Das akute Abnehmen der Nierenfunktion kann schnell gefährlich werden. Bisher war unklar, was dabei auf molekularer Ebene passiert. Ein Forscherteam ging dem nach – und entdeckte dabei ein mögliches Diagnoseverfahren.
Akutes Nierenversagen ist eine häufige Komplikation, die oftmals bei Herz-Kreislauferkrankungen oder schweren Infektionskrankheiten auftritt und insbesondere Intensivpatienten betrifft. Die akute Schädigung der Organe – die nicht nur Wasserhaushalt, Blutdruck und Energiestoffwechsel beeinflussen, sondern auch lebenswichtige Hormone herstellen – kann schwerwiegende Folgen haben und wird mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert. Das Problem: Häufig gibt es keine konkreten Behandlungsmöglichkeiten des Nierenversagens – Schädigungen können nicht rückgängig gemacht werden. Dies liegt unter anderem daran, dass die dazu führenden Mechanismen bislang uneindeutig waren.
Häufiger Auslöser des Nierenversagens ist eine unzureichende Blutversorgung der Niere. Dieser Zustand versetzt Zellen in den Alarmmodus, was widerum zur Entzündungen und Fibrosen führt. Aus vergangenen Einzelzell-Sequenzierungen im Tiermodell weiß man, dass Epithelzellen – die die Nierenkanälchen auskleiden – an diesen fibrotischen Prozessen beteiligt sind. Ein Forscherteam wollte daher mehr über die molekularen Abläufen in der menschlichen Niere wissen und untersuchte Zellen aus Gewebeproben und Urin von Niereninsuffizienz-Patienten. Anschließend analysierten sie mithilfe der Einzelzell-Sequenzierung die molekularen Muster von mehr als 140.000 Zellen.
„Mit der Einzelzell-Sequenzierung können wir quasi in jede Zelle hineinzoomen und sehen, welche Gene zu diesem Zeitpunkt in der Zelle aktiv sind“, erklärt Studienautor Dr. Hinze. „Daran können wir erkennen, ob die jeweilige Nierenzelle gerade normal funktioniert, unter Stress steht oder dabei ist, abzusterben. Mit dieser hochmodernen Technik erhalten wir über die akute Nierenschädigung ein Verständnis in nie dagewesener Detailschärfe.“
So konnte das Team zeigen, dass verschiedene Zelltypen der Niere ganz unterschiedlich auf die akute Nierenschädigung reagieren. Die stärksten Antworten beobachteten sie – wie im Tiermodell vorhergesagt – in den Epithelzellen der Nierenkanälchen. Beim Menschen waren jedoch nicht nur einige Abschnitte der Tubuli, sondern die Epithelzellen der gesamten Kanäle von den Schädigungsprozessen betroffen. „In den verschiedenen Typen von Epithelzellen konnten wir bestimmte molekulare Muster identifizieren, die bei allen Patienten mit akuter Nierenschädigung vorkamen, jedoch mit individuell unterschiedlicher Häufigkeit. Diese Befunde könnten künftig dabei helfen, Risiken für schwere Krankheitsverläufe besser abschätzen zu können“, so Dr. Hinze.
Bei einer akuten Nierenschädigung lösen sich Epithelzellen aus dem Gewebe der Nierenkanälchen und werden mit dem Urin ausgeschieden. Das Forscherteam fahndete daraufhin in Urinproben nach Epithelzellen, die bei gesunden Menschen kaum zu finden sind. Da die Zellen im Urin jedoch nicht lange überleben, war zunächst unklar, ob sich die Einzelzell-Sequenzierung überhaupt zur Diagnostik eignet. „Wir haben die Urinproben binnen vier bis sechs Stunden verarbeitet, und es hat tatsächlich sehr gut funktioniert“, sagt Studienautor Dr. Klocke.
Die Forscher konnten sogar bestimmen, aus welchem Abschnitt der Nierenkanälchen die Zellen stammten und welche genetischen Programme sie als Antwort auf die Nierenschädigung aktiviert hatten. „Die Informationen, die die Zellen aus den Urinproben lieferten, stimmten mit denen der entsprechenden Zellen aus Gewebeproben gut überein“ sagt Dr. Klocke. „Somit verfügen wir mit dem Urin über eine unkomplizierte und nichtinvasive Methode, um an Probenmaterial für weiterführende Untersuchungen zu kommen – um Biomarker auszumachen und so auf lange Sicht vielleicht Nierenbiopsien reduzieren oder ganz ersetzen zu können.“
Die molekularen Muster der geschädigten Nierenzellen können künftig Ansätzen für Diagnostik und Behandlung von Nierenschädigungen liefern. In weiterführenden Studien wollen die Wissenschaftler eine größere Zahl an Patienten aufnehmen, die Ausprägungen der Zellantworten bei unterschiedlichen Grunderkrankungen untersuchen sowie grundlegende molekulare Mechanismen bei akuter Nierenschädigung mit Hilfe von Zellkulturen weiter aufdecken.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Originalpublikationen findet ihr hier und hier.Bildquelle: Help Stay, unsplash.