Die Corona-Impfung kann bei einigen Personen das Risiko für seltene Myokarditiden erhöhen – besonders bei Jungs. Sollten die Impfempfehlungen für Kinder deswegen angepasst werden?
Derzeit empfiehlt die STIKO gesunden Kindern ab 12 Jahren alle drei COVID-19-Impfdosen. Dabei zeichnet sich schon länger ab, dass insbesondere bei männlichen Jugendlichen das Risiko für seltene Myokarditiden nach einer Corona-Impfung erhöht ist. Andere europäische Länder sind bekanntermaßen zurückhaltender mit den Impfempfehlungen. Dänemark und Schweden etwa empfehlen die Corona-Impfung nicht mehr für gesunde Kinder unter 18 Jahren. Allerdings ist der Grund nicht das Myokarditis-Risiko, sondern die Tatsache, dass bei Kindern und Jugendlichen eher nicht mit einem schweren Verlauf der Erkrankung zu rechnen ist. Sollte sich Deutschland daran ebenfalls orientieren?
Schon länger ist bekannt, dass das Myokarditis-Risiko nach der Zweitimpfung mit den Corona-mRNA-Impfstoffen für einige Personen erhöht ist. In einer aktuellen Studie haben US-Forscher untersucht, ob das auch bei Booster-Impfungen, also der dritten Dosis, gilt. Die Autoren der Studie, die in den Annals of Internal Medicine veröffentlicht wurde, zogen als Analyse-Grundlage Daten des US-amerikanischen Vaccine Safety Datalink von Dezember 2020 bis August 2022 heran. In dem Zeitraum waren knapp 7 Millionen Impfdosen zur Grundimmunisierung (2 Impfdosen) verabreicht und insgesamt 224 bestätigte Fälle von Myokarditis bei Personen im Alter von 5 bis 39 Jahren registriert worden. Die Autoren analysierten nur Fälle, bei denen die Myokarditis zwischen 1 und 98 Tagen nach der Impfung auftrat.
Von den bestätigten Fällen traten 137 (61 %) 0 bis 7 Tage nach der Impfung auf – 18 davon nach der ersten Dosis und 119 nach der zweiten Dosis. Eine Myokarditis trat demnach bei 1 von 200.000 Dosen der ersten Impfung auf und bei 1 von 30.000 Dosen nach der zweiten Impfung. Im Zeitraum September 2021 bis August 2022 wurden 77 bestätigte Fälle von Myokarditis nach knapp 1,8 Millionen verabreichten Booster-Impfungen registriert. Die Inzidenz einer Myokarditis nach der dritten Impfung belief sich damit auf 1:50.000.
Wie auch schon andere Untersuchungen gezeigt haben, variierte die Inzidenz deutlich nach Alter und Geschlecht. Eine unverhältnismäßig hohe Zahl trat bei männlichen Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren nach der zweiten Dosis und der ersten Auffrischungsimpfung auf.
Vor dem Hintergrund, dass gerade Zweit- und Drittimpfungen das Risiko für Myokarditis bei Jungs erhöht, stellt sich die Frage, ob Auffrisch-Impfungen für diese Altersgruppe überhaupt sinnvoll sind. Doch dazu können selbst Experten keine klare Antwort liefern. In einer Diskussionsrunde mit pädiatrischen Infektiologen, die vor einigen Tagen online stattfand, war das eins der brisanten Themen.
„Eine Myokarditis ist absolut kein banales Ereignis“, sagt Prof. Johannes Hübner, Stellvertretender Klinikdirektor und leitender Oberarzt der Infektiologie am Klinik der LMU München. „Es gibt schon einzelne Berichte, die das Risiko eines stationären Aufenthalts mit Covid gegenüber stellen mit dem Risiko eine Myokarditis [nach einer Impfung] zu bekommen. Und da sind wir gar nicht so weit voneinander entfernt, was die Häufigkeiten anbelangt.“ Man dürfe aber eben nicht vergessen, dass auch eine SARS-CoV-2-Infektion eine Myokarditis auslösen kann und das müsse man eben gegeneinander abwägen.
Auch hierzu gibt es eine aktuelle Arbeit, die in Circulation erschienen ist und das Risiko einer Myokarditis nach einer Impfung und einer SARS-CoV-2-Infektion verglich – allerdings untersuchte die Arbeit nicht speziell die junge Altersgruppe. Die Autoren ermittelten, dass das Risiko in der gesamten Bevölkerung eine Myokarditis nach einer SARS-CoV-2-Infektion zu entwickeln höher ist als durch eine Corona-Impfung. Eine Ausnahme davon gab es aber trotzdem. Nur bei Männern unter 40, die den Moderna-Impfstoff als Zweitdosis bekamen, traten 97 zusätzliche Myokarditis-Fälle auf, also mehr als bei einer SARS-CoV-2-Infektion.
Bei ungeimpften Männern unter 40 Jahren, die an COVID-19 erkrankten, traten 16 zusätzliche Myokarditis-Fälle pro einer Million Infizierten auf. Im Zusammenhang mit der ersten Dosis des Biontech-Impfstoffs kam es in dieser Altersgruppe zu rund vier zusätzlichen Fällen und 14 zusätzlichen Fällen mit der ersten Dosis des Moderna-Impfstoffs pro eine Million geimpfter Männer. Dieses Risiko war mit der zweiten Dosis bei allen untersuchten Impfstoffen höher – blieb aber unter dem einer Infektion. Bei Frauen in der gleichen Altersgruppe hielten sich die zusätzlichen Myokarditis-Fälle nach Infektion und Impfung die Waage.
Die Experten in der Diskussionsrunde lassen sich aufgrund der momentanen Sachlage nicht zu eindeutigen Impfempfehlungen für Kinder hinreißen. Prof. Tobias Tenenbaum, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Sana Klinikum Lichtenberg, sieht das Ganze eher pragmatisch: „In Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Kinder und Jugendlichen sich wahrscheinlich schon mit Omikron infiziert haben, wird niemand auf die Idee kommen, diese Kinder noch zweimal zu impfen.“ Deswegen sei die Gefahr für Myokarditis aktuell deutlich reduziert.
Dr. Jakob Armann, Funktionsoberarzt der Pädiatrische Intensivmedizin und Infektiologie an der Klinik für Kinder und Jugendmedizin des Uniklinikums Dresden, sieht das größte Problem darin, dass es an geeigneten Studien mangelt – und erntet dafür zustimmendes Kopfnicken: „Unser Ziel sollte es sein, Eltern und Jugendlichen eine gute Empfehlung geben zu können. Dafür brauchen wir endlich für Kinder größere prospektive Studien.“
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