Symptomatisch effektiv, aber letztlich kontraproduktiv? Zwei radiologische Studien werfen einen Schatten auf die beliebten Steroidinjektionen bei Kniegelenksarthrose.
Steroidinjektionen gehören zu den medikamentösen Standardverfahren bei der Kniegelenksarthrose. Daran, dass sie symptomatisch effektiv sind, hegen die meisten keinen Zweifel, auch wenn die Datenlage nie wirklich überzeugend war. Es gibt zu diesem Thema einen Cochrane-Review aus dem Jahr 2005, der zuletzt 2015 aktualisiert wurde. Er konstatiert Hinweise auf symptomatische Effekte und mögliche funktionelle Verbesserungen über einen Zeitraum von bis zu einigen wenigen Wochen, betont aber vor allem, dass klare Aussagen angesichts schlecht gemachter und extrem heterogener Studien kaum möglich seien.
In der deutschen S2k-Leitlinie Gonarthrose, die formal just am 29. November 2022 abgelaufen ist, haben intraartikuläre Steroidinjektionen einen festen Stellenwert: Nach den topischen und den oralen NSAR landen die Kortikosteroid-Injektionen auf gleicher Stufe mit Hyaluronsäure-Injektionen und Glucosamin oral auf der dritten Stufe der Eskalationsleiter (s. Abbildung 1).
Abbildung 1: Vorschlag eines medikamentösen Therapiealgorithmus aus der deutschen S2k-Leitlinie Gonarthrose. Credit: AWMF
Die Frage ist: Stehen sie da zurecht? Bei der Tagung der Radiological Society of North America (RSNA) wurden jetzt zwei prospektive Kohortenstudien mit Gelenk-MRT-Endpunkten bzw. Röntgenendpunkten vorgelegt, die die Zweifel an dem Therapieverfahren vertiefen. Besonders pikant: Die Studien setzen nicht so sehr ein weiteres Fragezeichen an die symptomatische Effektivität der Injektionstherapie. Sie stellen vielmehr die Frage, ob die Gonarthrose sich infolge von intraartikulären Steroidinjektionen nicht sogar verschlechtert.
Beide Studien nutzen Kohorten aus der US-amerikanischen Osteoarthritis Initiative, einer multizentrischen Langzeit-Beobachtungsstudie, die jetzt seit 14 Jahren läuft. Die erste Auswertung, die von Wissenschaftlern der Universität Kalifornien vorgenommen wurde, umfasst 210 Studienteilnehmer, von denen 70 über einen Zeitraum von zwei Jahren intraartikuläre Injektionen erhalten hatten und 140 ohne solche Injektionen behandelt wurden. Von den 70 Patienten mit Injektionen hatten 44 Kortikosteroid-Injektionen erhalten und 26 Hyaluronsäure-Injektionen. Es erfolgte ein Matching nach Geschlecht, Alter, BMI, Schmerzen, Umfang körperlicher Aktivität und Arthrose-Schweregrad.
Für alle Studienteilnehmer lagen je drei MRT-Untersuchungen vor, eine im Zeitraum der Injektionen, eine zwei Jahre vorher und eine weitere zwei Jahre später. Bewertet wurde mit dem WORMS-Score, in den Meniskus, Knorpelläsionen, Knochenmarksläsionen, Gelenkerguss und Bandapparat eingehen (s. Abbildung 2). Die Arbeit wird dadurch reizvoll, dass sie einen Vergleich zwischen Steroiden und Hyaluronsäure vor dem Hintergrund einer Kontrollgruppe ermöglicht.
Abbildung 2: Intakter Gelenkspalt (rechts) und Gelenkspaltverengung mit schweren Knorpeldefekten (links) in der MRT-Bildgebung des Kniegelenks (Image Credit: RSNA and Upadhyay Bharadwaj)
Dabei zeigte sich, dass Steroidinjektionen signifikant assoziiert waren mit einer Progression der Gonarthrose, insbesondere in den Bereichen lateraler Meniskus und medialer bzw. lateraler Knorpel. Bei den Hyaluronsäure-Injektionen gab es diese Assoziation nicht. Im Vergleich zur Kontrollgruppe gab es hier wenig Unterschiede, bei den Knochenmarksläsionen schnitten Hyaluronsäure-Patienten sogar besser ab als die Kontrollgruppe.
Die zweite Auswertung stammt von Ärzten der Chicago Medical School und Rosalind Franklin University of Medicine in Chicago. Hierbei handelte es sich um eine Fall-Kontroll-Studie mit insgesamt 150 Arthrose-Patienten. Die Kontrollgruppe bildeten 50 Patienten, die seit mindestens drei Jahren keinerlei intraartikuläre Injektionen erhalten hatten. Weitere 50 Patienten hatten Kortikosteroid-Injektionen erhalten und nochmal 50 Patienten Hyaluronsäure-Injektionen. Alle drei Gruppen waren gematcht nach Geschlecht, BMI und Röntgenbefund.
Für diese Analyse gab es jeweils zwei Röntgenuntersuchungen, eine zur Baseline und eine zwei Jahre später. Die Radiologen schauten dabei nach den üblichen röntgenologischen Arthrosezeichen, also Gelenkspaltverschmälerung, subchondrale Sklerosierung und Osteophyten. Auch hier war das Ergebnis eindeutig: Verglichen mit den Patienten, die Hyaluronsäure erhalten hatten, hatten Patienten, die Steroidinjektionen bekamen, eine signifikant stärkere radiologische Progression der Arthrose, inklusive stärkere Verschmälerung des Gelenkspalts.
„Obwohl die radiologischen Befunde zur Baseline bei allen Patienten gleich waren, waren die Arthrosezeichen bei Patienten mit Steroidinjektionen nach zwei Jahren schlechter als bei Patienten mit Hyaluronsäure oder bei Patienten ohne Injektionen“, betont Studienleiter Azad Darbandi. Dies sollte seiner Auffassung nach zumindest Anlass sein, etwas zurückhaltender mit Steroidinjektionen zu sein. Klar ist aber auch: Ein abschließender Beweis dafür, dass Steroid-Injektionen progressionsbeschleunigend wirken, sind die beiden Studien nicht. Ein „Referral Bias“, also eine Zuweisung von stärker betroffenen Patienten in die Steroid-Gruppe, lässt sich nicht völlig ausschließen, trotz vergleichbarer Bildbefunde zu Studienbeginn.
Bildquelle: roman raizen, unsplash