Katzen mit Diabetes geben Tierärzten oft Rätsel auf. Wie gründliche Diagnostik zum Ziel führt, zeigen unsere Praxisfälle: drei Katzen, drei Blutzucker-Profile und drei Lösungen.
Katzen bereiten mir als Patienten in der Kleintierpraxis häufiger Kopfzerbrechen als Hunde; das Management eines Diabetes mellitus ist hier ganz sicher keine Ausnahme – im Gegenteil.
Das zeigen auch drei im ersten Moment scheinbar ähnliche Fälle, alle vorgestellt innerhalb von 2 Tagen, sehr eindrucksvoll:
„Püppis“ Diabetes mellitus wurde sechs Wochen zuvor diagnostiziert. Püppi war 12 Jahre alt, eine etwas rundliche (7kg KGW), getigerte Hauskatze. Die Besitzer hatten sich von uns zeigen lassen, wie man der Katze Insulin spritzt, den Blutzuckergehalt daheim mit einem Glukometer misst und ein Blutzuckertagesprofil anfertigt. Die Katze erhielt zu der Zeit alle 12h 3 IE Protamin-Zink Insulin s.c..
Püppi war zur klinischen Nachkontrolle und zur Auswertung des Blutzuckertagesprofils in der Praxis. Laut Angaben der Besitzer trank Püppi noch immer mehr als üblich und war recht verfressen. Die Insulingabe und Blutzuckermessung daheim gestalteten sich problemlos. Die klinische Untersuchung ergab ein komplett unauffälliges Ergebnis, bei der Urinuntersuchung lag allerdings noch immer eine Glukosurie vor.
Püppis Insulindosis wurde angepasst auf 4 IE 2 x tgl. und wir schärften den Besitzern noch einmal ein, ihren gesegneten Appetit zu nutzen und ausschließlich die verordnete Diät zu füttern.
Nach 2 Wochen bekamen wir die nächste BZ Tageskurve zugesandt:
Die Katze ist bis heute fit. Trotzdem machen die Besitzer regelmäßig Tagesprofile; gut möglich, dass Püppi dauerhaft mit weniger Insulin zurechtkommt und man die Dosis reduzieren kann.
Die Katze „Miss Marple“ kam zu ihrer jährlichen Impfung. Ihr Diabetes mellitus war seit einigen Monaten bekannt (diagnostiziert bei Kollegen), sie erhielt zu dem Zeitpunkt 2 x tgl. 5 IE Protamin-Zink-Insulin s.c. bei einem Körpergewicht von 4,7 kg. Die Besitzer brachten das letzte Blutzuckertagesprofil zur Konsultation mit.
Klinisch war den Besitzern nach eigenen Angaben nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Erst auf Nachfrage berichteten sie über Polydipsie und einen „gesunden Appetit“. Und „lahmen“ würde sie jetzt sehr oft, jedenfalls komme sie nicht mehr auf ihr geliebtes Fensterbrett.
Für ihren „gesunden Appetit“ war Miss Marple mit einem BCS von 4/9 ziemlich mager. Ansonsten war die klinische Untersuchung weitgehend unauffällig bis auf mittelgradigen Zahnstein und reaktiv eine leichte Gingivitis. Schmerzen in den Gliedmaßen hatte sie nicht. Was aber auffiel: Sie war „durchtrittig“. Hinten lief sie fast komplett auf dem Metatarsus. In Verbindung mit den Blutzuckerwerten stellten wir die Verdachtsdiagnose Diabetische Polyneuropathie. Im Zuge der Entstehung kommt es zur Einlagerung glykierter Stoffwechselendprodukte in das Nervengewebe, sodass ein schrittweiser Funktionsverlust erfolgt. Wir rieten Miss Marples Besitzern zu einer Zahnsanierung und zu einer weiteren Abklärung, um die Ursache der ungenügenden Insulinwirkung herauszufinden.
Andere Ursachen für eine Insulinresistenz haben wir bei unseren weiterführenden Untersuchungen nicht gefunden. Bei der Zahnsanierung waren die nicht sichtbaren Anteile der Zähne allerdings in deutlich schlechterem Zustand als erwartet. Miss Marple erhielt deshalb zusätzlich zu einer umfassenden Zahnsanierung noch ausreichend lange eine Antibiose.
Reversibel ist eine diabetische Polyneuropathie leider kaum, deshalb zeigte Miss Marple zwar eine Gewichtszunahme und verringerte Polydipsie, aber noch immer einen leicht plantigraden Gang. Ihr Fensterbrett hatte sie aber trotzdem zurückerobert: Dahin führte nun eine Treppe.
Am selben Tag wie Miss Marple wurde uns „Titus“ vorgestellt, ein 6,5 kg schwerer, zehnjähriger, kastrierter Kater; auch Diabetiker, zu der Zeit unter 5 IE Protamin-Zink-Insulin alle 12 Stunden. Er kam mit einer sehr engagierten Besitzerin, die regelmäßig in der oben beschriebenen Weise BZ Tagesprotokolle anfertigte, von denen sie das aktuellste zur Konsultation mitbrachte.
„Titus“ sei seit einiger Zeit immer mal wieder lethargisch, ab und an wirke er schlecht ansprechbar, dann verhalte er sich wieder ganz normal. Er zeige noch immer eine Polydipsie, sein Fressverhalten sei normal, Erbrechen und/oder Durchfall bestünden nicht. Die klinische Untersuchung bei „Titus“ war unauffällig, abgesehen von einer Glucosurie war auch der Urin ohne besonderen Befund, ebenso wie eine eingeleitete Blutuntersuchung (abgesehen von einer Hyperglykämie und erhöhten Fructosaminwerten).
Wir baten die Besitzerin um die Anfertigung einer weiteren Kurve, dieses Mal mit stündlich erhobenen Werten. Die Dame ist glücklicherweise selbst TFA. Spätestens an diesem Punkt brauchen wir manchmal doch Überredungskunst, in diesem Fall aber gab es keine Probleme.
Nach der Insulingabe rauschte also bei „Titus“ der Blutzuckerwert in den hypoglykämischen Keller, um dann höher als vorher zu bleiben – über viele (manchmal bis zu 72) Stunden. Es kam zu einer posthypoglykämischen Hyperglykämie, einem Somogyi-Effekt. Der Vorbericht sprach dafür, dass dieses Phänomen bei Titus regelmäßig auftrat. Auch längere hypoglykämische Phasen wären hier sicher nicht ausgeschlossen, also insgesamt eine nicht ungefährliche Situation.
Bei Titus haben wir die Insulindosis mehrfach um 1 IE pro Injektion reduziert. Heute kommt er mit 2 x täglich 2 IE Insulin wunderbar zurecht. Die Blutzuckerkurven gehen nach oben nie über 250mg/dl hinaus und erreichen einen Nadir immer zwischen 100 und 150 mg/dl.
Die posthypoglykämische Hyperglykämie ist sehr selten bei Katzen. Bei entsprechendem Vorbericht (Verhaltensänderungen wie Unruhe, Abwesenheit, Lethargie, oft auch plötzliche Erblindung) sollte man sie offenbar im Hinterkopf haben.
Innerhalb von 2 Tagen wurden uns also drei verschiedene Katzen vorgestellt, deren BZ Kurven – auf den ersten Blick – nahezu tupfengleich aussahen.
Manchmal müssen wir wirklich ein wenig zu Detektiven mutieren, um unseren schnurrenden Fellnasen eine angemessene Diabetestherapie zukommen zu lassen.
Bildquelle: Will Myers, unsplash.