Für eine Apherese bei Long Covid müssen Patienten tief in die Tasche greifen – ohne Gewissheit, ob sie überhaupt wirkt. Doch entgegen der medialen Anpreisung halten sich die Fachgesellschaften mit Empfehlungen zurück. Warum?
Auch wenn die Pathogenese von Long Covid in seinen unterschiedlichen Ausprägungen weiterhin unklar ist, so liegen doch zumindest drei Hypothesen weit vorn: Blutgerinnsel, Viruspersistenz und Autoimmunität (wir berichteten). Doch auch in Sachen Therapie wird fleißig weiter geforscht – manchmal mehr schlecht als recht. Ein Therapieansatz stieß kürzlich auf breiteres Interesse: die Apherese. Grund für die mediale Aufmerksamkeit war, unter anderem, eine Folge von „Hirschhausen“ im ARD, die das Thema Long Covid und mögliche Heilversuche ansprach. Allen voran die Lipidproteinapherese bzw. die H.E.L.P.-Apherese; eine Behandlung, die es seit Jahrzehnten gibt und die schon bei einigen Indikationen, unter anderem beim Hörsturz, als vermeintlicher Heilsbringer propagiert wurde. Doch wie sieht die Faktenlage im Covid-Kontext aus?
„Junge Krankenpfleger, die kaum vom Bett zur Küche kriechen konnten und nach zwei Apheresen wieder Marathon laufen konnten“, beschreibt Dr. Beate Jäger, Internistin in Mülheim an der Ruhr, ihre Patientenfälle in der Reportage von Dr. Eckard von Hirschhausen. Sie behandelt mit Medikamenten oder Blutwäsche-Verfahren Long-Covid-Patienten, die von weit her in ihre Praxis kommen. Hirschhausen selbst hatte im März 2022 COVID-19 und testete die H.E.L.P.-Apherese-Therapie an sich selbst.
Doch Experten sehen Heilversuche wie diese kritisch: „Wir haben viele Fallberichte, aber zum einen sind sie eben genau das: Fallberichte – keine randomisierten Studien mit Beweiskraft“, sagt Prof. Julia Weinmann-Menke, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) und Leiterin der Nephrologie in der Universitätsmedizin Mainz, auf der diesjährigen Pressekonferenz des DGfN-Kongresses. „Hinzu kommt, dass auch nicht alle dieser Berichte einen ‚Lazarus-Effekt‘ beschreiben. Wir wissen auch von Patienten, denen das Verfahren nicht oder nur vorübergehend geholfen hat.“ Dadurch, dass es keine Kontrollgruppe bei diesen Berichten gibt, könne ein Placebo-Effekt nicht ausgeschlossen werden, erklärt sie.
Bereits in einer Stellungnahme vom August 2022 hatte sich die DGfN zum Einsatz von Apherese bei Post-Covid-Symptomatik geäußert. Blutwäschen aller Art – die klassische Dialyse, die auf die Beseitigung von Antikörpern/Autoimmunität zielenden Verfahren Plasmaaustausch und Immunadsorption und die oben genannte Lipid-Apherese – sind gängige Verfahren in der Nephrologie. In ihrer Stellungnahme betont die DGfN, dass sie derzeit keine Empfehlung geben könne, solange keine ausreichende Datenbasis die Wirksamkeit und Sicherheit von Blutwäscheverfahren bei Post-Covid belegt.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat zum Einsatz von (unterschiedlichen) Blutwäscheverfahren bei Long Covid Stellung bezogen: „Es gibt derzeit keine kausale Therapie für Post-Covid mit den typischen neurologischen Beschwerden wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Fatigue, Kopfschmerzen, Myalgien und Neuropathien. Und es fehlt derzeit die Evidenz, um extrakorporale Verfahren breit zu empfehlen“, erklärt Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, in der Pressemeldung.
Die Apherese ist zwar ein recht sicheres Verfahren, dennoch kann es zu Nebenwirkungen kommen. Das Blut wird über einen Schlauch aus dem Körper in ein Filtergerät geleitet. Dabei muss es mit Medikamenten verdünnt werden, damit es bei der Apherese nicht gerinnt. Anschließend wird es in den Körper zurückgeführt. Es sei ein invasives Verfahren, betont Weinmann-Menke, das mehrere Stunden dauern und den Körper stark strapazieren kann. Ähnlich wie bei einer Dialyse könne es zu Kreislaufproblemen und Schwächegefühl kommen. Bei ihrer Kernindikation, den sehr schweren Fettstoffwechselstörungen, hat die Lipid-Apherese aber auch nur einen vorübergehenden Effekt und muss daher wiederholt werden.
