ALS ist nicht heilbar. Bisherige Therapien konnten nur einige Symptome lindern, an eine längere Lebenszeit war nicht zu denken. Ein vielversprechendes neues Medikament könnte das ändern.
Die ALS-Forschung sorgte in den letzten Jahren immer wieder für Aufsehen. Das lag insbesondere an neuen vielversprechenden Therapeutika, die ein Aufhalten oder gar eine Heilung der tödlichen Nervenerkrankung versprachen. Leider waren die meisten dieser vielversprechenden Therapeutika nur im Tierversuch erfolgreich und konnten in größeren Patientenstudien nicht performen. Bislang existiert also noch immer keine kausale Therapie der Erkrankung, die wenigen verfügbaren Medikamente können nur einige Symptome lindern.
In Deutschlang ist hierfür allein Riluzol zugelassen – für das in den USA zugelassene Edaravon konnte in der deutschen Zulassungsstudie die versprochene Wirkung nicht reproduziert werden. Doch nun wurde ein neuartiges ALS-Therapeutikum in den USA zugelassen. Es handelt sich um AMX0035 oder Relyvrio® der Firma Amylyx Pharmaceuticals Inc.
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine fortschreitende Motoneuronerkrankung, welche meist ab dem 50. Lebensjahr auftritt und in der Regel innerhalb von 2 bis 4 Jahren zu zunehmender Behinderung durch Muskellähmungen und schließlich zum Tod führt. Relyvrio® kann die Erkrankung zwar nicht stoppen, es soll jedoch sowohl die Behinderung als auch den Tod der Patienten hinauszögern können. Es handelt sich hierbei um eine oral eingenommene Substanz bestehend aus Natriumphenylbutyrat und Taurursodiol. In Kombination sollen diese Substanzen den Neuronenzerfall bremsen, indem sie der für die ALS pathognomonischen Fehlfunktion von Mitochondrien und endoplasmatischem Retikulum entgegenwirken.
Dies wurde in der CENTAUR-Studie untersucht, deren Daten im April 2021 auf dem Kongress der American Academy of Neurology (AAN) vorgestellt wurden. In die Studie wurden 137 Probanden eingeschlossen, deren ALS-Erkrankung weniger als 18 Monate bestand. Die Probanden wurden randomisiert in eine Placebo- und AMX0035-Gruppe eingeteilt, wo sie für 6 Monate behandelt wurden. Im Anschluss folgte eine entblindete Fortführung der Studie, in der alle Patienten mit AMX behandelt wurden. Den Forschern nach habe man den Beobachtungszeitraum absichtlich kurz gehalten, damit alle Probanden lange genug überleben, um mit dem neuen Medikament behandelt werden zu können. So konnten Daten aus bis zu 3 Jahren Beobachtungszeitraum ausgewertet werden. Untersucht wurden die Sterblichkeit sowie die funktionellen Einschränkungen mittels der ALS Functional Rating Scale (ALSFRS).
Nach 6 Monaten zeigten die Patienten der AMX-Gruppe ein besseres funktionelles Ergebnis im ALSFRS. Der halbjährige Beobachtungszeitraum war jedoch zu kurz, um eine Aussage über die Sterblichkeit treffen zu können. Die Daten des verlängerten, entblindeten Beobachtungszeitraums konnten jedoch ein um etwa 44 % reduziertes Sterberisiko in der frühzeitig mit AMX therapierten Gruppe nachweisen. Die Probanden lebten im Mittel 11,5 Monate länger. Die Probanden der später mit AMX behandelten Gruppe lebten im Vergleich etwa 6,4 Monate länger. Dabei beziehen sich die Überlebenszahlen auf den durchschnittlichen Krankheitsverlauf einer ALS-Erkrankung. Es zeigte sich zudem eine längere Überlebenszeit der Probanden in der AMX-Gruppe bevor sie erstmals hospitalisiert werden mussten oder eine dauerhafte maschinelle Beatmung nötig war. Die Nebenwirkungen fielen insgesamt mild aus und umfassten gastrointestinale Beschwerden wie Durchfall und Übelkeit sowie obere Atemwegsinfekte.
Eine Phase-3-Studie mit größerer Probandenzahl und längerem Beobachtungszeitraum (PHOENIX-Studie) soll die vielversprechenden Daten nun verifizieren. An der bis 2024 ausgelegten Studie beteiligen sich u.a. auch ALS-Zentren in Deutschland wie etwa das der Charité. Eigentlich wollte die US-amerikanische FDA erst nach Erhalt dieser Studiendaten über eine Zulassung von Relyvrio® entscheiden. Doch aufgrund von Drängen durch ALS-Patientenfürsprechergruppen wurde diese Entscheidung überdacht und das Medikament schließlich bereits Ende September 2022 zugelassen.
In Deutschland ist das Medikament noch nicht zugelassen und nur im Rahmen der Studie erhältlich. Es bleibt abzuwarten, wie die EMA auf die Entscheidung der FDA reagiert und insbesondere, ob die vielversprechenden Ergebnisse der Phase-2-Studie nun bestätigt werden können.
Bei Relyvrio® handelt es sich damit um das erste ALS-Therapeutikum, welches die Überlebenszeit der Patienten tatsächlich verlängern könnte. Dies stellt ein absolutes Novum dar und die Ergebnisse der PHOENIX-Studie werden zu Recht mit Spannung erwartet. Das Medikament wird, sofern es zugelassen wird, in Deutschland voraussichtlich in Kombination mit dem bereits verfügbaren Riluzol eingesetzt werden. Auch, wenn nun erstmals das Überleben von ALS-Patienten verlängert werden konnte, bleibt die ALS eine unheilbare und rasch tödlich verlaufende Erkrankung. Weitere Forschung ist dringend notwendig, um die Lebensqualität und das Überleben der Betroffenen zu verbessern.
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