Zu glauben, man sei tot – es klingt wie ein Horrorfilm. Genau das ist aber Realität für Menschen, die am Cotard-Syndrom leiden. Wie kommt es zur Störung und was kann man dagegen tun?
1880 beschrieb Jules Cotard nach Beobachtung des Falles einer 43-jährigen Frau ein eigentümliches Syndrom, das durch melancholische Angst, Verdammnis- oder Besitzwahn, erhöhte Neigung zu Suizidgedanken und vorsätzlicher Selbstverletzung sowie Hypochondrie gekennzeichnet war. Es kam zu Gedanken der Nichtexistenz oder des Untergangs mehrerer Organe, des ganzen Körpers, der Seele und zur Vorstellung von Unsterblichkeit oder Unfähigkeit zu sterben.
Das Cotard-Syndrom wird oft als der wahnhafte Glaube beschrieben, dass man tot oder nicht existent sei. Lebende Tote – wie Zombies – so fühlen sich die Patienten mit dieser Wahnvorstellung. Sie leugnen die eigene Existenz und die Umwelt um sie herum. Die Betroffenen essen und schlafen kaum und ziehen sich sozial zurück. Das Syndrom, das bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen auftritt, wurde mehrfach erweitert und neu interpretiert, was seine symptomatischen Rahmenbedingungen verkompliziert und verschlimmert sowie seine Behandlung erschwert.
Das Syndrom bleibt schwer fassbar und wird sowohl im ICD-10 als auch in DSM-5 nicht als separate Störung klassifiziert. Berrios und Luque unterschieden bereits drei Subtypen des Cotard-Syndroms:
Madani und Sabbe favorisierten als Behandlung für den Subtyp der psychotischen Depression die Elektrokrampftherapie und für den Typ I des Cotard-Syndroms die neuroleptische Therapie.
Das Cotard-Syndrom wurde mit dem Capgras-Syndrom verglichen – einer Täuschung, bei der vertraute Personen durch Betrüger ersetzt werden. Insbesondere Studien zur Rolle prämorbider Persönlichkeitsmerkmale deuten darauf hin, dass Patienten mit einem internen Attributionsstil, der häufig zusammen mit Depression auftritt, möglicherweise prädisponiert sind, ein Cotard-Syndrom zu entwickeln.
Hirninfarkte, frontotemporale Atrophie, Epilepsie, Enzephalitis, Hirntumoren und traumatische Hirnverletzungen können Auslöser für das Cotard-Syndrom sein. Das Syndrom wurde mit psychiatrischen Erkrankungen wie geistiger Behinderung, postpartaler Depression, Depersonalisationsstörung, Katatonie, Capgras-Syndrom, Fregoli-Syndrom, Odysseus-Syndrom und dem Koro-Syndrom in Verbindung gebracht. Die Pathogenese des Cotard-Syndroms ist allerdings nicht hinreichend geklärt. Neben psychischen Erkrankungen und hirnorganischen Störungen kommen auch Medikamente wie das Virustatikum Valaciclovir als Auslöser in Frage.
Die COVID-19-Pandemie steht im Zusammenhang mit Angstzuständen, Depressionen und psychotischen Symptomen. Entweder direkt aufgrund einer durch das Virus verursachten Invasion bzw. