Früherkennung ist das A und O in der Krebstherapie. Für die Prävention und eine zielgerichtete Therapie ist es auch wichtig, molekulare Veränderungen zu erkennen, die vererbbar sind – und seltene Krebserkrankungen auslösen könnten.
Vererbbare genetische Veränderungen spielen für die Entstehung von Krebserkrankungen eine wichtige Rolle – bleiben jedoch bislang meist unentdeckt. Patienten sowie deren Familien könnten von einer frühzeitigen molekularen Diagnostik profitieren. Dies konnte ein internationales Forscherteam im Deutschen Krebskonsortium (DKTK) unter Leitung von Wissenschaftlern der Hochschulmedizin Carl Gustav Carus Dresden, des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Dresden und Heidelberg in einer groß angelegten Studie zeigen.
Von den knapp 1.500 Patienten waren rund 80 Prozent an seltenen Krebsarten erkrankt. Mehr als zehn Prozent aller Teilnehmer wiesen eine erbliche Krebsveranlagung auf, die in 75 Prozent der Fälle bisher nicht bekannt war. Familienangehörige können nun bereits vor dem möglichen Auftreten der ersten Tumorerkrankung genetisch untersucht und in klinische Früherkennungsprogramme eingeschlossen werden. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachmagazin Annals of Oncology veröffentlicht.
Fachleute schätzen, dass sich etwa fünf bis zehn Prozent aller Krebserkrankungen auf erbliche genetische Veränderungen zurückführen lassen, die in allen Körperzellen vorliegen. Untersuchungen hierzu erfolgen bisher meist bei Patienten mit eher häufigen Krebserkrankungen, wie Brust- und Darmkrebs.
In der nun vorliegenden Studie konnte ein internationales Forscherteam auf breiter Datenbasis zeigen, dass erbliche krebsfördernde Veränderungen bei unterschiedlichen seltenen Krebserkrankungen eine wichtige Rolle spielen, bisher aber kaum diagnostiziert werden. In die Untersuchung waren knapp 1.500 Patienten eingeschlossen, von denen rund 80 Prozent an seltenen Tumoren erkrankt waren. Bei ihnen wurde basierend auf einer modernen Hochdurchsatzsequenzierung von Blut- und Tumorgenomen gezielt nach Keimbahnveränderungen in 101 klinisch relevanten Krebsrisikogenen gesucht.
Etwas mehr als zehn Prozent aller Teilnehmer wiesen eine autosomal-dominant vererbbare Krebsveranlagung auf. Diese geht mit einem stark erhöhten Lebenszeitrisiko, an Krebs zu erkranken einher und wird von Generation zu Generation unabhängig vom Geschlecht mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent weitergegeben. Für 75 Prozent der Patienten sowie deren Familien wurde diese genetische Tumorrisikosituation erst im Rahmen der Studie diagnostiziert.
Evelin Schröck, Direktorin des Instituts für Klinische Genetik des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, erklärt: „Bei Verdacht auf Vorliegen eines solchen genetischen Tumorrisikosyndroms ist es besonders wichtig, die Patienten und auch die Familienmitglieder genetisch zu testen, um das individuelle Krebsrisiko zu ermitteln und Krebserkrankungen durch engmaschige präventive Untersuchungen möglichst frühzeitig zu erkennen oder sogar verhindern zu können.“
Hanno Glimm, Mitglied im Geschäftsführenden Direktorium des NCT/UCC Dresden und Abteilungsleiter am DKFZ, erläutert: „Unsere Studie zeigt, dass ein überraschend hoher Anteil an Krebspatienten mit seltenen Tumorerkrankungen eine erbliche Krebsveranlagung aufweist und dass ein Großteil dieser Prädispositionen im Normalfall nicht diagnostiziert wird. Es wäre wünschenswert, dass künftig deutlich mehr Patienten mit seltenen Krebserkrankungen eine umfassende molekulare Untersuchung erhalten können.“
In der Studie wurden die genetischen Varianten im Blut und im Tumor für alle Patienten von einem Expertenteam aus den Bereichen Bioinformatik, Biologie und Medizin gemeinsam bewertet und mehrmals wöchentlich im Molekularen Tumorboard besprochen. Es konnte gezeigt werden, dass die Analyse erblicher Krebsrisikofaktoren im Blut neben einer verbesserten Krebsfrüherkennung auch sehr wesentlich die Therapieentscheidung unterstützen kann.
