Wie passen Lego-Steine, Kupfer und Krebstherapien zusammen? Die Antwort liegt in der Click-Chemie. Findet hier heraus, was es mit dem diesjährigen Nobelpreisträger auf sich hat.
Chemie – sicher nicht jedermanns Lieblingsfach. Die meisten Mediziner sind einfach froh, sobald sie den letzten Praktikumstag geschafft haben, die Klausur bestanden ist und das lästige Fach sie den Rest ihrer beruflichen Laufbahn schön in Ruhe lässt. Dass die Chemie und die Medizin aber oft zusammenhängen, zeigt der diesjährige Chemie-Nobelpreis: Dieser ging „für die Entwicklung der Click-Chemie und bioorthogonaler Chemie“ – verdienterweise – an K. Barry Sharpless, Morten Meldal und Carolyn R. Bertozzi. Und um eins vorweg zu nehmen: Es geht über den Klassiker „bessere Synthese von Medikamenten“ hinaus.
Für Sharpless ist es tatsächlich nicht der erste Nobelpreis. 2001 erhielt er (zusammen mit William S. Knowles und Ryoji Noyori) schon einmal die begehrte Medaille; damals für die Entwicklung stereoselektiver Oxidationsreaktionen. Auf seinen Lorbeeren hat sich der US-amerikanische Chemiker jedoch nicht ausgeruht. Stattdessen machte er sich an ein anderes Problem, was ihm ein Dorn im Auge war: Die himmelschreiende Ineffizienz von Naturstoffsynthesen.
Es ist ein beliebter Ansatz der pharmazeutischen Wirkstoffforschung, ausgehend von Naturstoffen Medikamente zu entwickeln – bekanntes Beispiel Penicillin. Die Herausforderung ist allerdings, einen Wirkstoff auch in industriellen Maßstab herzustellen, wenn man ihn tatsächlich als Pharmazeutikum einsetzen will. Manchmal ist das kein Problem, zum Beispiel wenn Mikroorganismen uns die lästige Arbeit abnehmen können, oder sich der Stoff einfach aus Pflanzen isolieren lässt. Im Labor dagegen wird’s knifflig: Die großen Biomoleküle bestehen häufig aus langen Ketten, die Schritt für Schritt zusammengebaut werden müssen. Dabei muss man bei jedem Schritt peinlichst drauf achten, dass die ausgewählte Reaktion auch nur das macht, was sie soll, und die eingesetzten Reagenzien nicht an einer anderen Stelle des Moleküls interferieren. Oft muss man Extra-Schritte einbauen, um genau solche Nebenreaktionen zu vermeiden. Nicht jede Reaktion liefert exzellente Ausbeuten, und so steht man schnell vor einer wahrhaft epischen Synthese mit über 30 Einzelschritten, einer Gesamtausbeute unter 5 % und jeder Menge Müll – effizient ist anders.
Der andere Ansatz der Wirkstoffforschung ist es, einfach erst einmal riesige Bibliotheken an Molekülen herzustellen und diese dann nach einer biologischen Wirkung zu durchforsten. Dafür braucht es einen Baukasten an wenigen, aber zuverlässigen Reaktionen, die sich vielseitig kombinieren lassen, um schnell eine größtmögliche Bandbreite an Molekülen zu erschaffen – ein molekularer Lego-Bausatz, wenn man so will, wo die kleinen Bausteine einfach aneinander schnappen… oder eben klicken, wie Sharpless es formulierte. Für diese perfekten Reaktionen legte er 2001 einige Kriterien fest, wie hohe Spezifität, einfache Reaktionsbedingungen und Reinigung, hohe Ausbeuten und hohe Atomeffizienz.
Noch war so eine Reaktion aber nicht gefunden – und hier kommt der zweite Preisträger, Morten Meldal, ins Spiel. Der Däne entwickelte mit seinen Mitarbeitern 2002 die Kupfer-katalysierte Azid-Alkin-Cycloaddition, kurz CuAAC. Der Name ist Programm: Mit einem Kupfer-Katalysator als Helferlein wird in dieser Reaktion eine Azid-Gruppe (drei Stickstoffatome in einer Reihe) an ein Alkin (Dreifachbindung zwischen zwei Kohlenstoff-Atomen) gekoppelt. Das Ergebnis ist ein stickstoffhaltiger Fünfring, das sogenannte 1,2,3-Triazol.
Die Kupfer-katalysierte Azid-Alkin-Cycloaddition.
Die CuAAC ist bis heute die prominenteste Click-Reaktion und wurde – wie alle guten Reaktionen – durch Zufall entdeckt: Eigentlich wollte Meldal mittels Kupfer-Katalyse ein Azid mit einem hochreaktiven Alkylhalid koppeln, stattdessen reagierte das Azid mit der Dreifachbindung am anderen Ende des Moleküls. Es war zwar schon bekannt, dass diese beiden Gruppen grundsätzlich miteinander reagieren können (unter dem Namen Huisgens-Cycloaddition), allerdings sehr langsam und nur unter hohen Temperaturen – weshalb Meldal unter seinen Reaktionsbedingungen nicht mit der Reaktion rechnete. Den Unterschied machte in diesem Fall aber eben das Kupfer(I), welches Azid und Alkin so hervorragend aktivierte, dass die Reaktion gelaufen war, bevor das Alkylhalid überhaupt eine Chance hatte, mitzumischen. Glück für Meldal, der sofort das Potential seiner neuen Reaktion erkannte: Das entstandene 1,2,3-Triazol ist nämlich eine pharmazeutisch hochinteressante funktionale Gruppe und war plötzlich sehr leicht zugänglich geworden.
