Die beste Therapie bei Typ-2-Diabetes: Bewegung und Ernährungsumstellung. Mittlerweile gibt es aber auch eine ganze Reihe Medikamente zur Unterstützung. Lest hier, wie der Werkzeugkasten bestückt ist.
Typ-2-Diabetes, der durch Hyperglykämie und Hyperinsulinämie gekennzeichnet ist, ist die weltweit am weitesten verbreitete Stoffwechselerkrankung. Etwa 90 % der Diabetiker in Deutschland haben einen Typ-2-Diabetes. Die Therapie ist einem stetigen Wandel unterlegen. Neu in den Leitlinien 2021 ist die Empfehlung, dass behandelnde Ärzte mit ihren Patienten realistische Ziele festlegen sollen, die zur individuellen Lebenssituation der Patienten passen. Können diese Ziele nach mehreren Monaten nicht erreicht werden, bietet die Leitlinie ein strukturiertes Vorgehen an, um Barrieren im Alltag der Patienten zu ermitteln und abzubauen.
Die Grundlage der Behandlung des Typ-2-Diabetes bilden nach wie vor die nicht medikamentösen Therapieformen wie Sport und eine angepasste Ernährung.
Neu in die Leitlinie aufgenommen ist nun aber die Empfehlung, dass Menschen mit bestehender Herzerkrankung davon profitieren können, wenn sie eine Kombination aus Metformin und einem Gliflozin oder einem Glutid erhalten. Für alle anderen bleibt Metformin als Monotherapie das Mittel der ersten Wahl.
Das Arsenal der oralen Antidiabetika ist umfangreich:
Schauen wir uns die einzelnen Wirkstoffklassen also einmal im Detail an.
Metformin erhöht die Aktivität der hepatischen Adenosinmonophosphat-aktivierten Proteinkinase, wodurch die hepatische Gluconeogenese und Lipogenese reduziert und die Insulin-vermittelte Aufnahme von Glukose in die Muskeln erhöht wird.
In einer Metaanalyse wurde die Wirkung von Metformin mit bedeutsamen Endpunkten Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität, nicht-tödliche Myokardinfarkte, nicht-tödliche Schlaganfälle und terminale Niereninsuffizienz untersucht. Die Autoren kamen aber zu dem Schluss: „Es gibt keine eindeutige Evidenz dafür, ob eine Metformin-Monotherapie im Vergleich zu keiner Intervention, verhaltensverändernden Interventionen oder anderen blutzuckersenkenden Arzneimitteln die für den Patienten wichtigen Endpunkte beeinflusst“.
In Bezug auf schwere Hypoglykämien und den Gewichtsverlauf ist Metformin günstiger als eine Therapie mit Sulfonylharnstoffen. Im Vergleich zu einer Behandlung mit Diät kam es unter einer intensivierten Metformintherapie in einer Gruppe von übergewichtigen Patienten zu einer stärkeren Reduktion von diabetesbedingten Endpunkten, diabetesbedingten Todesfällen, Myokardinfarkten und zur Reduktion der Gesamtsterblichkeit.
Studien belegen auch die kardioprotektive Wirkung von Metformin und sprechen ihm eine carcinomhemmende Eigenschaft bei einigen Krebsarten zu. In einer Studie von Kersten et al. wurde gezeigt, dass die Anwendung von Metformin vor dem Schlaganfall mit einem günstigen Ergebnis nach einem akuten ischämischen Schlaganfall bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 verbunden war.
Obwohl die Substanz schon so lange auf dem Markt ist, wurde eine Nebenwirkung neu identifiziert : Eine väterliche Metforminbehandlung vor der Empfängnis kann mit schwerwiegenden Geburtsfehlern verbunden sein, insbesondere genitalen Geburtsfehlern bei Jungen. Bekannt ist auch, das Metformin zu einem Vitamin B12-Defizit führen kann, obwohl eine Arbeit von Grebe et al. dem widerspricht. Demnach werden zwar die Serumspiegel unter Metformin gesenkt, der Anteil an aktivem Vitamin B12 in der Zelle wird jedoch nicht beeinflusst.
