Ein Haustierarzt behandelt viele Spezies – und sollte Besonderheiten bei Klinik und Diagnostik auf dem Schirm haben. Vor allem Diabetes mellitus kann sich bei Hund und Katze unterschiedlich äußern. Das Wichtigste auf einen Blick.
Auch in der Tierarztpraxis spielen metabolische Erkrankungen wie Diabetes mellitus eine große Rolle. Als Tierarzt gilt es jedoch, einige Unterschiede zwischen Hunden und Katzen zu beachten. In welchen Punkten die Erkrankung bei diesen beiden Tierarten ähnlich und in welchen anders ist, möchte ich hier einmal zusammenfassen.
Starten wir also mit den wichtigsten Gemeinsamkeiten. Der Diabetes mellitus ist eine vielschichtige Störung im Kohlenhydrat-, Fett- und Proteinhaushalt. Physiologischerweise führt ein erhöhter Glucosespiegel nach der Futteraufnahme zur Ausschüttung von Insulin, welches die Aufnahme von Glucose in die Zellen ermöglicht. Bei einem Diabetes mellitus ist je nach Form des Diabetes entweder nicht genügend Insulin verfügbar, oder die Zellen können das verfügbare Insulin nicht adäquat aufnehmen – oder beides. So kommt es in den Zellen zu einem Energiemangel. Gleichzeitig steigt die Konzentration von Glucagon, welches in der Leber die Glykogenolyse und Gluconeogenese ankurbelt.
Das Ergebnis ist eine Hyperglykämie, die, wenn sie einen gewissen Wert überschreitet, zur Ausscheidung von Glucose über den Urin und zu einer osmotischen Diurese führt. Irgendwie brauchen die Zellen aber ja Energie. Auf den Mangel reagiert der Körper mit einer vermehrten Lipolyse und Bildung von (stark sauren) Ketonkörpern. Sobald die Produktion von Ketonkörpern den Verbrauch übersteigt, kommt es zur Ausscheidung von Ketonkörpern im Urin und im weiteren Verlauf einer zunehmenden Übersäuerung des Blutes.
Insulin ermöglicht auch den Einbau von Aminosäuren in Proteine. Es kommt so zu einem katabolen Zustand bei gleichzeitiger Polyphagie, da auch das Sättigungszentrum im Gehirn durch den Insulinmangel keine Glucose aufnehmen kann und so gar nicht „weiß“, dass schon genug Glucose vorhanden ist.
Kommen wir nun zu den Unterschieden: Welche Mechanismen genau zum klinischen Bild des Diabetes mellitus führen, ist bei Hund und Katze recht verschieden.
Diabetes mellitus kommt beim Hund recht häufig vor (Prävalenz ca. 0,5 %), wobei eher ältere Tiere ab etwa 7 Jahren betroffen sind. Früher waren deutlich mehr Hündinnen betroffen als Rüden – diese Verteilung verschiebt sich aber inzwischen, vermutlich, da mittlerweile auch viele Hünndinnen kastriert werden (dazu komme ich noch).
Der Diabetes mellitus des Hundes entspricht sehr stark dem Typ-1-Diabetes des Menschen. Verschiedene Noxen toxischer, infektiöser oder immunmediierter Natur lösen eine Zerstörung der ß-Zellen aus und oft führen zusätzliche Begleiterkrankungen (wie z. B. eine Pankreatitis) sowie auch Übergewicht zu einer Erschöpfung der ß-Zellen. Nicht immer kann die Ursache gefunden werden.
Die unkastrierte Hündin ist hier eine Besonderheit: Im Diöstrus bilden sich im Mammagewebe physiologischerweise vermehrt Wachstumshormone, welche diabetogen wirken und bei Hündinnen unter Umständen einen manifesten Diabetes mellitus auslösen. Hier ist eine Kastration notwendig. In vielen Fällen geht der Diabetes danach in Remission.