Ziemlich zeitgleich und unabhängig von Meldals Entdeckung stieß auch Sharpless auf die CuAAC – und stellte fest, dass sie all seinen Ansprüchen an eine perfekte Reaktion entsprach. Die Click-Chemie war damit also geboren.
Wie versprochen endet die medizinische Relevanz der Click-Chemie hier aber nicht. Der dritten Preisträgerin, Carolyn Bertozzi, gelang es nämlich, die Click-Chemie noch auf eine andere Ebene zu befördern, nämlich in die lebende Zelle.
Der Metabolismus in einer Zelle ist hochkomplex und leider auch sehr fragil. Es ist eine hohe Kunst, die molekularen Prozesse sichtbar zu machen und zu analysieren, ohne sie dadurch zu beeinträchtigen. Bioorthogonale Reaktionen machen es aber möglich: Wie der Name andeutet laufen sie orthogonal, also unabhängig „on top“ von den biologischen Prozessen ab. Damit sie das tun müssen die Reaktionen hochselektiv (heißt keine Reaktionen an den falschen Stellen) und schnell sein (damit gar nicht erst die Möglichkeit besteht, dass die Reaktionspartner mit anderen Prozessen in der Zelle interferieren) – ähnliche Kriterien wie für Sharpless‘ Click-Chemie. Sharpless‘ und Meldals Reaktion käme in Frage, wenn nicht leider der benötigte Kupfer-Katalysator zytotoxisch wäre.
Wie also diesen loswerden, ohne die Reaktivität wieder zu verlieren? Bertozzi gelang es, dieses Problem zu lösen, indem sie als Alkin-Substrat Cyclooctin wählte. Der Trick liegt hier im Stichwort „Cyclo“: Die Dreifachbindungen in Alkinen sind eigentlich lineare Gebilde, die es gar nicht mögen, in einen Ring gebogen zu werden. Das Resultat ist ein hochgespanntes System – wie eine gespannte Sprungfeder oder ein Gummiband – das bei der erstbesten Gelegenheit entlastet wird. Der Verlust eben dieser Ringspannung treibt die Reaktion an und die Triebkraft ist tatsächlich so hoch, dass gar kein Katalysator mehr nötig ist – nur der geeignete Reaktionspartner, das Azid. Da beide Reaktionspartner – Cyclooctin und Azid – natürlich nicht in Zellen vorkommen, konkurrieren sie auch nicht mit biologischen Prozessen. Somit hatte Bertozzi eine ideale bioorthogonale Reaktion entwickelt.Bertozzis Cycloaddition – ganz ohne Kupfer.
Und was bringt das ganze jetzt? Mithilfe dieser Reaktion konnte Bertozzi verschiedene Moleküle der Zelloberfläche mit Fluoreszenz-Markern versehen und so ihre Verteilung, aber auch ihre Prozesse, sichtbar und in Echtzeit verfolgbar machen. So konnte die Forscherin beispielsweise das Verständnis der Glykane maßgeblich voranbringen. Diese Oligosaccharide finden sich auf der Zellmembran und spielen eine große Rolle bei verschiedenen Krankheiten wie Arthritis, Tuberkulose und Krebs.
Insbesondere bei der Krebstherapie eröffnet das verbesserte Verständnis der Glykane neue Wege: Mithilfe dieser Moleküle gelingt es Tumorzellen, Immunzellen lahmzulegen und sich so der Immunantwort zu entziehen. Auf Basis ihrer Arbeit gelang Bertozzi die Entwicklung eines Medikaments, dass diesen Schutzmechanismus ausschalten kann. Es besteht aus einem spezifischen Antikörper, welcher an diese Glykane bindet, und einem Enzym, was das Glykan dann zerlegt. Zurück bleibt die Krebszelle, die dem Immunsystem nun schutzlos ausgeliefert ist. Das Medikament wird bereits in klinischen Studien getestet.
Auch andere Forscher machen sich die bioorthogonale Click-Chemie in der Krebstherapie zunutze. So werden inzwischen Antikörper entwickelt, die verschiedene Tumorzellen anvisieren können und gleichzeitig eine Funktionalität besitzen, an die weitere Stoffe „angeklickt“ werden können. Beispielsweise könnten so zielgerichtet Wirkstoffe oder radioaktive Marker fürs PET-CT angebracht werden.
Ein großer Sprung also für die Medizin, möglich gemacht durch die Grundlagenarbeit der Chemie!
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Bildquelle: Ignat Dolomanov, Unsplash