„Es ist definitiv ein medizinisches Verfahren, das wir normalerweise bei schwerkranken Patienten anwenden. Man sollte wirklich die Indikation dazu stellen, warum man dieses Verfahren anwendet. Und primär sollten alle diese Patienten von Kopf bis Fuß untersucht sein“, erklärt Weinmann-Menke. „Nutzen und Risiken müssen bei jeder Therapie gegeneinander abgewogen werden, was aber schwer möglich ist, wenn der Nutzen nicht wissenschaftlich belegt ist – wie das für Aphereseverfahren bei Long-Covid der Fall ist.“ Im Endeffekt seien es auch sehr teure Verfahren, bei denen die Patienten selbst tief in die Tasche greifen müssten, erklärt die Medizinerin.
Apherese ist nicht gleich Apherese, das fällt in vielen Diskussionen hinten über: Plasmapherese und Immunadsorption sind etablierte Verfahren bei autoimmunologischen Erkrankungen. Unter der Annahme, dass Post Covid ein autoimmunologisches Geschehen sein könnte, ist daher denkbar, dass diese Verfahren einen gewissen Stellenwert haben können. Zurzeit fehlen aber valide Studien.
Bei der Lipidapherese sieht es anders aus: Weinmann-Menke sieht überhaupt keine rationale Begründung, wieso sie funktionieren solle. Warum sollte ein Post-Covid-Patient durch die Entfernung von Lipiden und Lipoproteinen profitieren? „Zum jetzigen Zeitpunkt können wir nicht einmal sagen, ob es sich bei der Apheresetherapie bei Post-Covid um eine vielversprechende Therapie handelt“, erklärt Prof. Weinmann-Menke.
Auch die DGN betont, dass zwar die genauen pathophysiologischen Mechanismen des Post-Covid-Syndroms bislang unbekannt seien, doch auch autoimmunologische Erkrankungsmechanismen zugrundeliegen könnten – beispielsweise Autoantiköper im Blut. Hier könne eine „immunmodulatorische Therapie als individueller Heilversuch“ begonnen werden. Genau das ist auch die Empfehlung der aktuellen Leitlinie. „Dazu würde dann das Verfahren der Immunadsorption zählen, die Lipidapherese, die Herr Dr. Hirschhausen im Selbstversuch durchgeführt hat, eher nicht“, sagt Prof. Berlit.
Wichtig sind also kontrollierte und unabhängige Studien und Daten, ob bestimmte Verfahren Patienten helfen können. Das Post-Covid-Aphereseregister der International Society for Apheresis soll dabei Abhilfe schaffen. Darin sollen alle derzeit laufenden Behandlungsansätze dokumentiert und die Evaluation des klinischen Beschwerdebildes systematisiert werden. Allerdings ist auch das Register keine optimale Lösung, da es ebenfalls keinen Kontrollarm gibt – es handelt sich um eine alleinige Sammlung der durchgeführten Apheresen und Apheresetypen bei Post Covid und entsprechender Symptomatik.
Weinmann-Menke erklärt zudem, dass man angesichts des „Leidensdrucks der Patienten“ nicht die Register-Empfehlungen abwarten könne. Daher bemüht sich auch die DGfN nun darum, Studien einzuleiten und Protokolle zu vereinheitlichen, „damit die Daten perspektivisch gepoolt ausgewertet werden können und eine stärkere Evidenz erreicht wird.“ Diese Studien sollen die Wirksamkeit der Immunadsorption untersuchen. Das Verfahren beruht auf der Hypothese, dass Autoantikörper für das Long-Covid-Syndrom verantwortlich sind. „Allerdings ist das nur eine von mehreren Hypothesen zur Erklärung des Phänomens Post Covid“, fügt die Professorin hinzu. „Ebenso könnten beispielsweise subklinische Entzündungsreaktionen die Krankheit auslösen. Wäre das der Fall, würde die Immunadsorption z. B. gar keinen Effekt haben können.“
Bildquelle: Pawel Czerwinski, Unsplash