Klinisch zeigt sich der Diabetes mellitus beim Hund mit den Klassikern Polydipsie/Polyurie, Polyphagie bei gleichzeitiger Gewichtsabnahme (bis hin zur Kachexie) und sehr häufig (bei bis zu 80 %) einer diabetischen Katarakt. Nicht selten ist es – zumindest meiner Erfahrung nach – auch erst letztgenanntes Symptom, das die Besitzer der betroffenen Hunde in die Praxis führt („er sieht schlecht“), zusammen mit einer „Unsauberkeit“ aufgrund der Polyurie. Dass der Hund vermehrt trinkt, wird oft übersehen und ein gesegneter Appetit wird eher als Zeichen für Gesundheit fehlgedeutet.
Die meisten Hunde mit einem unkomplizierten Diabetes mellitus sind bei guter Konstitution; von zu dick über normalgewichtig bis zu dünn ist aber alles dabei. Bei diabetesinduzierenden Erkrankungen (z. B. Pankreatitis) kann die Symptomatik der Grunderkrankung dominieren.
Die diabetische Ketoazidose ist ein Notfall. Die betroffenen Hunde werden vorgestellt mit Anorexie (auch trinken wollen sie nicht mehr), Apathie und Erbrechen. In schweren Fällen verändert sich das Atemmuster, da der Hund versucht, über die Abatmung von CO2 das Säure-Base Gleichgewicht im Blut wieder einzuregeln.
Das Vorhandensein von Ketonkörpern im Urin ist ohne die entsprechende klinische Symptomatik kein Nachweis für eine diabetische Ketoazidose, ungefähr 60 % aller diabetischen Hunde haben eine Ketonurie ohne klinische Auswirkungen. In diesem Falle empfiehlt sich aber eine sehr engmaschige Kontrolle der Patienten und spätestens dann eine Aufklärung der Besitzer über die zu erwartenden Symptome einer Ketoazidose und der Hinweis auf die Lebensbedrohlichkeit einer solchen Entwicklung.
Diagnostiziert wird ein Diabetes mellitus beim Hund durch die Kombination aus Glucosurie und Hyperglykämie, wobei beides in Kombination vorhanden sein muss, denn es gibt sowohl Glucosurien, die nicht diabetischen Ursprungs sind (z. B. Fanconi-Syndrom) als auch Hyperglykämien anderer Genese.
Für die Fahndung nach eventuellen Grunderkrankungen empfiehlt sich eine komplette Blutchemie und Hämatologie. Warmes Milieu mit viel Glucose ist ein idealer Nährboden für Bakterien; deshalb sollte man immer auch den Urin untersuchen – inklusive Bakteriologie.
Die Labordiagnostik einer diabetischen Ketoazidose ist in der Allgemeinpraxis oftmals ein wenig tricky. Der Nachweis ist im Grunde nur über eine Blutgasanalyse möglich und entsprechende Geräte sind in den meisten Praxen nicht vorhanden. Auch die Bestimmung der ß-Hydroxybuttersäure ist inzwischen möglich, dauert aber im Ernstfall viel zu lange, da ein Fremdlabor bemüht werden muss. Bei entsprechender oben genannter Klinik und gleichzeitiger Ketonurie sollte man deshalb lieber von einer Ketoazidose ausgehen und entsprechend handeln.
Bei der Katze ist der Diabetes mellitus die zweithäufigste Endokrinopathie nach der Hyperthyreose. Meist sind ältere, übergewichtige und eher bequeme Katzen betroffen. Auch Glucocorticoidgabe oder Behandlungen mit Progesteronpräparaten erhöhen massiv das Risiko. Burmakatzen sind ebenso wie Maine Coon genetisch prädisponiert. Katzen weisen nur zu einem sehr kleinen Teil einen Typ-1-Diabetes auf oder aber erkranken an einer medikamenteninduzierten oder wachstumshormonbedingten Form. Weitaus die meisten leiden an einer Diabetesform, die eher dem Typ-2-Diabetes des Menschen ähnelt.
Der Diabetes mellitus dieser Katzen ist gekennzeichnet durch einen relativen Insulinmangel bei gleichzeitiger Insulinresistenz der Zielzellen. Fettleibigkeit und Bewegungsmangel senken bei der Katze massiv die Aufnahmefähigkeit der Zellen für Insulin. Gleichzeitig behindern Glucose und Lipide die Insulinausschüttung im Pankreas, sehr viel Glucose schädigt irgendwann die ß-Zellen irreversibel. Diese beiden Mechanismen sind der Grund dafür, dass eine vollständige Remission bei der Katze möglich ist, wenn rechtzeitig und sehr konsequent behandelt wird.