Bei knapp der Hälfte (46 %) der Patienten mit einer krebsfördernden Veränderung im Erbgut konnte eine zielgerichtete, auf den spezifischen genetischen Veränderungen beruhende Therapie empfohlen werden. Rund ein Viertel dieser Patienten wurde gemäß der Empfehlung behandelt, wobei 40 % der Betroffenen eine verbesserte Kontrolle der Erkrankung im Vergleich zur Vortherapie aufwiesen.
Stefan Fröhling, Geschäftsführender Direktor am NCT Heidelberg und Abteilungsleiter am DKFZ, sagt: „Unsere Studie verknüpft eine breite molekulare Analyse von Tumor- und Kontrollgewebe mit der konsequenten Empfehlung und Umsetzung von zielgerichteten Therapien. Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit seltenen Krebserkrankungen von diesem Vorgehen profitieren können, auch in späten Stadien der Erkrankung oder nach mehreren vorangegangenen Therapien.“ Mittlerweile konnten die Forscher die Ergebnisse der Studie durch Analysen bei insgesamt mehr als 3.500 Patienten weiter erhärten.
Barbara Klink, Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Klinische Genetik und Leiterin des Nationalen Zentrums für Genetik des Laboratoire national de santé (LNS), Luxemburg, ergänzt: „In präzisionsonkologischen Untersuchungen liegt der Fokus häufig auf genetischen Veränderungen, die nur die Tumorzellen betreffen. Wir konnten zeigen, dass bei seltenen Krebserkrankungen auch die anhand von Blutproben erfolgte Analyse erblicher Keimbahnveränderungen in einer Vielzahl von Genen wichtig ist. Es werden damit Familien mit Tumorrisikosyndromen identifiziert, welche die aktuellen Einschlusskriterien für eine genetische Testung auf eine erbliche Krebsveranlagung normalerweise nicht erfüllen würden. Die Aufdeckung einer Krebsveranlagung in der Familie erhöht die Chancen auf eine frühzeitige Entdeckung und verbesserte Therapie von Krebserkrankungen bei weiteren Familienangehörigen.“
Im Rahmen der Studie wurden genetische Veränderungen im Blut, die mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen, bei Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen noch sehr viel häufiger entdeckt – etwa bei seltenen Tumoren des Verdauungstrakts (Gastrointestinale Stromatumoren: 23 %) und bösartigen Tumoren der glatten Muskulatur (Leiomyosarkome: 21 %). Um diesen Zusammenhang weiter zu untersuchen, sind allerdings größere Fallzahlen für einzelne zum Teil sehr seltene Tumorarten nötig.
Die aktuelle Studie bietet darüber hinaus Anknüpfungspunkte für zahlreiche weitere Fragestellungen. Dresdner Forscher wollen künftig etwa untersuchen, wie sie das Wissen um bestimmte seltene erbliche Krebserkrankungen am besten für eine gezielte Früherkennung und Therapie nutzen können. „Uns interessiert insbesondere, inwieweit sich dadurch die Lebenserwartung und die Lebensqualität der Patienten und ihrer Familienangehörigen steigern lässt“, sagt Arne Jahn, Erstautor der Studie und Clinician Scientist am Institut für Klinische Genetik sowie Arbeitsgruppenleiter am NCT/UCC Dresden.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text.
Bildquelle: Austin Chan, unsplash