Verzweifelten Frauen mit Kinderwunsch, aber ohne fertile Eizellproduktion, kann seit letztem Jahr auch in Deutschland geholfen werden: Mit „übrig gebliebenen“ Embryonen anderer Kinderwunschpaare, die es eigentlich gar nicht geben dürfte.
In Spanien und Tschechien werden Wünsche nach einer jungfräulichen Geburt auch für Frauen ohne Menstruation zuverlässig erfüllt. Vorausgesetzt, die Dame oder das Paar hat genügend Ersparnisse, um sich die Prozedur der Einpflanzung eines befruchteten Embryos leisten zu können. Bis zu 5.000 Frauen oder Paare pro Jahr, so schätzen Reproduktionsexperten, nutzen diesen Embryonal-Tourismus, um sich so den Wunsch nach eigenen Nachkommen zu erfüllen.
Rund sechs Millionen Paare in Deutschland haben einen bisher unerfüllten Kinderwunsch. Besonders dann, wenn die unzureichende Fertilität auf Seiten der Frau liegt, wird es in Deutschland schwierig. Aber auch hier könnte es, davon ist das „Netzwerk Embryonenspende“ überzeugt, in Zukunft etliche „Schneeflocken-Kinder“ geben. „Snowflake Children“ hießen die ersten Kinder in den Vereinigten Staaten, die vor knapp 20 Jahren in eine Familie mit völlig unterschiedlichem Erbgut hineingeboren wurden. Junge Frauen, die aufgrund einer Erkrankung oder etwa einer onkologischen Behandlung keine fruchtbaren Eizellen produzieren – das sind immerhin drei bis vier Prozent aller Frauen in Deutschland – können sich seit letztem Jahr auf eine Warteliste für Embryonen anderer Paare setzen lassen. Ist das nun der Beginn eines legalisierten Menschenhandels in Deutschland? „Nein“, sagt Hans-Peter Eiden vom neu gegründeten Verein, der diesen Frauen zu einem erfüllten Leben verhelfen will.
16 Kinderwunschzentren aus Bayern und eines aus dem württembergischen Aalen haben sich zum „Netzwerk Embryonenspende“ zusammengeschlossen. Es sieht sich als Vermittler zwischen Paaren, die eine Kinderwunschbehandlung erfolgreich abgeschlossen haben und solchen, bei denen eine in-vitro-Fertilisation mit den eigenen Eizellen nicht möglich ist. Eine Eizellspende genauso wie ein „Handel“ mit Embryonen ist hier in Deutschland nicht erlaubt. Weil aber die Beteiligten dabei altruistisch, also ohne Gewinn, arbeiten, kommen sie dabei nicht mit dem Gesetz in Konflikt. Das Embryonenschutzgesetz sagt, dass der Arzt nach der Vereinigung von Eizelle und Samen in der Kulturschale nicht mehr als drei Embryonen in den Uterus einsetzen darf, um Komplikationen bei Mehrlingsgeburten zu umgehen. Die Erfolgsrate dieser Technik liegt weit unter 50 Prozent. Daher sind meist mehr als drei Befruchtungen notwendig, um eine erfolgreiche Schwangerschaft in Gang zu setzen. „In der Regel bedarf es sechs befruchteter Eizellen oder sechs Eizellen im Vorkernstadium“, so Angelika Eder von Profertilita Kinderwunschzentrum in Regensburg, „auf dass man am Ende der verlängerten Kultur auch zwei schöne reife Embryonen generiert.“ Was aber soll mit jenen mühsam unter Hormonstimulation generierten und befruchteten Eizellen geschehen, die nicht anschließend in den Bauch der Schwangeren in spe wandern? In Bayern sind entsprechend einer Umfrage auf diese Weise rund 28.000 Zellen im Vorkernstadium in Stickstofftanks gelagert. Das sind Eizellen, in die das Spermium eingedrungen ist und bei denen sich jeweils zwei „Vorkerne“ gebildet haben. Diese Vorkerne sind jedoch noch nicht verschmolzen. Daher handelt es sich auch nicht um einen kompletten Embryo, den der Uterus ohne vorherige in-vitro-Kultur aufnehmen würde. Die meisten dieser Reserve-Eizellen sind für weitere Versuche des möglichen Spenderpaars gedacht. Erst wenn dieses seine Familienplanung für abgeschlossen erklärt, stellt sich die Frage nach dem weiteren Schicksal dieser Zellen.