Sulfonylharnstoffe binden an Adenosintriphosphat-sensitive Kaliumkanäle (K-ATP-Kanäle) in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Dies führt zur Hemmung dieser Kanäle und verändert das Ruhemembranpotential der Zelle, was zu einem Kalziumeinstrom und der Stimulierung der Insulinsekretion führt. Eine Cochrane-Analyse wies jedoch ungünstige Effekte auf den Gewichtsverlauf für die Kombination aus Metformin plus Sulfonylharnstoff im Vergleich zu Metformin plus Placebo, GLP-1-RA, DPP-4-Inhibitoren oder SGLT2-Inhibitoren nach. Ebenso fand die Analyse ein erhöhtes Risiko für Hypoglykämien.
Meglitinide (oder Glinide) üben ihre Wirkung über verschiedene Rezeptoren der Betazellen der Bauchspeicheldrüse aus. Sie wirken jedoch ähnlich wie Sulfonylharnstoffe, indem sie ATP-sensitive Kaliumkanäle in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse regulieren und dadurch die Insulinsekretion erhöhen. Zugelassen sind Nateglinid und Repaglinid.
Thiazolidindione, auch als Glitazone oder Insulinsensitizer bekannt, aktivieren den Peroxisomen-Proliferator-aktivierten Gamma-Rezeptor (PPAR-γ). Dabei handelt es sich um einen Kernrezeptor, der die Insulinsensitivität und die daraus resultierende periphere Aufnahme von Glukose erhöht. Weiterhin erhöht er den Spiegel von Adiponektin – einem vom Fettgewebe ausgeschiedenen Zytokin, das nicht nur die Menge an Insulin-empfindlichen Adipozyten steigert, sondern auch die Fettsäureoxidation stimuliert. In Deutschland ist jedoch nur noch Pioglitazon zugelassen.
Möglicherweise ist die Therapie mit Pioglitazon mit einem leicht erhöhten Risiko für Blasenkrebs assoziiert; die Datenlage ist uneindeutig: Eine Studie mit Typ-2-Diabetes-Patienten zeigte, dass eine Therapie mit Pioglitazon im Vergleich zu einer Behandlung mit DPP-4-Hemmern oder Sulfonylharnstoffen zu einem höheren Risiko führt. Dieses trat innerhalb der ersten 2 Behandlungsjahre auf und wurde nach Absetzen abgeschwächt. „Die relative Wirksamkeit von Pioglitazon sollte gegen einen geringfügigen absoluten Anstieg des Blasenkrebsrisikos abgewogen werden“, so die Autoren. Eine Kohortenstudie von Korhonen et al. konnte einen solchen Zusammenhang jedoch nicht nachweisen.
Alpha-Glukosidase-Hemmer hemmen kompetitiv Alpha-Glucosidase-Enzyme in den Bürstensaumzellen des Darms, die die Nahrungsstärke verdauen. So wird die Polysaccharid-Reabsorption und der Metabolismus von Saccharose zu Glukose und Fruktose gehemmt. Eine Cochrane-Analyse resümiert: „Bei Menschen mit herabgesetzter Glukosetoleranz könnten Alpha-Glukosidase-Hemmer die Entwicklung von Diabetes verhindern oder verzögern.“ Es gebe jedoch keine eindeutige Evidenz für einen nutzbringenden Einfluss von Alpha-Glukosidase-Hemmern auf die kardiovaskuläre Sterblichkeit oder kardiovaskuläre Ereignisse.
DPP-4-Inhibitoren hemmen das Enzym Dipeptidylpeptidase 4 (DPP-4). Sie deaktivieren unter anderem das Glukose-abhängige Insulinotrope Polypeptid (GIP) und das Glukagon-ähnliche Peptid 1 (GLP-1). Daher beeinflussen diese Medikamente die Glukosekontrolle durch mehrere Effekte, wie z.B. die Verringerung der Glukagonfreisetzung und die Erhöhung der glukoseabhängigen Insulinfreisetzung, sowie die Verringerung der Magenentleerung und die Erhöhung des Sättigungsgefühls.
Im Algorithmus der Leitlinie werden sie als eine Option in der zweiten oder dritten Stufe in Kombination mit Metformin genannt. Unter Metformin-basierter Kombinationstherapie mit DPP-4-Hemmern traten weniger Hypoglykämien auf als unter Kombination aus Metformin mit Sulfonylharnstoffen. Die Auswirkungen auf den HbA1c-Wert werden in der Leitlinie allerdings kontrovers diskutiert. DPP-4-Hemmer schneiden im direkten Vergleich zu Metformin etwas schlechter ab. Im Vergleich der metforminbasierten Kombinationstherapien ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen DPP-4-Hemmern und Sulfonylharnstoffen.
