Nachdem der Verdacht der Studienfälschung durch die Firma GVK Bioscience aufkam, hat die Arzneimittelbehörde BfArM den Vertrieb von insgesamt 80 Generika gestoppt. Die gefälschten Studien zur Zulassung von Generika könnten allerdings nur die Spitze eines Eisbergs sein.
Nun hat es zahlreiche deutsche Generika-Hersteller doch erwischt: Nach gründlicher Prüfung hat die Arzneimittelbehörde BfArM den Vertrieb von insgesamt 80 Generika gestoppt. Mit Bescheid vom 08.12.2014 ordnete das BfArM das Ruhen verschiedener Arzneimittelzulassungen an, deren Grundlage eine klinische Studie der Firma GVK Biosciences (GVK Bio) in Indien war. Ein Ruhen der Zulassung bedeutet, dass die betreffenden Mittel bis auf weiteres nicht mehr vertrieben werden dürfen, und das gilt sowohl für Produzenten, als auch für Großhändler und Apotheker. Alle Medikamente, die schon in Apotheken seien, blieben im Verkauf, sagte jedoch ein BfArM-Sprecher. Die Sicherheit von Patienten sieht das BfArM nach momentanem Kenntnisstand nicht gefährdet.
„Die Studien dieser Firma sind aufgrund einer französischen Inspektion zur Guten klinischen Praxis (GCP), die schwerwiegende Mängel in der Durchführung verschiedener Studien gezeigt hat, als nicht mehr valide anzusehen“, heißt es auf der Webseite der Arzneimittelbehörde, die insgesamt 176 Studien geprüft hatte. Begonnen hatte der Skandal im Mai, als die französische Überwachungsbehörde ANSM neun Studien der GVK Biosciences im Zeitraum von 2008 bis 2013 untersuchte. ANSM hatte bei allen Studien Hinweise gefunden, die auf eine Fälschung zumindest eines Teils der Studienergebnisse hinwiesen. Konkret war der Verdacht aufgekommen, dass die EKGs in zahlreichen Studien nur von einzelnen Teilnehmern, nicht aber von allen durchgeführt worden waren. An der Manipulation der Daten sollen mindestens 10 Mitarbeiter beteiligt gewesen sein. GVK Bioscience weist die Vorwürfe zurück. Die beanstandeten EKGs seien für die Studien nicht relevant gewesen, erklärte eine Sprecherin: „Damit wollten wir nur testen, ob die Teilnehmer gesund sind, ehe sie uns verlassen.“ Laut indischen Medien hat GVK Biosciences auf einer Pressekonferenz angeboten, alle klinischen Tests zu wiederholen oder für die Kosten aufzukommen.
Im Moment betrifft der Fälschungsskandal 28 Firmen, darunter die deutschen Hersteller Heumann, Hormosan, Stadapharm, Mylan Dura und Betapharm. Bei den 80 gesperrten Medikamenten handelt es sich bisher ausschließlich um Generika, unter anderem aus der Sparte der Antidepressiva, der Blutdrucksenker und der Arzneistoffe zur Therapie von Parkinson. Das BfArM hat auf seiner Webseite eine Liste veröffentlicht, auf der alle bisher betroffenen Medikamente zu finden sind, und ergänzt: „Patientinnen und Patienten, die noch im Besitz dieser Arzneimittel sind, sollten sich an ihren Arzt oder Apotheker wenden.“ Das BfArM rechnet nicht mit Lieferengpässen, da vergleichbare andere Arzneimittel zur Verfügung stünden. Der Verkaufsstopp bestimmter Generika beschränkt sich nicht nur auf Deutschland. Auch in Frankreich werden 25 Zulassungen zum 18. Dezember suspendiert, in Belgien wurden acht Zulassungen ausgesetzt, in Luxemburg zwei.
Soll ein Generikum zugelassen werden, wird in Bioäquivalenzstudien die sogenannte Bioverfügbarkeit eines Wirkstoffes ermittelt. Die Bioverfügbarkeit ist ein Maß dafür, wie schnell die Wirkung eines Medikamentes einsetzt und wie lange sie anhält. Dass die zu prüfenden Wirkstoffe von Generika grundsätzlich verträglich und wirksam sind, ergibt sich bereits aus der Zulassung der Original-Medikamente und wird in Bioäquivalenzstudien nicht mehr untersucht. Trotz gleichen Wirkstoffs kann es jedoch zu teilweise erheblichen Unterschieden zwischen Original-Medikament und Generikum kommen. Steigt die Konzentration des Wirkstoffs im Körper zu schnell an, droht eine Vergiftung. Setzt die Wirkung zu spät ein, besteht die Gefahr einer Überdosierung, wenn der Patient eine weitere Dosis einnimmt. Beide Szenarien sind nicht ungefährlich.
„Wir sehen immer wieder, dass Studienergebnisse, die von Herstellern produziert werden, oftmals sehr viel besser aussehen als das, was anschließend von unabhängiger Stelle nachvollzogen wird“, sagte der Gesundheitsökonom Gerd Glaeske von der Universität Bremen auf NDR Info. Er fordert, wesentliche Studien nicht mehr allein dem Hersteller zu überlassen. Die Zulassungsbehörden selbst sollten wichtige Tests durchführen lassen und nicht nur schriftlich prüfen. Der mutmaßliche Studienbetrug könnte sich noch deutlich ausweiten. Nach Angaben der European Medicines Agency (EMA) werden in der EU insgesamt noch über 1.000 Zulassungen geprüft werden – unter ihnen auch Zulassungen für Originalpräparate. Die EMA-Sprecherin bezeichnete das Vorgehen als ein offenes Verfahren. Ziel sei es, alle Medikamente zu identifizieren, die aufgrund einer Studie von GVK Bio zugelassen worden seien. Sollten auch Zulassungsstudien für Originalpräparate betroffen sein, könnte das durchaus eine größere Gefahr für die Patienten bedeuten. Da die betroffenen Hersteller jederzeit Unterlagen vorlegen können, die das Ruhen der Zulassung wieder aufheben, aktualisiert das BfArM die Liste mit gesperrten Medikamenten regelmäßig.