Eine neue Kontroverse zu Ernährungsempfehlungen: Forschern fehlen Anhaltspunkte, dass gesättigte Fettsäuren tatsächlich das Risiko für koronare Herzkrankheiten erhöhen. Ungesättigte Fettsäuren wiederum zeigen keinen protektiven Effekt. Nur von Kombinationen, etwa der mediterranen Diät, profitieren Patienten tatsächlich.
Gute Lipide – schlechte Lipide: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät Konsumenten, ein Drittel bis die Hälfte aller aufgenommenen Fette sollen einfach ungesättigte Fettsäuren sein. Hinzu kommt ein weiteres Drittel in Form von mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Ziel ist, das Risiko koronarer Herzkrankheiten (KHK) oder metabolischer Erkrankungen zu minimieren.
Ihre Empfehlungen stützen sich auf zahlreiche ältere Studien. Beispielsweise werteten C. Murray Skeaff und Jody Miller aus dem neuseeländischen Dunedin prospektive Kohortenstudien und randomisierte kontrollierte Interventionsstudien aus. Modifizierten Probanden ihr Fettsäuremuster weg von gesättigten und hin zu ungesättigten Molekülen, erlitten sie signifikant seltener koronare Herzerkrankungen. Zu ähnlichen Resultaten kommt Dariush Mozaffarian aus Boston, Massachusetts. Grund genug für Ernährungsforscher, Nahrungsmittel zu empfehlen, die kaum gesättigte Fettsäuren enthalten.
Ein Team unter Leitung von Rajiv Chowdhury veröffentlichte jetzt umfangreiche Metaanalysen. In der Literatur waren 32 Beobachtungsstudien mit insgesamt 512.420 Personen zu finden, die Fettsäuren über ihre Nahrung aufnahmen. Hinzu kamen 17 Beobachtungsstudien mit 25.721 Teilnehmern. Bei ihnen standen Biomarker im Mittelpunkt. Nicht zuletzt berichtet Chowdhury von 27 randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien mit insgesamt 105.085 Menschen. Sie nahmen Fettsäure-Supplementationen ein. Für die Empfehlung, gesättigte Fettsäuren zugunsten ungesättigter Derivate zu substituieren, fanden die Autoren keine Evidenz. KHK-Risiken verringerten sich nicht signifikant. Es gelang ebenfalls nicht, den prozentual erhöhten Konsum gesättigter Fettsäuren mit höheren KHK-Fallzahlen in Verbindung zu bringen.
Eine mögliche Erklärung dieses Phänomens kommt von Jeff S. Volek, Ohio. Er nahm in seine Studie 16 übergewichtige beziehungsweise adipöse Frauen mit BMI-Werten zwischen 27 und 50 kg/m2 auf. Sie waren 30 bis 66 Jahre alt. Zu Beginn erhielten alle Probanden drei Wochen lang eine Diät mit weniger als 50 Gramm Kohlenhydraten pro Tag. Weiter ging es mit täglich 47 Gramm Kohlenhydraten und 87 Gramm gesättigten Fettsäuren. Drei Wochen später erhöhten Forscher den Prozentsatz an Kohlenhydraten und verringerten den Anteil gesättigter Fettsäuren. Am Ende ihres Experiments waren sie schließlich bei 346 Gramm Kohlenhydraten und 32 Gramm gesättigten Fettsäuren angelangt. Studienteilnehmerinnen profitierten von Verbesserungen ihres Glukosespiegels, ihrer Cholesterinwerte und ihrer Blutfette. Trotz dieser zu erwartenden Entwicklung gab es Überraschendes zu berichten: Mit steigender Menge an Kohlenhydraten erhöhte sich der Spiegel an Palmitinsäure im Blut. Die gesättigte Fettsäure besteht aus einer Kette mit 16 Kohlenstoffatomen und entsteht aus überschüssigen Kohlenhydraten. Volek war insofern überrascht, als sich seine Probandinnen allesamt im Kaloriendefizit befanden. Ihre Diät lag um 300 kcal unter dem errechneten Gesamtenergiebedarf. Zwar müssen noch weitere Untersuchungen folgen. Für Jeff S. Volek ist aber klar, dass der Spiegel gesättigter Fettsäuren im Blut nicht mit dem Gehalt in Nahrungsmitteln korreliert.
Bleibt als Kritikpunkt, dass sich Labordiäten selten auf die reale Ernährungssituation übertragen lassen, Stichwort mediterrane Kost. KHK-Patienten profitieren nachweislich von Olivenöl, Obst, Gemüse und Nüssen. Zu diesem Ergebnis ist Ramón Estruch, Barcelona, gekommen. Zusammen mit Kollegen teilte er 7.447 Probanden mit erhöhtem KHK-Risiko in drei Gruppen ein: traditionell mediterran plus Beratung, stark nusshaltig plus Beratung oder fettarm. Entsprechende Lebensmittel stellten Mitarbeiter kostenlos zur Verfügung. In Gruppe eins und zwei verringerten sich kardiovaskuläre Risiken signifikant um 30 Prozent. Der Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit war deutlich geringer. Hier gäbe es noch Luft nach oben – nicht alle Teilnehmer hielten sich strikt an Estruchs Vorgaben. Noch ein Blick auf das Olivenöl selbst: Rebecca L. Charles, London, vermutet, in Gegenwart von Nitraten beziehungsweise Nitriten aus Gemüse könnten nitrierte Fettsäurederivate entstehen. Entsprechende Moleküle hemmen das Enzym Epoxid-Hydrolase. Über Zwischenschritte kommt es schließlich zur Vasodilatation. In Tierexperimenten verringerte sich daraufhin der Blutdruck. Immaculata De Vivo, Boston, beleuchtet in einer kürzlich veröffentlichten Arbeit weitere Aspekte. So führt mediterrane Kost inklusive Olivenöl zu längeren Telomeren. Ausgeprägte Chromosomenenden werden mit gesundem Altern in Verbindung gebracht. Ernährung ist eben doch komplexer, als es sich viele Wissenschaftler träumen lassen. In den nächsten Jahren wird sicher die eine oder andere Leitlinie anzupassen sein.