Die Entwicklung neuer Psychopharmaka stockt seit Jahren. Doch es tut sich etwas: Mit Brexanolon zeigte ein innovatives Medikament positive Effekte bei Depressionen. Aber auch bekannte Präparate wie Minozyclin und Ketamin bieten neue Möglichkeiten. Ein Überblick.
„Wir kommen in der Psychopharmakologie immer mehr weg von der Idee ‚One size fits all‘“, sagt Isabella Heuser-Collier. „Wir gehen stattdessen mehr und mehr dazu über, Patienten nach ihrer jeweiligen Symptomkonstellationen zu untersuchen.“ Als Chefin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin behandelt und überblickt Heuser-Collier seit vielen Jahren hunderte Patienten und deren Krankheitsverläufe. „2017 sind keine neuen Psychopharmaka zugelassen worden, und es gab auch in den vergangenen Jahren nichts revolutionär Neues. Insgesamt ist seit ungefähr 25 Jahren eher ein Stillstand zu verzeichnen. Doch es gibt vielversprechende Ansätze“, sagt sie. Es gebe eine Tendenz hin zur individuellen Therapie: „Wir suchen nach bestimmten Biomarkern, die mit bestimmten Beschwerdebildern eng verbunden sind und versuchen so, Subgruppen von Patienten zu identifizieren. Diese behandeln wir dann idealerweise mit unterschiedlichen Präparaten, das heißt, wir wollen zu einer mehr personalisierten Medizin übergehen.“ In der Onkologie habe man es zum Beispiel bereits mit großem Erfolg umgesetzt, so Heuser-Collier: „In der Psychopharmakologie sind wir aber erst ganz am Anfang. Die Entwicklung von Psychopharmaka […], die im Hirn wirken sollen, ist nicht leicht und bisher von vielen Rückschlägen gekennzeichnet; das Gehirn ist nun einmal ein sehr komplexes und kompliziertes Organ.“
Dennoch tut sich etwas: Zu beobachten ist momentan, dass bekannte Wirkstoffe für die Psychopharmakologie neu entdeckt werden. Interessant sei laut Heuser-Collier zum Beispiel eine vor kurzem im Lancet publizierte Studie, in der sich die Autoren mit Patientinnen, die unter einer klassischen Post-Partum-Depression litten, auseinandersetzen. In diesem Fall habe das Neurosteroid Brexanolon einen guten Effekt gezeigt. „Hier muss man nun weiter verfolgen, wie sich das Mittel konkret auswirkt“, sagt Heuser-Collier. Das Antidepressivum Vortioxetin, ein gemischter serotoneger-noadreneger Wiederaufnahmehemmer, sei das bisher neueste Medikament auf dem Gebiet der Psychopharmakologie. Das Präparat war seit 2013 auch in Deutschland zugelassen, wurde aber 2016 nach erfolglosen Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband wieder vom Markt genommen, nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dem Medikament keinen Zusatznutzen gegenüber bereits existierenden Substanzen bescheinigt hatte. Charité-Klinik-Chefin Isabella Heuser-Collier „Derzeit wird auch geforscht an der Substanz Psilocybin, dem Inhaltsstoff von ‚magic mushrooms‘ oder sogenannten psychedelischen Pilzen bei Patienten mit Angst und Depression“, so Heuser-Collier weiter. „Überhaupt wird intensiv an diesen psychedelischen Substanzen geforscht, sie erfahren derzeit ein Revival.“ Doch alle diese Substanzen hätten noch keine ausreichenden Tests hinter sich und noch lange nicht die Marktreife erlangt.
„Seit einem Jahr wird auch in mehreren deutschen Unikliniken eine größere Studie bei Patienten mit Depressionen durchgeführt, die auf übliche Antidepressiva nur eine unzureichende Besserung gezeigt haben“, sagt Heuser-Collier: „Dabei werden diese depressiven Patienten zusätzlich zu Antidepressiva mit dem Antibiotikum Minozyklin für sechs Wochen behandelt.“ Das seit langem bekannte Minozyklin werde nicht wegen seiner antibakteriellen Eigenschaften gegeben, sondern weil es Hinweise dafür gebe, dass es bestimmt Effekte auf Hirnzellen hat, die depressionslösend sein könnten. Einen ziemlichen Hype erfahre seit einiger Zeit auch Ketamin, so die Psychiaterin und Psychologin. Das lange bekannte Anästhetikum, wird aufgrund seiner dissoziativen auch in der Party-Szene missbraucht. „Es gab 2006 eine Publikation um den Forscher Carlos Zarate vom National-Institut für mentale Gesundheit (NIMH), die alles lostrat. Sie hatte zum Ergebnis, dass bei siebzehn Patienten die Infusion von nicht-anästhetischen Dosen von Ketamin zu einer sofortigen Verbesserung der Depression geführt haben sollte.
Daraufhin gab es viele Untersuchungen mit Ketamin bei Depression. Vor allem die Amerikaner hätten positive Ergebnisse erzielt, sagt Heuser-Collier, doch in den USA gebe es grundsätzlich höhere Response-Raten: „Depression kommt in den Schweregraden leicht, mittel und schwer vor. In Amerika wurden eher leicht bis mittelschwer betroffene Patienten in diese Studien eingeschlossen und auch solche, die ambulant behandelt wurden. Wir haben auch an verschiedenen Ketamin-Studien teilgenommen und so um die 100 Patienten behandelt. Bei uns sind aber eher schwer depressive, stationäre Patienten eingeschlossen.“ So komme es, sagt Heuser-Collier, dass die Amerikaner etwa 65 Prozent Response sehen würden, sie aber nur um die 30 Prozent. Ketamin sei allerdings noch nicht zugelassen zur Behandlung der Depression, weder in den USA, noch in Europa. Besonders erfolgreich im Kampf gegen Depressionen sind laut Heuser-Collier Neuroleptika, die eher Dopamin-Modulartoren seien, wie Aripiprazol. Sie würden zum Beispiel auch positiven Ergebnisse erzielen bei Borderline-Störungen. „Antidepressiva, muss man sagen, sind schon erfolgreich“, sagt Heuser-Collier. „Aber wir brauchen einen Innovationsschub, sowohl bei Depressionen als auch bei der Behandlung von Psychosen und bei Medikamenten gegen Abhängigkeit, insbesondere gegen das Suchtverlangen, das sogenannte Craving.“ Bei Antidepressiva müsste der Response viel schneller und auch zuverlässiger eintreten, sagt sie: „Da brauchen wir unbedingt Medikamente. Es wird also auf vielen neuen Wegen geforscht, aber all das ist erst ganz am Anfang.“