Im Stadion der Frankfurter Eintracht traf sich die Wissenschaft zu einem ganztägigen Post-Covid-Symposium. Viel bleibt unklar, aber erste Studien stehen an – auch zu Apherese-Verfahren.
Personell fuhren sie einiges auf, die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG), beim ersten großen, interdisziplinären Post-Covid-Symposium in Frankfurt. Schon die Liste der Sitzungsleitenden war eindrucksvoll: Prof. Andreas Zeiher, Universität Frankfurt, für Kardiologie; Prof. Stefan Bornstein, Universität Dresden, für Metabolismus und Diabetes; Prof. Sandra Ciesek, Universität Frankfurt, für Infektiologie; Prof. Werner Seeger, Universität Gießen, für Pneumologie und Prof. Joachim Schultze, Universität Bonn, für Neurologie, dazu als Keynote-Rednerin Prof. Susanne Herold von der Universität Gießen – viel prominenter geht nicht in der deutschen translationalen Forschung.
Ziel des Symposiums war es, einen Überblick über den Stand der Dinge und die offenen Forschungsfragen bei Post Covid zu geben – und Betroffenen ein wenig Hoffnung in Sachen Forschung zu machen. Dass es hier Bedarf gibt, hat die Diskussion um die ARD-Dokumentation von Eckart von Hirschhausen gerade erst wieder sehr deutlich gemacht.
Wo stehen wir? Susanne Herold hatte Zahlen zur Häufigkeit so genannter postakuter Symptome von COVID-19 (post-acute sequelae of covid, PASC) im Gepäck, basierend auf einem aktuellen Review-Artikel. Die postakuten Covid-Leiden werden mittlerweile in der Regel unterteilt in Long Covid, was Beschwerden in den ersten drei Monate nach Infektion meint, und Post Covid, was die langanhaltenden Beschwerden jenseits des Dreimonatsfensters beschreibt, deren gravierendste Verlaufsform das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist. Etwa 6–10 Prozent der akut infizierten Patienten hätten über die Viruselimination hinaus Beschwerden, so Herold. Von diesen wiederum hätten etwa 15 Prozent nach 12 Monaten immer noch Beschwerden, entsprechend etwa jeder hundertste Infizierte.
Dass das mit den Prozentzahlen nicht so ganz einfach ist, machte ein Poster deutlich, das in Frankfurt von der SOEP-2-Studienguppe des RKI präsentiert wurde. Es illustrierte, wie stark die Prävalenz von in diesem Fall Long Covid ≥ 4 Wochen von der Definition abhängt und erlaubte einen Vergleich zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten, hatte also eine Kontrollgruppe. Rund 85 % der sicher infizierten und rund 70 % der nicht infizierten Probanden berichteten den SOEP-2-Daten zufolge über zwei oder mehr Symptome. Über zwei oder mehr anhaltende Symptome berichteten rund 50 % bzw. rund 30 %. Wurde zusätzlich „funktionelle Einschränkung“ in die Definition aufgenommen, waren es rund 15 % und rund 10 %.
Prädisponierend für ein Post-Covid-Syndrom seien zum einen biographische Faktoren, so Herold, konkret weibliches Geschlecht, kaukasische Abstammung und mittleres Alter. Dazu kämen präexistierende Erkrankungen, die das Risiko erhöhen, insbesondere Übergewicht/Diabetes, Bluthochdruck, Asthma sowie mentale Erkrankungen in der Anamnese. Und schließlich spielten Covid-spezifische Faktoren eine gewichtige Rolle als Risikofaktoren, hier insbesondere ein schwerer Akutverlauf mit fünf oder mehr Symptomen, eine hohe Viruslast, Durchfall in der Akutphase, niedrige Anti-Spike-Antikörper und ein unvollständiger Impfstatus.
Schon hier fängt es aber an, schwierig zu werden, denn die Risikofaktoren sind auch abhängig von der Art der Post-Covid-Beschwerden. Post Covid der Lunge etwa wird mit höherem Alter wahrscheinlicher und beim Lungen-Post-Covid sind auch Biomarker wie D-Dimere, LDH und IL-6 prädiktiv, die im Hinblick auf andere Post-Covid-Syndrome nicht sehr aussagekräftig sind. Klar scheint mittlerweile, dass Omikron-infektionen seltener zu Post-Covid-Syndromen führen als Delta-Infektionen. Eine Analyse von Juni 2022 konnte das zeigen. Der Effekt war unabhängig vom Alter.
