Ist die Parkinson-Inzidenz in Deutschland wirklich rückläufig? Aktuelle Studien lassen das vermuten. Warum diese Ergebnisse tatsächlich aber ernüchternd sind, lest ihr hier.
Morbus Parkinson ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Allein in Deutschland sind ca. 400.000 Menschen betroffen. Es besteht wissenschaftlicher Konsens, dass die Zahl weltweit weiter zunehmen wird, unter anderem aufgrund steigender Lebenserwartung. Eine aktuelle Studie des Zentralinstituts für kassenärztliche Versorgung (Zi) beschreibt nun einen mutmaßlichen Rückgang der Häufigkeit neu aufgetretener Parkinson-Diagnosen um bis zu 30 Prozent innerhalb weniger Jahre in Deutschland. Die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) zweifelt erheblich an der Existenz einer derart raschen Trendwende.
Die DPG-Arbeitsgruppe Netzwerke und digitale Versorgung hat die Zi-Studie daher in einer Stellungnahme bewertet. Das Fazit: Es bedarf weiterer Daten, um diesen angeblichen Rückgang der Inzidenz zu klären und einzuordnen. Die Experten der DPG sehen aktuell leider keinen Grund zur Entwarnung. Deutschland sei weiterhin ein Parkinson-Hochinzidenzland.
Zeitliche Entwicklung von M. Parkinson-Fallzahlen auf unterschiedlichen Datengrundlagen. Credit: Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG).
Laut Zi-Studie ist die Inzidenz der Parkinson-Diagnosen in Deutschland von 2013 bis 2019 um bis zu 30 Prozent gesunken. Anhand kassenärztlicher Abrechnungsdaten sei ein bundesweiter und geschlechterübergreifender Rückgang in allen Altersgruppen ab 50 Jahren zu beobachten. Diese Ergebnisse würden eine frühere Untersuchung auf gleicher Datengrundlage stützen, die über einen Rückgang der Parkinson-Prävalenz im ambulanten Versorgungssektor berichtete. „Dieses Ergebnis widerspricht den bisher beobachteten steigenden Trends und der Annahme, dass sich die Zunahme der Parkinson-Risikofaktoren, allen voran das steigende Durchschnittsalter der Bevölkerung, weltweit weiter fortsetzt“, betont Prof. Günter Höglinger, Direktor der Klinik für Neurologie der Medizinischen Hochschule Hannover und Vorstandsmitglied der DPG.
Die Fachgesellschaft hat die aktuelle Datenlage bewertet und zweifelt an einer schnellen Trendwende. Eine rückläufige Parkinson-Inzidenz in Deutschland ließe sich theoretisch durch einen Rückgang von Parkinson-Risikofaktoren wie Alter oder Pestiziden sowie die Zunahme von Parkinson-Schutzfaktoren wie körperlicher Aktivität, Rauchen oder Koffein erklären. Dass sich solche Faktoren innerhalb weniger Jahre so wirksam verstärkt haben sollten, dass sie eine 30-prozentige Reduktion innerhalb von 6 Jahren erklären könnten, sei allerdings extrem unwahrscheinlich. Hinzu komme die weiter steigende Lebenserwartung in Deutschland.
„Biologische Prozesse eines solchen Maßstabs schreiten langsamer voran, sodass die tatsächliche Existenz einer derart raschen Trendwende bei dieser neurodegenerativen Erkrankung aktuell biologisch nicht plausibel erscheint und weiterer Untersuchungen auf ergänzender Datengrundlage bedarf“, heißt es in der Stellungnahme.
Vielmehr könnte eine verzerrte Messung durch Veränderung der Messbedingungen der Grund für den in der Zi-Studie beobachteten scheinbaren Rückgang der Parkinson-Inzidenz sein. Es sei nicht auszuschließen, dass Vertragsärzte beispielsweise ihr Diagnose- oder Kodierverhalten verändert hätten, z. B. aufgrund rückläufigen Bewusstseins für die Erkrankung oder wegen abnehmender Anreize und administrativer Rahmenbedingungen. Ebenso bestünde die Möglichkeit, dass Betroffene weniger Gesundheitsleistungen speziell in dem Sektor des Gesundheitssystems in Anspruch genommen haben, der in der Zi-Studie erfasst wurde.
Gegen eine tatsächliche Trendwende spreche auch die Dynamik der vorgestellten Zi-Zahlen, die in bestimmten Zeiträumen und Regionen nicht rückläufig waren, sondern stagnierten oder sogar zunahmen. Weitere vorliegende Auswertungen und Studien legen vielmehr eine weiterhin steigende Inanspruchnahme von Parkinson-Gesundheitsleistungen in Deutschland nahe, zeigen in europaweiten repräsentativen Umfragen eine zunehmende Parkinson-Inzidenz und eine zunehmende Inzidenz in Deutschland über einen größeren Zeitraum als sieben Jahre. „Wie die tatsächliche Dynamik der Inzidenz in den letzten Jahren auch sein mag, im internationalen Vergleich ist Deutschland laut den Daten der Global Burden of Disease Study weiterhin ein Land mit sehr hoher Inzidenz, die 2019 mehr als dreimal so hoch war wie der globale Durchschnitt“, so das Fazit.
Die tatsächliche Ursache der mutmaßlichen Inzidenz-Trendwende in den ambulanten Parkinson-Diagnosedaten des Zi zwischen 2013 und 2019 ist also weiterhin zu klären. Bislang gibt es laut DPG keine Entwarnung. Deutschland ist ein Hochinzidenzland für die Parkinson-Krankheit.
Die Bedeutung der Erkrankung für die Bevölkerungsgesundheit zeigt auch ein Statement, in dem die Weltgesundheitsorganisation WHO für mehr Prävention und Risikoreduktion plädiert. Insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, aber auch in Deutschland, sei ein gesicherter Zugang zu Behandlung und Pflege inklusive interdisziplinärer Netzwerke von Parkinson-Experten wichtig. Als Teil des Intersektoralen Globalen Aktionsplans für neurologische Erkrankungen hat die WHO ihre Mitglieder verpflichtet, nationale Pläne zur Verbesserung der Diagnose, Behandlung, Versorgung und Prävention der Parkinson-Krankheit zu implementieren.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen. Die erwähnten Studien findet ihr im Text verlinkt.
Bildquelle: Jörg Angeli, unsplash