Alle beschweren sich über verzogene Klimaaktivisten im Straßenverkehr – dabei liegt das Problem für uns Retter ganz woanders. Doch weil Autofahrer in Deutschland heilig sind, bleibt dieses Thema wohl ein Tabu.
In Berlin passierte etwas Furchtbares: „Betonmischer überrollt Fahrradfahrerin“ war die sachliche Schlagzeile eines großen, deutschen Nachrichtenmagazins über dieses schlimme Ereignis. Von anderen Krawallblättern wurde stattdessen getitelt „Retter kommen wegen Klima-Kleber später zu Unfall“. Kein Wort zum Betonmischer, kein Wort zur Fahrradfahrerin.
Ist auch egal; Hauptsache, man lässt keine Gelegenheit aus, gegen die verzogenen Klimagören zu hetzen. Mit keinem Wort wird die lebensgefährliche Infrastruktur erwähnt, die immer wieder Verkehrstote, Fußgänger und Fahrradfahrer gleichermaßen, fordert. Darüber könnte man reden. Aber das wird als schicksalhaft abgetan – passiert halt, that’s life. Pech gehabt.
Der Fahrer des Betonmischers stieg aus und wollte nach der Frau schauen, die er überrollt hatte und wurde daraufhin von einer unbekannten Person mit einem Messer angegriffen. Er musste mit Stichverletzungen in ein Krankenhaus gebracht werden. Darüber hätte man auch was schreiben können.
Man hätte auch darüber schreiben können, dass in dem entstandenen Stau schlichtweg keine Rettungsgasse gebildet wurde und deswegen der Kran nicht durchkam. Aber damit hätte man wieder die Autofahrer angeklagt – und Autofahrer in Deutschland sind heilig. Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, tönt es dann noch von der Gesellschaft der Polizei, dass wegen dieser radikalen Proteste Menschen in Not länger auf Hilfe warten müssten und mit der Gesundheit der Bevölkerung gespielt wird. Wisst ihr was? Das ist heuchlerisch und verlogen.
Seit Monaten – ach was, seit Jahren sagen wir, dass es bei uns lichterloh brennt. Dass wir in Not sind, dass wir nicht wissen, wie wir alle Patienten richtig versorgen sollen. Wir haben jeden Tag mehrere OPs zu, mehrere Betten, zeitweise ganze Stationen, die wir nicht betreiben können, weil uns Personal fehlt. Menschen müssen mit starken Schmerzen – zum Beispiel mit einem gebrochenen Bein – in der Notaufnahme mehrere Stunden warten, bis sie behandelt werden. Weil Schmerzen zwar unangenehm, aber nicht lebensbedrohlich sind und wir uns mit den knappen Ressourcen, die wir haben, erstmal um die kümmern müssen, die sonst sterben. Das macht was mit uns!
Am liebsten würden wir jeden, der in unsere Notaufnahme kommt, sofort sichten, sofort helfen, sofort behandeln. Stattdessen müssen wir oft gegen unseren Impuls entscheiden und sofort Schmerzmittel geben, weil wir erst einen Schlaganfall, einen Herzinfarkt oder andere lebensbedrohliche Erkrankungen behandeln müssen. Ich halte es für komplett verlogen, sich jetzt über „Klima-Kleber“ zu echauffieren, die noch dazu für eine gute Sache kämpfen. Die kämpfen eben nicht für sich, sondern für eine Generation nach uns. Beziehungsweise dafür, dass es überhaupt noch zukünftige Generationen gibt.
Wer in Bauer-sucht-Frau-Manier auf billige Alliterationen und noch billigere Polemik gegen die „Klima-Kleber“ setzt, entlarvt sich selbst. Wer stattdessen wirklich etwas für die Gesundheit der Menschen in diesem Land tun will, sollte Vorschläge und Lösungen anbieten:
Und das mit dem Klimawandel sollten wir endlich mal ernst nehmen, sonst ist ein Stau sehr bald unser kleinstes Problem.
Eine Rettungsgasse bildet man übrigens nach der REttungsgassen-REchte-Hand-REgel (RE-RE-RE). Bei ausgestreckter rechter Hand wird der Daumen auf die linke Spur gelegt, die weiteren Finger symbolisieren die anderen Spuren. Der freie Platz zwischen Daumen und Zeigefinger symbolisiert den Platz an dem die Rettungsgasse gebildet wird. Bei zwei Spuren einfach; bei drei Spuren zwischen linker und mittlerer Spur und so weiter. Und eine Rettungsgasse wird nicht erst dann gebildet, wenn man das Martinshorn hört, sondern dann, wenn der Verkehr sich bis auf Schrittgeschwindigkeit verlangsamt. Steht man erst einmal, ist es zu spät, eine Rettungsgasse zu bilden! Dann geht nämlich die Rangiererei los und das verzögert alles unnötig.
Die entstehende Rettungsgasse darf übrigens auch nicht von Motorradfahrern befahren werden. Und vor allem: Man fährt nicht immer wieder in die Mitte, um mal zu gucken, ob es weitergeht. Und man bleibt im Auto sitzen und spielt nicht in der Rettungsgasse Frisbee – sonst ist der freie Platz nämlich auch nichts wert. Seid ihr in der Stadt unterwegs und steht zum Beispiel vor einer roten Ampel, so dürft und sollt ihr ausdrücklich Platz machen. Das bedeutet zum Beispiel für die ersten Fahrzeuge vorne, an der roten Ampel langsam in den Kreuzungsbereich zu rollen, um den dahinterstehenden Fahrzeugen eine Chance zu geben, zur Seite rollen zu können. Einfacher wäre es eigentlich, wenn an jeder roten Ampel immer direkt eine Rettungsgasse gebildet würde – immer. Das ist aber so nicht vorgesehen.
Deshalb ist es erlaubt, vorsichtig und langsam bei Rot über die Ampel zu rollen, um Platz zu machen. Ihr könnt dafür auch in Parkbuchten fahren. Einzige Ausnahme: Ihr müsst kein Manöver machen, bei dem ihr euer Fahrzeug beschädigen könntet. Rollt ihr also mit Schmackes den Bordstein hoch und haut euch eine Macke in die Felge, ist das Pech – das bezahlt euch niemand. Das müsst ihr deshalb auch nicht machen. Zum Glück ist das in den seltensten Fällen notwendig, wenn sich alle an die oben genannten Maßnahmen halten. Wer keinen Platz macht, muss nach § 38 der Straßenverkehrsordnung (StVO) zwischen 240 und 340 Euro Bußgeld zahlen.
Wer das alles nochmal genauer nachlesen will, findet hier ein paar Tipps.
Bildquelle: camilo jimenez, Unsplash