Ach ja, das gute Titandioxid. Es hält unsere Medikamente zusammen und macht unsere Lieblingsdonuts schön weiß und glänzend. Bei Lebensmitteln wurde es inzwischen verboten – in der Pharmazie allerdings nicht. Was soll das?
Mögt ihr Donuts? Steht ihr besonders auf die zuckrig-weiß glänzenden? Das Auge isst ja schließlich mit. Dann habt ihr euch beim Verzehr bis August 2022 eine gewisse Dosis TiO2 einverleibt. Als sogenanntes E171 war dies nämlich bis einschließlich Juli 2022 in der EU als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen. Ihr habt richtig gelesen: „war“. Inzwischen ist E171 nämlich zur Verwendung in Lebensmitteln verboten (DocCheck berichtete). Gemäß der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) können Gesundheitsschäden durch den Verzehr von TiO2 nicht sicher ausgeschlossen werden.
Das mag nun etwas beunruhigend klingen. Haben wir nicht alle TiO2 schon seit Jahren in verschiedenen Lebensmitteln gegessen? Und ist TiO2 nicht immer noch in verschiedenen pharmazeutischen Produkten enthalten? Vergiften wir uns vielleicht alle? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir uns zunächst die wissenschaftlichen Daten, welche als Grundlage für das Verbot dienten, anschauen.
Vorab: Wenn ich von Titandioxid (TiO2) spreche, dann meine ich damit Partikel, die aus dem Material Titandioxid bestehen. Die Größen dieser Partikel reichen von kleinsten Nanopartikeln bis hin zu mikrometergroßen Partikel.
Erstmals habe ich mich im Jahr 2005 während meiner Diplomarbeit mit Titandioxid beschäftigt. Damals waren die Partikel die Negativkontrolle meiner Laborversuche. Also derjenige Teil in einem wissenschaftlichen Experiment, bei dem ganz sicher keine toxische Reaktion geschieht. Neben der Positivkontrolle (da passiert ganz sicher etwas) ist die Negativkontrolle also immens wichtig, damit man überprüfen kann, ob im wissenschaftlichen Experiment alles glatt gelaufen ist.
Obwohl meine Negativkontrolle im Rahmen meiner Experimente sehr zuverlässig funktionierte, verhält sich TiO2 jedoch genau genommen nicht immer negativ – also ohne Wirkung. In Sonnencreme agiert es z. B. als UV-Filter und bewahrt uns vor einem Sonnenbrand. In Wandfarbe sorgt es für eine schön einheitliche, weiße Färbung. Und auch Pharmazeutika verdanken dem TiO2 einen gewissen UV-Schutz sowie eine weiße Färbung.
Die EFSA begründet ihr Verbot hauptsächlich mit einer gentoxischen Wirkung des TiO2. Die Partikel wirken also toxisch auf unser Erbgut. Zu Mutationen kommt es dabei glücklicherweise nicht (das wäre nicht ganz so gut), aber es kann beispielsweise zu DNA-Strangbrüchen kommen. Auch wenn das prinzipiell nicht ganz optimal ist, ist dies auch nicht ungewöhnlich. Tausende solcher Strangbrüche geschehen täglich in unseren Körperzellen. Im Normalfall werden diese schnell wieder repariert oder die Zelle wird im Körper ersetzt.
Weiterhin gibt es schwache Hinweise darauf, dass TiO2 sogenannte Aberrant Crypt Foci (ACF) auslösen kann. Das sind Ansammlungen abnormaler röhrenartiger Drüsen im Dickdarm und Rektum. Sie sind Vorläufer von Polypen, aus denen später eventuell Krebs entstehen kann. Wir sollten jetzt aber auch hier nicht in große Besorgnis verfallen. Erstens bildet sich aus einem ACF nicht zwangsläufig ein Tumor und zweitens sind die Ergebnisse nicht eindeutig.
