Schnelle Therapien statt Bürokratie und Diagnose-Odyssee – das hat sich das Rostocker Long-Covid-Institut zum Ziel gesetzt. Es ist ein einzigartiges Modellprojekt für Long-Covid-Patienten in Deutschland.
Laut WHO sind mittlerweile weltweit mindestens 17 Millionen Menschen von Long Covid betroffen. Viele dieser Betroffenen sind derzeit arbeits- oder dauerhaft erwerbsunfähig. Auch in der Versorgung dieser Patienten sieht es aktuell mau aus: Fehlende Vernetzungen zwischen unterschiedlichen Facharztgruppen im ambulanten und niedergelassenen Bereich sowie Grundlagenforschung, die es nicht in die Praxis schafft, sorgen für eine große Versorgungslücke. Betroffene werden von einer zur nächsten Anlaufstelle geschickt und müssen meist tief in die Tasche greifen, um teilweise fragwürdige Therapieansätze wahrzunehmen. Dr. Jördis Frommhold, Fachärztin für Atemwegserkrankungen und Allergien, will das ändern und startet nun ein bisher einzigartiges Modellprojekt: das Institut Long Covid in Rostock.
Aktuell sei das größte Problem bei der Versorgung von Long-Covid-Patienten, dass viele Anlaufstellen sich um die Diagnostik kümmern und es keine kausale Therapie gibt, erklärt die Leiterin des Instituts auf Anfrage der DocCheck News. Man könne aber symptomorientiert schon einiges machen. Das fehlende Wissen aus Forschung oder beispielweise der Reha-Therapie soll über das Institut frühzeitig und ambulant sowie auch digital an den Patienten weitergegeben werden. Das erspare Wartezeiten und verhindere lange Arbeitsunfähigkeiten, bis etwa ein Reha-Platz frei wird, sagt die Medizinerin.
Patienten werden zwar krankgeschrieben, doch häufig ohne weitere Optionen und Planung alleine stehen gelassen und nicht über experimentelle Ansätze aufgeklärt. „Wir müssen Medizin anders denken“, sagt Frommhold. Das Institut soll diese Patienten an die Hand nehmen und versuchen, Betroffene wieder in den Berufsalltag einzugliedern. Patienten müssen longitudinal begleitet werden und es müsse über Fachgruppenbereiche hinausgedacht werden – ähnlich wie Hausärzte es bereits mit dem Deutschen Fachärzteverband machen, erklärt Frommhold.
Nach der Diagnostik ist eine Überweisung an das Institut möglich. Das plane mit dem Patienten, welche weiteren Therapien bzw. Optionen auch im ambulanten Bereich möglich sind, erklärt Frommhold. Es handle sich bei den betreuenden Experten um ein interdisziplinäres Team aus Psychologen, Physiotherapeuten, Ärzten und Sozialarbeitern. Für die aufwendigen Behandlungen brauchen Patienten ergänzende Strukturen; bei der Wiedereingliederung müssten auch Behörden und Unternehmen hinzugezogen werden.
Der Bedarf ist riesig, erklärt Frommhold: „Eigentlich nehmen wir unsere Arbeit erst zum 1. Januar 2023 auf. Wir haben jetzt noch Vorbereitungszeit. Aber der Zulauf ist massiv, deshalb behandeln wir schon einige Patienten.“ Allerdings sind es aktuell noch Behandlungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden – es handelt sich somit um eine Selbstzahlerleistung.
Doch das soll sich im kommenden Jahr ändern: Ab dem ersten Quartal 2023 will die Innovationskasse mit Sitz in Lübeck für ihre Versicherten mit Long Covid die Versorgung anbieten und Behandlungskosten übernehmen. „Wir stellen uns vor, dass Hausärzte die Patienten an das Long-Covid-Institut überweisen“, sagt IKK-Vorstand Ralf Hermes in einer Pressemitteilung des Instituts Long Covid, die der DocCheck News vorliegen. „Vielen Ärzten, im stationären oder auch ambulanten Bereich, fehlt das Wissen um die Krankheit, die Erfahrung im Umgang damit und die Bedeutung für die Patienten.“ Hermes erklärt, dass das Institut als „Nucleus“ eine koordinierende Funktion für die Patienten übernehmen soll. Die IKK wäre mit ihrem Versorgungsvertrag deutschlandweit Vorreiter. „Wir sind aber offen dafür, von Anfang an andere Krankenkassen miteinzubinden. Bei Hunderttausenden von Betroffenen müssen alle an einem Strick ziehen“, betonte Hermes. Denn es entwickele sich da gerade ein riesiges gesellschaftliches Problem.
„Wir beraten zwar die Patienten analog, aber es ist schon klar, dass das hier alleine nicht reichen wird“, sagt Frommhold. Das Institut in Rostock sei das „Mutterschiffchen“ – weitere Standorte seien bereits in Planung, damit die Versorgung der Patienten landesweit vorangetrieben wird. Ziel ist es, einen bis zwei neue Standorte im nächsten Jahr zu etablieren. „Es handelt sich um ein Konstrukt, das noch wachsen wird. Wir gehen pragmatisch ran, um richtige Anlaufstellen zu schaffen.“ Das Institut richtet sich nicht nur an Long-Covid-Patienten, sondern auch an Betroffene, die Probleme nach einer Impfung haben.
Das Institut hat zwar Kooperationen mit den Universitäten in Rostock und Greifswald, aber es fungiert eigenständig und hat die Anschubfinanzierung aus den Fördermitteln des Landes bekommen. Es gebe durchaus Unterstützung, aber es sei eine komplette Eigenleistung, sagt die Medizinerin. Denn Frommhold und ihr Mann haben das Institut aus Eigeninitiative gegründet und kümmern sich entsprechend um die Finanzierung. Ihren Plan starteten sie im Mai 2022, die Institutsöffnung folgte im Oktober.
Anders als herkömmliche Disease-Management-Programme bei chronischen Erkrankungen, stehe das Institut nicht vor langwierigen bürokratischen Hürden, erklärt Frommhold. „Innovative Ideen lohnen sich dann eher, weil [DMP] aktuell durch den zeitlichen Aufwand nicht in Frage kommen.“ Long-Covid-Patienten brauchen jetzt Behandlungsmöglichkeiten, um wieder in den Alltag zu finden, so die Ärztin.
Das Institut bietet auch digitale Möglichkeiten – wie beispielsweise Lehrvideos – und soll in Zukunft um eine Mediathek erweitert werden, damit aktuelle Therapiemöglichkeiten niedrigschwellig geteilt werden können. Dafür sollen Investoren oder Fördergelder herangezogen werden. Die Telemedizin werde dabei auch über die aktuell angebotenen digitalen Sprechstunden weiter ausgebaut. Durch die Telemedizin kann das Institut auch deutschlandweit als Beratungs-, Schulungs- und Weiterbildungsinstanz dienen. Es sei ein „wichtiger Schritt für die Digitalisierung der Medizin“.
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