Ketamin gilt als vielversprechender Wirkstoff zur Behandlung von schwerer Depression. Doch das Narkotikum hat starke Nebenwirkungen. Einem Wissenschaftler gelang es nun, Ketamin ohne diese Nachteile herzustellen.
Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass eine Depression häufig auf eine verringerte Neuroplastizität zurückgeführt werden können. In diesem Fall ist die Neubildung von Verbindungen zwischen Neuronen im Gehirn gestört. „Klassische Antidepressiva regen die Neuroplastizität indirekt über neurophysiologische Prozesse an und wirken auf diese Weise stimmungsaufhellend“, erklärt Neurowissenschaftler Prof. Sherif El Sheikh. Die Effekte treten jedoch erst nach zwei bis vier Wochen ein. Zudem führt der Einsatz klassischer Antidepressiva nur bei jedem dritten Patienten zum Erfolg.
Abhilfe könnte das Narkotikum Ketamin schaffen, dass die Neuroplastizität auch bei bislang therapieresistenter Depression anregen kann und bereits nach etwa 40 Minuten eine antidepressive Wirkung hervorruft. Wegen seiner bewusstseinsverändernden Nebenwirkungen darf Ketamin jedoch nur unter ärztlicher Aufsicht verabreicht werden. Zudem besteht hohes Missbrauchspotenzial – der Ruf als Partydroge eilt dem Arzneimittel voraus.
Wissenschaftler Henrik Weber versuchte daher, einen Wirkstoff herzustellen, der den antidepressiven Effekt von Ketamin behält, aber keine bewusstseinsverändernde Wirkung erzielt. Im Fokus der Arbeit stand daher die Synthese von Hydroxynorketamin, dem Stoffwechselprodukt von Ketamin, das vermutlich für die antidepressive Wirkung verantwortlich ist. „Im Gegensatz zu Ketamin weist es weder Nebenwirkungen noch Abhängigkeitspotenzial auf“, so Weber.
Für die Synthese erstellte Weber zunächst mehrere Derivate von Hydroxynorketamin, um diese dann auf ihre Wirkung hin zu optimieren. Dazu nutzte der Forscher ein besonderes Verfahren: Weber konstruierte die Grundstruktur des Stoffes mithilfe einer sogenannten Diels-Alder-Reaktion, was sich als wirksamer als bisherige Synthese-Verfahren herausstellte. In einem weiteren Schritt wurde die Struktur optimiert. Dazu erstellte Weber eine Substanzbibliothek: „Ich habe Bestandteile wie Aryl- und Methylgruppen in der chemischen Struktur von Hydroxynorketamin nach dem Trial-and-Error-Prinzip variiert und den Einfluss der Anpassungen auf die Substanzeffekte analysiert.“
So sei eine Bibliothek mit neuen Verbindungen aus verschiedenen Kombinationen entstanden, mit der sich Struktur-Wirkungsbeziehungen nachvollziehen ließen. „Mit diesem Wissen konnten dann gezielt Derivate mit den gewünschten Eigenschaften hergestellt werden“, so Weber.
Heraus kamen 20 Derivate, die an Nervenzellen im Labor getestet wurden. Dabei zeigte sich nicht nur, dass die gewünschte Wirkung eintrat und die Neuroplastizität angeregt wurde, sondern auch, dass einige Derivate deutlich effektiver als Hydroxynorketamin waren: Die Neubildung erfolgte bereits bei einer sehr niedrigen Konzentrationen, bei denen die Stammverbindung Ketamin keinerlei Effekte zeigt – und das sogar noch stärker.
„Bis ein Wirkstoff auf den Markt kommt, der auf dem entwickelten Verfahren basiert, ist es noch ein langer Weg“, so El Sheikh. „Die Ergebnisse sind aber sehr vielversprechend – und das nicht nur für die Therapie von Depressionen, sondern auch für die Vorbeugung und Behandlung von Demenz. Das Risiko, an Demenz zu erkranken, steigt nämlich, wenn Depressionen in der Vorgeschichte nachzuweisen sind. Zudem kann es auch Demenz-Betroffenen helfen, wenn die Neuroplastizität angeregt wird.“ Die Derivate werden nun an komplexeren Kulturen getestet und optimiert.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Technischen Hochschule Köln. Die Dissertation findet ihr hier.Bildquelle: Mishal Ibrahim, unsplash.