese sind nur bei einer Exazerbation infolge eines bakteriellen Atemwegsinfekts wirksam. Doch wie lässt sich dieser zuverlässig feststellen? „Es klingt zwar ein bisschen nach Medizin aus den 1920er Jahren, aber: Das beste Kriterium für die Entscheidung, ob ein Antibiotikum gegeben werden sollte oder nicht, ist die Sputumfarbe“, erläutert Bauer. „Eine gebliche Farbe lässt auf das vermehrte Vorliegen von Bakterien und damit eine infektassoziierte Exazerbation schließen.“ In diesem Fall kann eine Antibiotikagabe erwogen werden. „Bei gräulichem oder sogar weißem Sputum ist die Exazerbation dagegen sehr wahrscheinlich nicht infektassoziiert. Dies rechtfertigt es, kein Antibiotikum zu geben“, so der Pneumologe. Eine online verfügbare Skala kann dabei helfen, die Sputumfarbe zu beurteilen.
Etwa die Hälfte der Exazerbationen sind infektassoziiert, die andere nicht. Und bei nicht infektassoziierten Exazerbationen ist die Ursache oft unklar. „Hier liegt ebenfalls eine Entzündungsreaktion vor, die aber nicht bakteriell oder viral bedingt ist“, erläutert Bauer. „Sie geht möglicherweise auf eine nicht erkannte Allergie oder auf Reizfaktoren wie Rauch oder Feinstaub zurück.“ Bei den infektassoziierten Exazerbationen ist wiederum etwa die Hälfte bakteriell, die andere Hälfte viral bedingt. „Die Unterscheidung zwischen viraler und bakterieller Infekt-Exazerbation ist jedoch bis heute nicht gelungen“, so der Experte. „Deshalb muss man leider sagen: 50 Prozent erhalten das Antibiotikum umsonst. Und wir wissen nicht, welche 50 Prozent es sind.“
Wichtig ist die Abklärung, ob eine Lungenentzündung vorliegt oder nicht – denn sie sollte in jedem Fall mit einem Antibiotikum behandelt werden. Hat der Patient kein Fieber, ist dies ein deutlicher Hinweis, dass keine Pneumonie vorliegt. Werden beim Röntgen Infiltrate in der Lunge festgestellt, ist das ein klares diagnostisches Kriterium für eine Pneumonie. „Ist also das Sputum gelb und es liegt kein Infiltrat vor, kann ein Antibiotikum ebenfalls vorenthalten werden“, erläutert Bauer. „Wenn der Patient aber in diesem Fall ein Antibiotikum fordert, kann der Arzt es ihm verschreiben.“
Laboruntersuchungen spielen bei der diagnostischen Einschätzung eine eher geringe Rolle. Hilfreich ist das hypersensitive Procalcitonin, das auf eine systemische Entzündung hinweist. Ist dieser Paramenter nicht erhöht, liegt mit hoher Sicherheit keine Lungenentzündung vor. Weiterhin kann auch der CRP-Wert – die Höhe des Entzündungsmarkers C-reaktives Protein – aufschlussreich sein: Ein Wert über 50 mmol/l ist ebenfalls ein deutlicher Hinweis auf eine Pneumonie. Als normal gilt ein Wert bis zu 5 mmol/l.