SGLT-2-Inhibitoren (Glifozine) hemmen den Natrium-Glukose-Cotransporter 2 (SGLT-2) in den proximalen Tubuli der Nierenglomeruli, was zu einer Hemmung der Glukose-Reabsorption führt und bei Diabetikern zu Glykosurie führt. Dies senkt wiederum den Plasmaglukosespiegel. Die Gliflozine können die Blutglukosewerte durchschnittlich um bis zu 30 mg/dl und den HbA1c-Wert durchschnittlich um ca. 0,6 % senken. Außerdem bewirken SGLT2-Hemmer eine leichte Gewichtsabnahme (ca. 1,3–2,0 kg) und eine mäßige Blutdrucksenkung.
In den aktuellen Leitlinien zur Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) werden Dapagliflozin und Empagliflozin zusätzlich zur Standardtherapie der Herzinsuffizienz eingesetzt; die Raten von kardiovaskulärem Tod und Klinikeinweisungen können so gesenkt werden. Dapagliflozin ist auch zur Therapie der Niereninsuffizienz indiziert.
Glukagon-ähnliche Peptid-1-Rezeptor-Agonisten werden für Erwachsene mit Typ-2-Diabetes aufgrund ihrer vorteilhaften Wirkungen auf den BMI angewendet, einschließlich einer verstärkten glukoseabhängigen Insulinsekretion, Hemmung der Magenentleerung und vermindertem Appetit und Kalorienverbrauch.
Diese Pharmaka ahmen die Wirkung von endogenem GLP-1 nach, einem Hormon, das von enteroendokrinen L-Zellen nach der Aufnahme von Nährstoffen, insbesondere Kohlenhydraten, produziert wird. Seine Hauptfunktion besteht darin, die Sekretion von Insulin durch die β-Zellen der Bauchspeicheldrüse Glukose-abhängig zu steigern und die Sekretion von Glukagon durch α-Zellen zu hemmen. GLP1-Antagonisten bewahren auch die Funktion von β-Zellen, stimulieren deren Proliferation und Differenzierung und hemmen die Apoptose.
Unter diesen Wirkstoffen steht nur Semaglutid oral zur Verfügung, die anderen Vertreter der Gruppe werden s.c. verabreicht. Oral verabreichtes Semaglutid war subkutan verabreichtem Semaglutid nicht unterlegen und Placebo bei der Senkung von HbA1c und Körpergewicht überlegen.
Bei der Vielzahl der Antidiabetika stellt sich nun natürlich die Frage der geeigneten Kombination. Für Patienten ohne hohes Risiko empfiehlt die Leitlinie, wie bisher, zunächst eine Monotherapie mit Metformin. Liegt eine klinisch relevante kardiovaskuläre Erkrankung vor, sollte eine Kombitherapie aus Metformin und SGLT2- Inhibitor oder GLP-1-RA erwogen werden. Bei hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ist die Datenlage nicht eindeutig.
Steht bei Patienten die Gewichtsreduktion oder die Vermeidung von Gewichtszunahme im Vordergrund, empfehlen die Leitlinien eine Behandlung mit GLP-1-Antagonisten oder SGLT-2-Inhibitoren. Wird das HbA1c Ziel mit Metformin in Kombination mit einer dieser Substanzen nicht erreicht, kann die Therapie auch auf eine Dreierkombination aus Metformin, GLP-1-Antagonisten und SGLT-2-Hemmern erweitert werden. Wird ein GLP-1 Rezeptor Agonist nicht vertragen, kann stattdessen ein DPP-4 Inhibitor eingesetzt werden. Liegt dann der HbA1c immer noch über dem festgelegten individuellen Ziel, besteht die Möglichkeit zum vorsichtigen Einsatz von Sulfonylharnstoffen, Thiazolidindionen oder auch Basalinsulin.
Und nun noch ein kleiner Fun Fact zum Schluss: Metformin könnte vielleicht noch eine ganz andere Karriere machen. In zahlreichen klinischen Studien wird derzeit geprüft, ob das Antidiabetikum auch das Zeug zum Anti-Aging-Medikament hat.
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