Ein sicherer Hafen für Kinder, deren Eltern von psychischen Erkrankungen betroffen sind: Das soll das österreichische Village-Projekt sein. Erste Ergebnisse sind positiv, doch die Stigmatisierung psychischer Krankheiten bleibt ein großes Problem.
Kinder, die mit psychisch erkrankten Eltern aufwachsen, übernehmen oft viel Verantwortung und sind selbst belastet. Im Projekt Village entwickelte ein Forschungsteam ein Vorsorgeprogramm für betroffene Familien in Tirol. Nun wurde das Pilotprojekt erfolgreich abgeschlossen. Wie geht es weiter?
Schätzungen zufolge wächst jedes vierte Kind mit einem psychisch kranken Elternteil auf – und damit mit einem erhöhten Risiko, später selbst psychisch oder körperlich zu erkranken. Kinder von psychisch erkrankten Elternteilen leiden häufig mit, oft im Stillen. Viele übernehmen früh viel Verantwortung, fühlen sich minderwertig oder gar schuldig und fürchten sich vor Stigmatisierung. In Tirol fehlt es bisher an einer flächendeckenden, niedrigschwelligen Präventionsstruktur für diese Kinder. Dies zu ändern, machten sich die Verantwortlichen des Pilotprojekts Village unter der Leitung der Sozialforscherin Jean Paul von der Univ.Klinik für Psychiatrie I in den vergangenen fünf Jahren zur Aufgabe und etablierten Tirol ab 2018 als Modellregion. Nun ist das wissenschaftliche Projekt ausgelaufen.
Im Vergleich zu den Kosten, die für die psychiatrische Behandlung von Kindern anfallen wenn Prävention verabsäumt wird, ist das Village-Programm kostengünstig (rund € 1.130 pro Familie bzw. € 630 pro Kind für die Teilnahme). Eine nachhaltige flächendeckende Finanzierung ist bisher dennoch nicht gelungen. „Unbestritten ist, dass es dringenden Handlungsbedarf zur frühzeitigen Unterstützung betroffener Familien gibt. Dazu bedarf es sektorenübergreifender Zusammenarbeit und es ist erforderlich, dass der Prävention politisch jener Stellenwert eingeräumt wird, der international, u.a. von der WHO, schon lange gefordert wird“, betont Wolfgang Fleischhacker, Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck.
Das Forschungsteam erarbeitete auf Basis wissenschaftlicher Analysen zunächst ein Konzept für ein Unterstützungsprogramm. Dabei stellten sie die direkte Beteiligung von Betroffenen und anderen Stakeholdern in den Mittelpunkt. Eine Gruppe junger Erwachsener, die mit psychisch erkrankten Elternteilen aufgewachsen sind, brachte während des gesamten Forschungsprozesses ihr Feedback ein. „Die Einbeziehung der Gesellschaft im Allgemeinen und Betroffenen im Besonderen machen diese wissenschaftlichen Projekte enorm wertvoll. Das Zusammenbringen verschiedener Akteure erlaubt die Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven um ein Gesamtbild zu erhalten“, betonen Elvira Welzig und Marisa Radatz, Geschäftsführerinnen der Ludwig Boltzmann Gesellschaft.
Ziel war es, die Familien direkt in der psychiatrischen Praxis abzuholen. Sechs psychiatrische Krankenhausabteilungen und zehn niedergelassene Ärzte beteiligten sich nach einer Schulung am Screening und Zuweisungsprozess. Sie unterbreiteten psychisch erkrankten Müttern und Vätern von minderjährigen Kindern das Angebot, als Familie an dem kostenlosen Programm teilzunehmen.
Bei darauffolgenden Familien und Netzwerktreffen unter Anleitung von insgesamt zwölf geschulten Koordinatoren ging es darum, gemeinsam ein möglichst dichtes soziales Unterstützungsnetz – bestehend aus Verwandten, Nachbarn, Lehrern, Trainern, Ehrenamtlichen und Sozialarbeitern – für die Kinder zu weben.
Insgesamt wurden im Verlauf des Projekts 96 Familien zugewiesen, von denen 30 das Programm mit vorangehender und abschließender Befragung absolvierten. Corona-bedingt wurde für einzelne Elemente eine Onlineversion entwickelt.
Die vor Programmbeginn erhobenen Daten geben Hinweise auf eine erhebliche Belastung der befragten Kinder und Eltern, was z.B. Gesundheitszustand, Stigmatisierung und übermäßige Verantwortung im Haushalt betrifft. Nach Programmende zeigten sich Verbesserungen bei Kindern und Eltern hinsichtlich Gesundheitszustand, Wissen und Kommunikation über psychische Krankheit innerhalb und außerhalb der Familie. Ebenso verbesserten sich die Eltern-Kind-Beziehung und die Bereitschaft der Eltern, Unterstützung anzunehmen.
„Die Eltern waren mit dem Programm sehr zufrieden, die Kinder gaben gemischte Zufriedenheitswerte an“, resümiert Jean Paul. Das Ausmaß der Stigmatisierung und die Bewertung der Lebensqualität änderten sich jedoch kaum. Bereits die zu Projektbeginn angestellten Analysen ergaben, dass in Tirol ein hohes Maß an gesellschaftlicher Stigmatisierung besteht. Das Forschungsteam setzte dahingehend während der gesamten Laufzeit begleitende Maßnahmen zur Sensibilisierung für das Thema, etwa mit Beiträgen in klassischen und sozialen Medien.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Medizinischen Universität Innsbruck. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Piron Guillaume, unsplash.