Die Energiekrise setzt auch Arztpraxen unter Druck – doch die wurden politisch bisher schlicht vergessen. Durch stromhungrige MRT-Geräte droht vor allem in radiologischen Praxen der Blackout.
Ein Gastbeitrag von Prof. Stephan Schmitz, Radiologie Initiative Bayern.
Steigende Energiepreise belasten nicht nur die Wirtschaft, sondern gefährden auch die Gesundheitsversorgung. Trotzdem finden medizinische Einrichtungen weder bei den aktuellen noch bei den geplanten Entlastungspaketen Beachtung. Firmen, die international Handel betreiben? Sicher. Unternehmen, die Verluste machen? Auf jeden Fall. Der Mittelstand? Vielleicht. Niedergelassene Ärzte? Für sie wurden von der Bundesregierung bisher noch keine finanziellen Hilfen mobilisiert. Radiologe Stephan Schmitz. Credit: Schmitz.
Insbesondere in der Radiologie befürchten Praxen als Großverbraucher negative Auswirkungen für die Patienten. So könnte es etwa sein, dass MRT-Untersuchungen durch die erhöhten Strompreise eventuell bald nicht mehr flächendeckend stattfinden und einige Praxen durch die explodierenden Betriebskosten sogar schließen müssen. In der Folge verlängern sich die Wartezeiten für Arzttermine und die Diagnose schwerwiegender Krankheiten wie Krebs verzögert sich unter Umständen um mehrere Monate. Hier sind Nachbesserungen gefragt.
Einige Praxen berichten inzwischen davon, dass sich ihre Stromrechnungen von jährlich ehemals 33.300 Euro (Stand 2018) in 2023 auf 540.000 Euro erhöhen werden. Innerhalb von fünf Jahren ist das eine Preissteigerung von mehr als 1.500 Prozent – allein bei den Stromkosten. Nicht berücksichtigt sind hier die 10 Prozent Inflation (Stand September 2022), die Lohnkosten und Mieten und die Aufwendungen für Wartung und Instandhaltung von Geräten oder deren Neuanschaffung.
Mehr noch: Nach Sondertarifen, wie sie etwa Industriekunden mit vergleichbaren Verbräuchen erhalten, suchen die niedergelassenen Ärzte oft vergebens. Als Freiberufler profitieren Radiologen nicht von den Extraregelungen, die andere Großverbraucher beispielsweise von bestimmten Nebenabgaben entbinden. Außerdem ist genau geregelt, welche Summen mit den Krankenkassen abgerechnet werden dürfen. Das handelt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) jedes Jahr mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen neu aus. Dementsprechend können Praxisbetreiber, anders als in der freien Wirtschaft, ihre steigenden Kosten auch nicht an Patienten weitergeben.
Also Stromfresser identifizieren, Stecker ziehen und Energieverbrauch senken? Solche einschlägigen Tipps funktionieren in der Radiologie nur bedingt. Schließlich ziehen die hochkomplexen Kernspintomografen mit durchschnittlich rund 80.000 kWh pro Jahr nicht nur im Betrieb sehr viel Energie. Die tonnenschweren Geräte stehen auch im Ruhezustand dauerhaft unter Strom, um die Kühlung des flüssigen Heliums aufrechtzuerhalten. Fällt diese aus, bricht bestenfalls nur das Magnetfeld zusammen, was mit zusätzlichen Kosten von 20.000 Euro für eine Wiederinbetriebnahme einhergeht. Schlimmstenfalls steigt die Temperatur des Heliums so stark an, dass der Supraleiter die sogenannte Sprungtemperatur übersteigt, was bei hohen Stromstärken zu einer extremen Wärmebelastung führen kann, die das Gerät selbst zerstört.
Einfach auf den „Aus-Knopf“ zu drücken, ist also genauso wenig eine Option wie Effizienzsteigerung durch kürzere Behandlungszeiten. In der Regel dauert eine MRT-Untersuchung zwischen 15 und 20 Minuten. Je nach Art des Befunds und der zu untersuchenden Körperregion kann sich für eine optimale Bildqualität ein höherer Zeitaufwand von bis zu einer Stunde ergeben. Außerdem kommen vereinzelt akute Notfälle hinzu. Entsprechend nehmen täglich auf der Liege des Kernspintomografen zwischen 20 und 30 Patienten Platz. Die Kapazitätsgrenzen sind damit erreicht. Ein Mehr an Untersuchungen setzt eine größere Anzahl an Geräten und Personal voraus.
Selbst in Krisenzeiten sollten Praxen mindestens in der Lage sein, kostendeckend zu arbeiten. Hier muss die Politik entsprechende Weichen stellen, um die Gesundheitsversorgung flächendeckend zu sichern. Der Vorstoß der Landesregierungen von Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein für einen Inflationsausgleich ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, greift aber in Summe zu kurz, denn der ambulante Bereich wurde schlichtweg vergessen.
Und auch vonseiten der Krankenkassen, insbesondere auf GKV-Spitzenverbandsebene, gibt es noch kein Angebot, wie sichergestellt werden soll, dass Praxen sich die Energiekosten künftig leisten können, insbesondere da die minimale Anpassung des Orientierungswerts die Kostenentwicklung nicht sachgerecht abbildet. Neben einem Schutzschirm vom Bund, der auch freie Berufe einschließt, sind nachhaltige Strukturreformen unumgänglich. Dazu gehört auch die Neubewertung der Sachkostenpauschale.
Zum Autor: Prof. Stephan Schmitz ist Facharzt für Radiologie und Mitglied der Radiologie Initiative Bayern, eines Zusammenschlusses von inhabergeführten radiologischen Praxen in ganz Bayern. Mehr Infos findet ihr hier: Radiologie Initiative Bayern.
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