Zunächst wird durch die ß-Zellen noch sehr viel Insulin produziert, zusammen mit Amyloid. Letzteres lagert sich in den Inselzellen des Pankreas ab und führt so zum Zelluntergang. Aus einem relativen Mangel wird also mit der Zeit ein absoluter Mangel an Insulin.
Die klassischen Leitsymptome sind bei der Katze ähnlich wie beim Hund: Polydipsie/Polyurie, Polyphagie und Gewichtsverlust. Eine diabetische Katarakt ist bei der Katze untypisch. Viel häufiger ist die diabetische Neuropathie. Charakteristisch sind hier eine generalisierte Muskelschwäche („kann nicht mehr auf’s Sofa springen“), reduzierte Tiefensensiblität und der plantigrade Gang der Hintergliedmaßen.
Bei Hunden wie Katzen sollte eine gründliche klinische Untersuchung eine Selbstverständlichkeit sein, auch um Hinweise auf Begleiterkrankungen zu finden. Gerade bei Katzen ist hier die Untersuchung auf eventuelle Entzündungen (Maulhöhle!) sehr wichtig. Unbehandelte Entzündungen können später eine Einstellung des Diabetes extrem erschweren und schlimmstenfalls unmöglich machen.
Auch bei Katzen kommen verkomplizierte Diabetesverläufe vor, unserer Erfahrung nach sogar deutlich häufiger als beim Hund.
Die diabetische Ketoazidose entspricht in ihrer Symptomatik der beim Hund. Das (ketonkörperunabhängige) hyperglykämisch-hyperosmolare Syndrom kommt bei sehr hohen Glucosewerten vor, welche die osmolaren Verhältnisse im Körper ändern (hyperosmolares Plasma) und so zu Wasserverlust in den Zellen führen. Krampfanfälle und Koma sind typische Symptome, können aber auch fehlen, in dem Fall sind die beiden Formen der Stoffwechselentgleisung klinisch schlecht voneinander zu unterscheiden – bei passender Symptomatik einer Diabetikerkatze sind die Ketonkörper im Urin also kein Ausschlusskriterium für eine diabetesbedingte (lebensbedrohliche) Entgleisung des Stoffwechsels.
Die Diagnostik gestaltet sich bei der Katze ein wenig komplizierter als beim Hund. Zum einen liegt die Nierenschwelle für Glucose ein gutes Stück höher (ca. 270 mg/dl). Ein Diabetes muss sich also nicht immer in einer Glucosurie äußern. Auf der anderen Seite sind Katzen viel empfindlicher für eine Stresshyperglykämie. So tiefenentspannt wird kaum eine Katze sein, dass in der Tierarztpraxis ihr Blutzuckerspiegel nicht deutlich höher liegt als normalerweise. Deshalb eignet sich das Anfertigen eines Blutzuckertagesprofils in der Praxis zur Einstellung eines Diabetes auch nur suboptimal. Besser sollten das die Besitzer daheim übernehmen, wenn möglich (auch da gibt es einige Tücken, wie ich hier bereits beschrieben habe).
Als Diagnostikum hilft uns bei der Katze die Messung der Fruktosamine. Bei Fruktosaminen handelt es sich um an Proteine gebundene Glucose. Sie sind von kurzfristigen Schwankungen des Blutzuckerspiegels unbeeinflusst und bilden sehr gut den durchschnittlichen Blutzuckerwert der letzten 2 Wochen ab. Erhöhte Werte sprechen für einen Diabetes. Allerdings können Begleiterkrankungen wie eine Hyperthyreose oder eine Hypoproteinämie den Fruktosaminspiegel senken.
Die Urinuntersuchung entspricht dem Vorgehen beim Hund. Noch wichtig bei der Katze: Die komplette Blutchemie (inklusive spez. Pankreaslipase) und Hämatologie ist bei Katzen mit Verdacht auf Diabetes mellitus extrem wichtig. Nicht nur, um eventuelle Begleiterkrankungen wie eine Pankreatitis frühzeitig zu erkennen, sondern auch, um den Fruktosaminwert angemessen beurteilen zu können.
Bildquelle: Erda Estremera, unsplash.