Ein Mann hört auf dem linken Ohr immer schlechter. In der Klinik finden die Ärzte eine mysteriöse Masse in seinem Mittelohr. Ein Tumor? Oder doch nicht? Ein Fallbericht zum Mitraten.
Ein 65-jähriger Patient wird mit einem seit 6 Monaten bestehenden linksseitigen Hörverlust in die Hals-Nasen-Ohren-Abteilung einer Klinik in den Niederlanden überwiesen. Bisher konnte keine Ursache für die Beschwerden gefunden werden.
Anamnestisch dokumentieren die Ärzte einen Myokardinfarkt, Schlafapnoe, einen Morbus Menière und eine angeborene Katarakt. Ohrenschmerzen, Otorrhoe, eine kürzliche Episode des Morbus Menière oder andere Hals-Nasen-Ohren- bzw. systemische Symptome verneinte der Patient auf Nachfrage. An Medikamenten nimmt er Atorvastatin und Acetylsalicylsäure ein. Er raucht nicht, gibt aber an, täglich etwa 2 Gläser Wein zu trinken.
Die Otoskopie des linken Ohrs zeigt eine gelb-weißliche kalkhaltige lobuläre Masse, die sich im Mesotympanon vor dem Malleus befindet (siehe Abbildungen im Fallbericht). Das Trommelfell ist intakt. Die Läsion ist hart und schmerzhaft bei der Palpation. Die Otoskopie rechtsseitig sieht völlig normal aus.
Die Ergebnisse der Reintonaudiometrie zeigen einen linksseitigen Hörverlust mit einem Reintonmittelwert von 110 dB HL und einem Knochenleitungspegel von etwa 60 dB HL. Das Tympanogramm zeigt eine normale A-Kurve mit einer normalen bis geringen Mittelohr-Compliance von 0,5 mm auf der linken Seite.
Die Computertomographie des Mittelohrs zeigt eine heterogene, runde, hyperdichte Masse von 5,5 mm im linken Mittelohr dicht an Malleus, Trommelfell und Tegmen. Es können keine weiteren Anomalien an Mastoid, Gehörknöchelchen, dem Fazialiskanal oder den umgebenden Blutgefäßen gefunden werden.
Die niederländischen Ärzte stellen die Diagnose Tophöse Gicht.
Gichtablagerungen in Form der typischen Mononatriumuratkristalle sind typischerweise in subkutanem Gewebe oder in peripheren Gelenken zu finden und können hier Entzündungen und Schmerzen hervorrufen. Makroskopische Ablagerungen – die sogenannten Tophi – werden in der Kopf- und Halsregion am Ohrmuschelrand, dem Nasenrücken, dem Kehlkopf und dem Krikoarytenoidgelenk sowie in den Kiefer- und Sternoklavikulargelenken beobachtet.
Die Autoren des Fallberichts schreiben: „Zu den Risikofaktoren für Tophi dieser Art gehören Übergewicht, Bluthochdruck, Alkoholkonsum, eine fructosereiche Ernährung, Fleisch- und Fischkonsum sowie die Einnahme gewisser Medikamente, einschließlich ASS und Diuretika.“
Obwohl eine Schallleitungsschwerhörigkeit aufgrund einer Mittelohrmasse häufig vorkommt, ist ein Tophus im Mittelohr eine seltene Ursache hierfür. Die geringe Inzidenz in Verbindung mit dem Fehlen klinischer Manifestationen von Gicht oder Hyperurikämie erklärt, warum die tophöse Gicht im Mittelohr oft fälschlicherweise für ein Osteom, ein Cholesteatom oder Tympanosklerose gehalten wird. „Dieser Fall unterstreicht, wie wichtig es ist, bei Patienten mit Schallleitungsschwerhörigkeit und einer Masse im Mittelohr weitere Diagnostik zu betreiben“, so Neutel et al.
Zu den diagnostischen Merkmalen gehört zunächst ein lobuläres, weißliches Aussehen der Masse bei der Otoskopie. Verursacht werden die Lobuli durch die Ansammlung von Kristallen im Tophus, während Osteom und Tympanosklerose vom Aussehen her eher dichter und runder sind. In der CT-Bildgebung erscheint ein Tophus oft heterogen hyperdicht (mit unruhiger Struktur), während ein Osteom als kompakte, knochenartige Struktur und eine Tympanosklerose oder ein Cholesteatom als homogenere Masse erscheinen.
Die Magnetresonanztomographie kann als zusätzliches Instrument zur Unterscheidung zwischen Tophi und Cholesteatom verwendet werden, da letzteres T2-hyperintens ist.
In den meisten beschriebenen Fällen wurde eine chirurgische Entfernung der Masse durchgeführt, wobei die Gehörknöchelchenkette in 5 von 6 Fällen intakt blieb. Darüber hinaus wird in den Leitlinien des American College of Rheumatology für alle Patienten mit oberflächlicher Gicht dringend eine uratsenkende Therapie (z. B. Allopurinol oder Febuxostat) empfohlen, wobei ein Serum-Urat von weniger als 0,36 mmol/L oder weniger als 6 mg/dL und eine 6-monatige Anwendung einer entzündungshemmenden Prophylaxe-Therapie (z. B. Colchicin) angestrebt werden sollte. Auch die deutsche Gicht-Leitlinie empfiehlt bei tophöser Gicht schon ab dem ersten Tophus eine harnsäuresenkende Therapie, wobei kein fester Zielwert vorgegeben wird.
In dem hier beschriebenen Fall begann der Patient zunächst damit, seinen Lebensstil zu ändern, kehrte aber wegen eines fortschreitenden Hörverlustes für eine OP in die Klinik zurück. Über einen postaurikulären, transmeatalen Zugang entfernten die Ärzte dann eine brüchige Masse, dicht am Tensor tympani, dem Malleus und dem Articulatio incudostapedia gelegen. Die Chorda tympani blieb intakt, Incus und Stapes wurden mit Knochenzement wieder verbunden. Postoperativ verschwanden die Unterschiede zwischen Luft- und Knochenschwelle im Audiogramm wieder vollständig. Die Histologie zeigte Kristalle, die zur Diagnose einer Gicht passten.
Die Autoren schreiben am Ende ihres Berichtes: „Dieser Fall zeigt charakteristische Otoskopie- und CT-Aufnahmen einer ungewöhnlichen Ursache für die häufig auftretende Mittelohrmasse. Die Diagnose „Gicht“ kann mittels Otoskopie diagnostiziert werden und sollte bei der Differentialdiagnose von Mittelohrgeschwülsten in Betracht gezogen werden.“
Den Fallbericht findet ihr hier.
Bildquelle: Franco Antonio Giovanella, unsplash