Zellen auf Vorrat befruchten, die für die Weitergabe an andere gedacht sind, das funktioniert bei diesem Vermittlungsangebot nicht. Das Spenderpaar bekommt keine Entschädigung. Allein die Lagerungsgebühr in den Stickstofftanks der Zentren fällt weg, sofern sich das Paar nicht schon vorher zum Auftauen dieser Zellen entschlossen hat. Diese Kostenstelle kann jedoch leicht mehrere hundert Euro pro Jahr betragen. Vor der Weitergabe empfiehlt das Netzwerk eine externe Beratung, um sich der Konsequenzen eines weiteren „Geschwisterchens“ klar zu werden, das in eine fremde Familie hineingeboren wird. Zu einem bedingungslosen „Ja“ zur Spende gehört auch ein HIV-Test zum Schutz der Empfänger. Das Netzwerk gleicht auch die groben äußeren Merkmale wie Haar- und Hautfarbe von Spender und Empfänger ab, um das Kind und seine Eltern vor allzu neugierigen Nachfragen Unbeteiligter zu schützen. Das Risiko für ein möglicherweise behindertes Kind tragen jedoch allein die Empfänger. Anders als etwa in den USA teilweise praktiziert, werden sich die beiden Paare niemals kennenlernen. Die Daten der Spender bleiben unter Verschluss und sind nur dem Kind nach seinem 18. Geburtstag zugänglich. Während etwa in Spanien oder jenseits des Atlantik je nach US-Bundesstaat auch alleinstehende oder lesbische Frauen auf diese Weise zu einem Nachkommen aus der eigenen Gebärmutter kommen können, ist das in Deutschland ausgeschlossen. Auch das Alter haben die Mediziner vom Netzwerk auf 45 bei der Frau und 55 Jahre beim Mann begrenzt.
Warum gibt es diese Form der Fertilisation nur in Süddeutschland? Der Vorstoß der bayerischen Reproduktionsmediziner wurde gerade von konservativen Kreisen mit viel Kritik bedacht. Das Embryonenschutzgesetz in Deutschland stammt aus dem Jahr 1990 und gehört zu den strengsten in Europa. Die Kinderwunschärzte im übrigen Deutschland wollen noch etwas warten, bis die Rechtslage klarer ist. Ein juristisches Gutachten bestätigt jedoch die Aktion des Netzwerks vor dem Gesetz. Vor einigen Monaten stellte auch die Staatsanwaltschaft München ihre Ermittlungen gegen mehrere Reproduktionsmediziner ein. Gegen sie hatte die Konkurrenz aus dem benachbarten Ausland wegen einer angeblich ungesetzlichen Befruchtung von mehr als drei Eizellen geklagt. Dabei sind es rund ein Dutzend europäischer Staaten, die eine solche Embryonenspende erlauben. Nicht allen gelingt es jedoch, diesen Service von jeglichem Kommerz freizuhalten. Völlig anonym funktioniert etwa eine solche Spende in Tschechien. Dem Kind bleibt jedoch die Information über seine genetische Herkunft in der Regel lebenslang verwehrt. Gegen entsprechendes Entgelt ist dort auch schon die Kombination gewünschter Eigenschaften von Mutter und Vater möglich. Katholische Organisationen in Deutschland stehen dem heimischen Weg zum Kind zwiespältig gegenüber. Einerseits rettet die Spende werdenden Embryonen das Leben, andererseits kann die Initiative, so der Augsburger Weihbischof und Mitglied des Deutschen Ethikrats, Anton Losinger, nicht zur Lösung des Problems „übrig gebliebener Embryonen“ beitragen. Außerdem bestünde dabei in Zukunft immer mehr die Gefahr einer Selektion beim Kinderwunsch.
Wissenschaftliche Umfragen in mehreren Ländern zeigen, dass die Embryonenspende besonders als altruistische Tat große Zustimmung findet. Bei Eltern mit erfülltem Kinderwunsch nach in-vitro-Fertilisation sieht das jedoch schon wieder anders aus. Besonders dann, wenn es um die Unterschrift unter einen Vertrag geht, der die eigenen befruchteten Eizellen zwar aus dem eisigen Stickstoff-Gefängnis befreit, ihren Erzeugern aber jegliches Recht nimmt, über ihr Schicksal – und ihr weiteres Leben – mitzubestimmen. Auch die Empfänger neuen Lebens müssen sich darüber klar sein, dass das Kind, das sie bekommen haben, niemals ganz ihr eigenes sein wird – auch wenn die Frau vor dem Gesetz immer die „Mutter“ bleibt. Dennoch entwickeln sich Aussehen und Persönlichkeit später einmal nicht anders als jene eines Adoptivkinds. Trotz aller Bedenken ist das „Netzwerk Embryonenspende“ fest davon überzeugt, dass sich dieser „deutsche Weg“ innerhalb der nächsten Jahre durchsetzen wird. Anstatt nach einem ausländischen „Schwangerschaftsservice“ suchen zu müssen, könnte das „gespendete Kind“ dann einmal so selbstverständlich sein wie die Zeugung in der Kulturschale.