In Kliniken stehen solche diagnostischen Möglichkeiten zeitnah zur Verfügung. Niedergelassene Ärzten haben diese Möglichkeiten jedoch oft nicht oder die Abklärung, etwa mithilfe von Röntgen, wäre deutlich zeitaufwändiger. „Dies ist auch der Bereich, wo eher zu viele Antibiotika verschrieben werden und wo es Optimierungsbedarf gibt“, sagt Bauer. „Allerdings ist die Entscheidung dort auch schwieriger. Die Ärzte stehen vor dem Dilemma, einerseits nicht zu viele Antibiotika zu verschreiben, aber auch keine Lungenentzündung zu übersehen.“
Ein wichtiges und relativ einfaches diagnostisches Instrument ist das Abhören der Lunge. Ist bei der Auskultation ein Giemen und Brummen zu hören, ist dies ein deutlicher Hinweis auf eine Verengung der Atemwege und damit auf eine AECOPD. Allerdings kann es auch vorkommen, dass keine Atemgeräusche zu hören sind. Man spricht auch von einer Silent Lung, die auf eine schwere Obstruktion der Atemwege hindeutet. In diesem Fall sollte der Patient ebenfalls Antibiotika erhalten und im Krankenhaus behandelt werden. „Das Abhören ist aber auch zur Abklärung von Differentialdiagosen wichtig“, betont Bauer. „So kann bei Luftnot auch eine Lungenembolie oder eine Lungenstauung bei einer Herzinsuffizienz vorliegen.“ Dies sollte mit weiteren diagnostischen Mitteln abgeklärt werden. Bei einer Lungenstauung sollte unbedingt die Ursache genauer abgeklärt werden. Eine Lungenembolie muss notfallmedizinisch behandelt werden.
Weiterhin gibt es Fälle, in denen bei einer Exazerbation auf jeden Fall – unabhängig von der Sputumfarbe – ein Antibiotikum gegeben werden sollte. „Wichtige Kriterien sind die Schwere der COPD und weitere Erkrankungen des Patienten“, erläutert Bauer. „Bei schwerer COPD und bei vielen oder schweren Komorbiditäten sollte ein Antibiotikum nicht vorenthalten werden. Meist ist dann auch eine Behandlung im Krankenhaus notwendig.“ Das betrifft zum Beispiel eine schwere COPD mit Lungenemphysem – einer chronischen Aufblähung der Lungen – oder eine COPD mit gleichzeitig bestehender Herzkrankheit.
Insgesamt sollte es das Ziel sein, Antibiotika eher hochdosiert, aber über einen möglichst kurzen Zeitraum zu geben, betont der Experte. „Studien haben gezeigt, dass eine Antibiotikagabe bei einer Pneumonie über drei Tage genauso effektiv ist wie eine Gabe über sieben Tage. Und auch in der Praxis ist es schon gelungen, die Länge der Antibiotikagabe bei einer AECOPD deutlich zu reduzieren: Auf Intensivstationen von durchschnittlich 14 auf acht Tage, auf Normalstationen von zehn auf fünf bis sieben Tage.“ Das Ziel für die Zukunft ist aus seiner Sicht eine weitere Verkürzung, bei einer Pneumonie idealerweise auf drei Tage.
So ergab auch eine aktuelle Studie mit insgesamt 310 Patienten, dass eine AECOPD durch eine zweitägige Behandlung mit Levofloxacin genauso effektiv behandelt werden konnte wie durch eine siebentägige Gabe. Auch bei der Notwendigkeit einer zusätzlichen Antibiotikagabe und einer Behandlung im Krankenhaus unterschieden sich die beiden Gruppen nicht. Eine nur zweitägige Behandlung mit Antibiotika könnte also für eine erfolgreiche Behandlung einer Exazerbation ausreichend sein und zugleich die Entstehung von Resistenzen verringern, schreiben die Autoren.
Als Antibiotikum der ersten Wahl sollte ein Aminopenicillin mit β-Lactamase-Inhibitor für maximal 5 Tage gegeben werden, entweder Amoxicillin oder Ampicillin. „Chinolone wie Levofloxacin sollten dagegen eher zurückhaltend eingesetzt werden“, erläutert Bauer. „Sie sollten nur bei einer Exazerbation bei schwerster COPD mit Pseudomonas-Nachweis oder -Verdacht gegeben werden. Denn eine Nebenwirkung der Kombination von Cortison und einem Antibiotikum wie Levofloxacin kann ein Achillessehnenriss sein, der für die Patienten sehr unangenehm sein kann.“ Bei Pseudomonas handelt es sich um Bakterien, die Biofilme in der Lunge bilden, so dass Antibiotika und andere Medikamente nicht mehr effektiv wirken.