Dass es nicht nur somatische Faktoren sind, die für Long und Post Covid prädisponieren, machte Dr. Christine Allwang von der Psychosomatik der TU München deutlich. Allwang leitet dort die BMBF-geförderte PsyLoCo Studie, die die psychosozialen Bedürfnisse von Post-Covid-Patienten thematisiert. Prinzipiell gebe es psychosoziale Ko-Determinanten, die mit bestimmten Post-Covid-Symptomen und dem Schweregrad des Syndroms korrelieren. Entscheidend sei, dass die Psychosomatik nicht danach differenziere, ob es „biologische“ Ursachen für ein Beschwerdebild gebe oder nicht. Das ist ein auch bei Post Covid oft gehörtes Missverständnis, wonach Psychosomatik sich mit „rein psychischen“ Beschwerden befasse, was nicht stimmt.
Was die psychosozialen Prädispositionen von Post Covid angeht, bringen zwei aktuelle Kohortenstudien ein wenig Licht ins Dunkel. So identifiziert eine im September 2022 in JAMA Psychiatry publizierte US-Kohortenstudie vor der Infektion bestehenden, psychischen Stress sowie Depression und Angstsymptome als Risikofaktoren für Post Covid. Noch aktueller, nämlich von Oktober 2022, ist eine Kohortenuntersuchung aus Hamburg, die in Frontiers in Psychology veröffentlicht wurde. Sie zeigt, dass die Symptomerwartung zu Beginn der Pandemie und auch „selbst berichtete SARS-CoV-2-Infektion“ starke Prädiktoren für eine somatische Verschlechterung im Laufe der Pandemie waren - tatsächlich ein besserer Prädiktor als ein positiver Antikörpertest, also eine stattgehabte Infektion. Das zeigt zumindest, dass die Pandemie über Infektionen hinaus auf die somatische Gesundheit wirkte, was u.U. auch bei der Bewertung von Post-COVID-Syndromen berücksichtigt werden muss.
Ein Hauptproblem der Post-Covid-Forschung im Moment ist, dass die diskutierten Pathomechanismen noch immer derartig vielfältig sind, dass es schwerfällt, klinische Studien zu initiieren, die unselektiv rekrutieren. Gleichzeitig gehen zwar alle Wissenschaftler davon aus, dass sich hinter dem Post-Covid-Label unterschiedliche Erkrankungen bzw. Pathomechanismen verbergen. Allerdings fehlen Biomarker, die es erlauben würden, Subgruppen zu bilden.
Die sechs wichtigsten, derzeit diskutierten Pathomechanismen von Post Covid wurden bei der Frankfurter Tagung von allen Seiten beleuchtet:
Was das ME/CSF angeht, lasse sich zeigen, dass Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR) mit der Symptomschwere bei ME/CFS korrelierten, sagte Prof. Carmen Scheibenbogen von der Immundefekt-Ambulanz der Charité Berlin. Man müsse dabei aber nach ganz speziellen Patterns Ausschau halten.
Bei den Autoantikörpern setzen therapeutisch zum einen immunadsorptive Apherese-Verfahren an, zum anderen das experimentelle Medikament BC-007, das BMBF-gefördert im reCOVer Projekt untersucht werden soll. Hier scheint es Verzögerungen zu geben: Das BMBF schreibt auf der Webseite, dass dem BfArM weiterhin kein Studienantrag vorliege. Auf der Webseite des Herstellers Berlin Cure wiederum heißt es, dass das Studiendesign den Behörden im vierten Quartal 2022 vorgelegt werde. Das klingt nicht nach unmittelbar bevorstehendem Studienbeginn.
Tatsächlich starten soll in Berlin im Dezember im Kontext des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und mit 2,5 Millionen Euro BMBF-Förderung eine randomisierte, Sham-Prozedur-kontrollierte Apherese-Studie, und zwar zum Verfahren der Immunadsorption. Dabei werden die Autoantikörper aus dem Blut entfernt. Die Studie richte sich an Post-Covid-Patienten mit Fatigue, sagte Prof. Harald Prüß von der Neurologie der Charité. Insgesamt 66 Patienten sollen im Verhältnis 2:1 zu Immunadsorption und Sham-Prozedur randomisiert werden: „Es ist wirklich wichtig, bei solchen Studien für den Placebo-Effekt zu kontrollieren. Wir hoffen, dass wir bis Ende 2023 alle Patienten eingeschlossen haben.“
An der Studie beteiligt ist auch Scheibenbogen, die in Frankfurt mit Nachdruck auf die Schwierigkeiten hinwies, die es immer noch gibt, klinische Studien zu Post Covid in die Spur zu bringen. An therapeutischen Konzepten mangele es nicht, eher daran, erfolgversprechende Studiendesigns mit passenden Populationen zu entwerfen. Auch am Geld hänge einiges: „Es gibt kaum Unternehmen, die ein Interesse an Post-Covid-Studien haben.“ Trotz dieser Schwierigkeiten sei es höchste Zeit für zumindest kleinere, randomisierte Proof-of-Concept-Studien.
Bildquelle: Philipp Grätzel, DocCheck