Kam es in der einen wissenschaftlichen Studie vermehrt zu ACF, konnte diese Wirkung in einer anderen Studie nicht festgestellt werden. Zusätzlich beruhigt uns ein Blick auf die in der Studie verwendete Menge an TiO2. Rechnet man die Dosierungen in den wissenschaftlichen Versuchen auf den Menschen um, so würde ein 80 kg schwerer Mensch täglich über längere Zeit rund 800 mg TiO2 aufnehmen müssen, um ähnliche Dosierungen an TiO2 wie in den Versuchen zu erreichen. Da die durchschnittliche über Lebensmittel aufgenommene Menge an TiO2 jedoch etwa 1–1,5 mg am Tag ist bzw. war, haben wir hier einen guten Sicherheitsabstand.
Versteht mich bitte nicht falsch: Meine Zeilen sollen jetzt keine allgemeine Absolution für ungehemmten Donut-Genuss sein, aber diese Mengenumrechnungen zeigen, dass ihr die letzten weiß-zuckrigen Kringel in eurer Tiefkühltruhe beruhigt essen könnt.
Die Studienergebnisse sind, wie bereits erwähnt, hinsichtlich der toxischen Wirkung durch TiO2 nicht eindeutig. Allerdings geben sie auch keine hundertprozentig sichere Entwarnung. Die Entscheidung der EFSA für ein Verbot von TiO2 in Lebensmitteln ist also eher ein: „Hey, es sieht eher nicht so aus, dass das Zeug gefährlich ist. Aber ganz ausschließen können wir es dann doch nicht. Gehen wir lieber auf Nummer sicher und verbieten es.“
Und ganz im Vertrauen: Diese Entscheidung kann ich gut nachvollziehen. TiO2 hat nämlich in Lebensmitteln keinen wirklichen Nutzen. Das Essen sieht vielleicht ein wenig attraktiver (weißer oder glänzender) aus. Aber nur wegen der Optik müssen wir doch kein – noch so kleines – Risiko eingehen, oder?
Etwas anders schaut es bei Pharmazeutika aus. Dort ist TiO2 – neben der Färbung – auch für einen gewissen UV-Schutz, beispielsweise in Tabletten, verantwortlich. Ein Ersatz der Partikel ist zwar prinzipiell möglich. Allerdings ist das TiO2 hier häufig auch Bestandteil einer stabilen Formulierung – also dem Zusammenschluss aller Einzelteile des Medikaments. Will man TiO2 ersetzen, müsste man die gesamte Zusammensetzung des Medikamentes ändern. Dies sorgt unter Umständen dafür, dass ein Produkt erst einmal vom Markt genommen wird und der Wirkstoff in einer geänderten Formulierung neu zugelassen werden muss. Das kann locker einige Jahre dauern und – im Fall eines erneuten Zulassungsverfahrens – auch ein paar Millionen Euro kosten.
Das Risiko einer vorübergehenden Mangelsituation bestimmter Medikamente könnte sich ergeben. Hier sollte der Gesetzgeber also nicht großflächig (wie bei Lebensmitteln) die grundsätzliche Verwendung von TiO2 verbieten, sondern nach und nach für eine Umstellung sorgen, um die Verknappung kritischer Medikamente zu vermeiden.
Patienten müssen meines Erachtens bei der Einnahme von TiO2-beinhaltenden Tabletten nicht sonderlich besorgt sein. Die Menge an TiO2 in den Tabletten ist, im Vergleich zu den Dosierungen, die in den wissenschaftlichen Tests einen Schaden hervorgerufen haben, sehr gering. Der Nutzen, der durch die Tabletten erzielt wird, ist meines Erachtens sehr viel höher, als das Risiko, sich einen Gesundheitsschaden durch das enthaltene TiO2 zuzuziehen.
Ich für meinen Teil werde Tabletten mit TiO2, sofern medizinisch sinnvoll, weiter einnehmen. Das bereitet mir keine schlaflosen Nächte.
Bildquelle: HowToGym, unsplash.
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