Frühchen sind einer Vielzahl von biologischen und chemischen Gefahren ausgesetzt. Ärzte versuchen daher, Risikofaktoren weiter zu minimieren – mit Erfolg: Innerhalb von nur einer Generation stieg die Überlebenschance auf rund 90 Prozent. Doch es gibt noch viel zu tun.
Frühgeburten gelten laut WHO-Report „Born too soon – the global action report on preterm birth“ weltweit als Herausforderung für Ärzte. In Deutschland liegt die Rate bei 9,2 Prozent. Pro Jahr kommen 63.000 Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche (SSW) zur Welt – und 8.000 sogar vor der 30. SSW. Ihre Überlebenschancen sind heute vergleichsweise gut. Dennoch sollten Ärzte und Eltern zusätzliche Risikofaktoren minimieren.
Auf der Frühchenstation sowie der Kinderintensivstation lauern Gefahren biologischer Art. In den letzten Jahren starben mehrere Frühchen, nachdem sie sich mit multiresistenten Erregern infiziert hatten. Betroffen waren unter anderem das Klinikum Bremen-Mitte (2011/2012), die Berliner Charité (2012), das Frankfurter Bürgerhospital (2013) und das evangelische Krankenhaus Lippstadt (2014). Im Bremer Fall ging ein Untersuchungsausschuss möglichen Gründen des Hygieneskandals nach. Experten monieren im Abschlussbericht, es habe 2011 zu wenig Pflegepersonal an der Klinik gegeben. Der Keimausbruch sei wegen mangelhafter Dokumentation zu spät erkannt und das Gesundheitsamt zu spät informiert worden. Der Ausschuss empfiehlt, wie in den Niederlanden bereits üblich, Patienten mit Risikoprofil systematisch auf multiresistente Keime zu untersuchen. Gleichzeitig seien bundesweit verbindliche Personalstandards notwendig, „um einen ruinösen Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten und Patienten zu verhindern“.
Unterstützung kommt von Ärzten. Dazu Professor Dr. Gerhard Jorch von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI): „Besonders wichtig für die Patienten ist das Pflegepersonal. Die betreuende Fachkinderkrankenschwester für Pädiatrie und Intensivmedizin hat mit Abstand den häufigsten Blick- und Handkontakt mit den kleinen Patienten. Sie muss ihre Arbeit ohne zu großen Zeitdruck ausüben können, geschult und erfahren sein und sich die Freude an ihrem Beruf erhalten können.“ Nach erfolgreicher Behandlung von Frühgeboren gehen ärztliche Aufgaben weiter. Laut DIVI wird das Schicksal eines Frühgeborenen durch gute Unterstützung im familiären Umfeld genauso stark beeinflusst wird wie durch wenige Komplikationen während der intensivmedizinischen Behandlung. Deshalb beziehen Neonatologen Familienmitglieder schon früh in die Betreuung ihres Kindes mit ein.
Personalknappheit ist nur ein Aspekt. Im Journal of Perinatology berichten Dr. Eric Mallow und Dr. Mary Fox von weiteren Gefahrenquellen. Viele Gegenstände vom Beutel für Bluttransfusionen über Geräte zur extrakorporalen Membranoxygenierung bis zur Magensonde enthalten Polyvinylchlorid (PVC). Um die Flexibilität des Kunststoffs zu erhöhen, setzen Hersteller Phthalate zu. Mit etwa 54 Prozent Marktanteil ist Diethylhexylphthalat (DEHP) ein besonders häufiger Vertreter. Frühchen erhalten viele medizinische Interventionen. Aufgrund ihres geringen Körpergewichts kommt es schnell zu kritischen Dosen an entsprechenden Weichmachern im Körper. Mallow und Fox geben 16 Milligramm pro Tag und Kilogramm an. Grenzwerte zur Vermeidung schädigender Einflüsse auf männliche Geschlechtsorgane beziehungsweise auf die Leber werden um den Faktor 4.000 beziehungsweise 160.000 überschritten. Hier setzen die Autoren tolerierte Tagesdosen an, obwohl kleine Patienten der Exposition nur Tage oder Wochen ausgesetzt sind. Im EU-Report „The safety of medical devices containing DEHP plasticized PVC or other plasticizers on neonates and other groups possibly at risk“ halten Experten gesundheitliche Folgen bei kurzfristiger Exposition für möglich. Das Spektrum reicht von Wachstumsstörungen über Probleme bei der Testosteronproduktion bis hin zu Krebserkrankungen. Ein Schritt in die richtige Richtung: Die Europäische Arzneimittelagentur EMA überlegt, Phthalate aus Medikamenten zu verbannen.
Weitaus gefährlicher als Weichmacher sind Zytomegalieviren (CMV) der Mutter – in Deutschland liegt die Durchseuchung bei etwa 70 Prozent. Aus ernährungsphysiologischer Sicht raten Ärzte häufig, Frühchen zu stillen. Mit dieser Empfehlung setzte sich Cassandra D. Josephson in „JAMA Pediatrics“ auseinander – CMV lassen sich auch in der Muttermilch nachweisen. Während gesunde Babys nicht erkranken, entwickelt sich bei Frühgeborenen ein sepsisähnliches Krankheitsbild. Internationale Fachgesellschaften haben noch keinen Konsens zur Bewertung des Risikos gefunden. Grund genug für Josephson, eine prospektive Studie mit 539 Frühchen unter 1.500 Gramm Geburtsgewicht durchzuführen. Innerhalb von zwölf Wochen infizierten sich 28 Babys mit CMV. In 27 Fällen war die Mutter ebenfalls CMV-positiv; weitere Übertragungswege konnten Ärzte ausschließen. Fünf Säuglinge erkrankten. Von ihnen verstarben drei. Hier wiesen Pathologen eine Viruslast von bis zu 13.000 IU/ml nach. Zwei Kinder erhielten Ganciclovir und/oder Valganciclovir – sie überlebten. Bleibt als Vorsichtsmaßnahme, bei seropositiven Müttern Milch zumindest bis zur 34. Gestationswoche zu pasteurisieren, wie die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin rät. Ansonsten stehen die Chancen für Frühchen gut – innerhalb nur einer Generation hat sich laut DIVI die Überlebenschance von zehn auf 90 Prozent erhöht.