In Deutschland sei die Versorgungslage für Schwangerschaftsabbrüche schlecht, heißt es. Zusätzlich rechnet man durch mehr Screenings auf Trisomien mit höheren Abbruchraten. Stimmt das wirklich?
Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland beläuft sich seit 2013 nahezu konstant auf etwa 100.000 pro Jahr. Von verschiedenen Seiten wird immer wieder auf eine angespannte Versorgungslage und eine nicht ausreichende medizinische Ausbildung zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen hingewiesen.
Das führte so weit, dass Politiker eine Verknüpfung der Facharztausbildung an Universitätskliniken mit der obligaten Durchführung von Abbrüchen verbinden wollten. Einer Forderung, der die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in einem öffentlichen Schreiben vehement entgegentrat. Eine zusätzliche Ausbildung für das medizinische Vorgehen bei Schwangerschaftsabbrüchen ist deshalb nicht erforderlich, weil es zum Facharztstandard in der Gynäkologie gehört. Nun stellt eine datenbasierte Analyse der Jahre 2011 bis 2020 aus der Charité die Versorgungslage in ein günstigeres Licht als angenommen.
Die Autoren stellen ihrer Analyse folgendes Statement voran: „Die Beendigung einer Schwangerschaft ist sowohl für die betroffene Frau als auch für die diese durchführenden Ärztinnen und Ärzte einzigartig, denn ein Schwangerschaftsabbruch im Spannungsfeld zwischen Schutz des ungeborenen Lebens und Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau ist aus ethisch-moralischen und rechtlichen Gründen mit keinem anderen ärztlichen Eingriff bzw. keiner anderen medizinischen Maßnahme vergleichbar. Daher erscheinen solche datenbasierten Analysen besonders wichtig, um bei den sich aus verschiedenen Gründen immer wieder ergebenden Diskussionen zur Versorgungslage statt auf interessengetriggerte Mutmaßungen auf belastbare Zahlen zurückgreifen zu können.“
In Deutschland wird über die nach §218a Abs. 1bis 3 StGB durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche eine Bundesstatistik geführt. Es handelt sich um eine Totalerhebung mit einer Auskunftspflicht aller Einrichtungen, die Abbrüche vornehmen. Die Qualität dieser Erhebung wird als relativ hoch eingeschätzt. Darin werden Informationen über die statistische Entwicklung der Umstände, Indikationen und örtlichen Gegebenheiten erfasst. Damit ist schon seit Längerem eine umfangreiche Analyse der Versorgungslage möglich.
Der zahlenmäßig höchste Anteil der Abbrüche (ca. 78.000 bis 83.000 zwischen 2011 und 2020) wird in ambulanten Praxen oder OP-Zentren durchgeführt. Die ambulante Durchführung in Kliniken ist leicht rückläufig (von 19.000 auf 17.000), die stationäre Durchführung in Kliniken nimmt nur einen sehr geringen Teil ein.
Frauen, die ihren ständigen Wohnsitz im Ausland haben, ließen in etwa 1.000 bis 1.200 Fällen pro Jahr einen Abbruch in Deutschland durchführen. Davon ausgenommen war der durch die Pandemie verursachte Einbruch 2020 mit nur etwa 600 Abbrüchen.
Angaben darüber, wie viele Frauen mit ständigem Wohnsitz in Deutschland für einen Abbruch ins Ausland gehen, sind letztendlich nicht verlässlich. So erbrachten beispielsweise Anfragen bei den entsprechenden niederländischen Ministerien keine Antworten. Interessant ist, dass die Gesamtzahl der Frauen, die für einen Schwangerschaftsabbruch aus dem Ausland in die Niederlande kamen, schon vor der Pandemie in den Jahren 2011 bis 2019 rückläufig war (von 3.684 auf 3.271).
Bezüglich der Wahl eines anderen Bundeslandes sieht die Entwicklung folgendermaßen aus: In den letzten zehn Jahren ließen besonders Frauen aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Brandenburg und Schleswig-Holstein einen Abbruch in einem zu ihrem Wohnort meist benachbarten Bundesland durchführen. Dieser Anteil schwankte im Zeitraum von 2011 bis 2020 zwischen 7,5 % (Schleswig-Holstein) bis 34,5 % (Rheinland-Pfalz). Es konnte dabei eine signifikante Zunahme festgestellt werden (p < 0,001).
Grundsätzlich ließen aber Frauen aus nahezu allen Bundesländern Schwangerschaftsabbrüche in einem benachbarten Bundesland durchführen. Es gäbe, so die Autoren der Beobachtungsstudie, keinen Anlass dafür, dies als Beweis für einen Engpass im Sinne einer nicht wohnortnahen Versorgung zu sehen. Auch bei anderen Leistungen der Gesundheitsversorgung werde keine Rücksicht auf imaginäre Landesgrenzen genommen, wenn eine entsprechende Diagnostik oder Operation in einem anderen benachbarten Bundesland angeboten würde.
Nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz wurden sogenannte Meldestellen geschaffen, in denen Kliniken und Praxen, die Abbrüche durchführen, befragt werden. Diese werden erst seit dem 4. Quartal 2018 systematisch erfasst. Aus älterem Schriftverkehr ist dem Statistischen Bundesamt bekannt, dass es im Jahr 1999 rund 1.650 Meldestellen und im Jahr 2003 etwa 2.050 Meldestellen in Deutschland gab. In diesem Zeitraum lag die jährliche Abbruchrate bei etwa 130.000. Zwischen 2018 und 2021 waren in Deutschland im Durchschnitt 1.130 Meldestellen verzeichnet, bei einem Absinken der Gesamtzahl an Schwangerschaftsabbrüchen.
Das Statistische Bundesamt betont allerdings, dass diese Anzahl von Quartal zu Quartal schwankt und keine exakten Rückschlüsse auf Arztpraxen und Kliniken zulässt, da es beispielsweise Meldungen von zentralen OP-Zentren gibt, die mehrere Arztpraxen gemeinsam melden. Die Tatsache, dass sich der Rückgang der Meldestellen zahlenmäßig kongruent zur Gesamtzahl von Schwangerschaftsabbrüchen vollzogen hat, sehen die Autoren eher als Indiz für eine angepasste Versorgungssituation als für einen Engpass.
Die Anzahl der medikamentösen Abbrüche nimmt zu, während die operativen Verfahren rückläufig sind. So verdoppelten sich die Abbrüche mit Mifepriston/Misoprostol von 2011 bis 2020 auf nahezu 30.000 Fälle. Bei den operativen Verfahren überwiegt die Vakuumaspiration weit der Durchführung mittels Metallkürette.
Der nicht-invasive pränatale Screeningtest (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21 wird seit dem 1. Juli 2022 von den gesetzlichen Kassenkassen übernommen. Seit der Markteinführung 2012 konnte er bisher nur als Selbstzahlerleistung angeboten werden. Es soll damit kein allgemeines pränatales Screening auf Trisomien stattfinden, doch ist die Indikation derart unscharf formuliert, dass die Leistung im Grunde jeder Schwangeren offensteht (DocCheck berichtete). Die Anzahl von Betroffenen mit Trisomien 13 und 18 ist selten und die Lebenserwartung ist stark eingeschränkt, so dass im Vordergrund der Diskussion die weitaus häufigeren Fälle mit Trisomie 21 stehen.
Prinzipiell eröffnet der Trisomietest drei Handlungsoptionen:
Organisationen wie die Lebenshilfe schlagen Alarm und befürchten eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und eine Gegenbewegung zu gelungenen Inklusionsbestrebungen.
Ob die Abbruchzahlen durch die steigenden Testkapazitäten aber tatsächlich zunehmen, ist momentan noch ungewiss. Es gibt hierzu noch keine großangelegten Studien – aber zumindest eine interessante tendenzielle Beobachtung. In einem Institut für Labormedizin und Klinische Genetik in Essen wurden von 2017 bis 2021 insgesamt 327 bestätigte Trisomie 21 Fälle verzeichnet. Hierbei entschieden sich 34 Frauen (10,4 %) zur Austragung der Schwangerschaften. Für das Jahr 2022 wurden in den ersten fünf Monaten 64 bestätigte Trisomie 21 Fälle diagnostiziert, von denen sich 13 Frauen (20,34 %) gegen einen Abbruch entschieden.
Die Autoren sind sich der geringen Fallzahlen durchaus bewusst, sehen darin aber eine gewisse Tendenz: „Hierbei zeigte es sich, dass in den Jahren 2017 bis 2021 die Quote der ausgetragenen Schwangerschaften nach einem NIPT-Ergebnis mit hohem Risiko für Trisomie 21 immer um die 10 % schwankte, jedoch in 2022 deutlich angestiegen ist. Die hier erhobenen Daten müssen sicherlich noch weiter in größeren Kollektiven untersucht werden, jedoch ergibt sich ein Trend, dass sich mehr Frauen in diesem Jahr für ein Austragen der Schwangerschaft entschieden haben.“
„Unsere Hypothese aufgrund einer großen Zahl von Beratungen vor Ersttrimester-Screening und NIPT-Screening auf Trisomie 21 ist, dass mehr Frauen ein Screening in Anspruch nehmen, die grundsätzlich eine Schwangerschaft mit einem Kind mit Down-Syndrom akzeptieren. Diese Entwicklung wird auch durch die Beratungsleistung der betreuenden Gynäkologinnen und Gynäkologen getragen.“
Eine adäquate Versorgungslage für Schwangerschaftsabbrüche muss gewährleistet sein und wird von verschiedener Seite konsequent eingefordert. Eine datenbasierte Analyse der Charité sieht derzeit keinen Hinweis auf einen Versorgungsengpass. Wünschenswert wäre indes eine großangelegte Befragungsstudie von Betroffenen, um das Ergebnis zu verifizieren.
Ob die Kostenübernahme der Trisomietests die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche tatsächlich erhöhen wird, muss abgewartet und anhand höherer Fallzahlen untersucht werden. Pränatale Tests können einer betroffenen Familie helfen, die für sie richtige Entscheidung zu treffen. Manche Familien werden dadurch auch unterstützt, um sich auf ein Leben mit Beeinträchtigung vorzubereiten.
Bildquelle: Halie West, unsplash.