Eine längerfristige Antibiotikagabe als Prophylaxe wird nur in wenigen Ausnahmefällen eingesetzt – etwa bei schwer immunsupprimierten Patienten. Das Makrolid-Antibiotikum Azithromycin kann bei schwerer COPD mit Pseudomonas-Besiedelung längerfristig als adjuvante Therapie eingesetzt werden. „Es handelt sich dabei um ein Antibiotikum, das die Biofilmbildung der Pseudomonas-Bakterien stört, so dass andere Medikamente überhaupt erst wieder wirken können“, so der Experte.
Aber auch die Vorbeugung von Exazerbationen kann dazu beitragen, eine übermäßige Antibiotika-Gabe – und eine weitere Verschlechterung der COPD – zu vermeiden. Für die Prävention können die Patienten selbst einiges tun. „Hier spielen vor allem Lifestyle-Faktoren eine Rolle“, sagt Bauer. „Der wichtigste ist, mit dem Rauchen aufzuhören. Denn dies ist der Hauptrisikofaktor für die Entstehung und das Fortschreiten einer COPD.“ Obwohl dies für viele Patienten sehr schwierig ist, sollten Ärzte – auf empathische Weise – immer wieder Unterstützung beim Rauchstopp anbieten.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Betroffenen sollten sich gegen Influenza, Pneumokokken und natürlich SARS-CoV-2 impfen lassen. „Bei den ersten beiden Impfungen liegt die Impfquote bei COPD-Patienten nur bei 17 Prozent. Da könnte man also noch viel herausholen“, betont Bauer. Ebenfalls wichtig ist eine regelmäßige und korrekte Anwendung der Inhalation.
Wichtig sind aus Sicht des Pneumologen auch neue Ansätze bei Diagnostik und Therapie. Dazu möchte auch eine aktuelle Sonderpublikation in The Lancet anregen. Um eine gezieltere Vorbeugung und Behandlung zu ermöglichen, plädieren die Autoren für eine neue Einteilung der COPD anhand des wichtigsten Risikofaktors:
Zudem sollte die Diagnostik aus Sicht der Autoren deutlich erweitert werden, um eine COPD bereits in einem früheren Stadium zu erkennen, in dem möglicherweise noch eine Heilung möglich ist. Eine Exazerbation sollte anhand objektiver Kriterien diagnostiziert und mit präziseren Ansätzen behandelt werden.
„Die verschiedenen Ursachen einer COPD werden in Deutschland zwar bei der Diagnostik und Behandlung schon berücksichtigt“, sagt Bauer. „Aber die Lancet-Publikation ist aus meiner Sicht sehr gut, weil sie darauf aufmerksam macht, dass es bei Diagnostik und Therapie der COPD in den letzten 25 Jahren wenig Innovationen gab – und weil sie neue Forschungsansätze anstoßen kann.“
So ist die Spirometrie (Lungenfunktionstest) als hauptsächliches diagnostisches Instrument aus seiner Sicht nicht optimal. „Interessant wäre es dagegen, den Grad der Entzündung der Lunge bestimmen und so auch das Fortschreiten der COPD besser beurteilen zu können“, so der Pneumologe. „Das könnte zum Beispiel mithilfe von Entzündungsparamentern in der Ausatemluft geschehen, wie es bei Asthma bereits möglich ist.“ Auch bei der antientzündlichen Behandlung wären neue Ansätze sehr wünschenswert. „Hier haben wir bei der COPD nach wie vor nur Cortison, das bei längerfristigem Einsatz zu deutlichen Nebenwirkungen führen kann“, sagt Bauer. „Bei anderen entzündlichen Erkrankungen, etwa aus dem rheumatischen Formenkreis, stehen dagegen bereits mehr als 10 therapeutische Wirkstoffe zur Verfügung.“
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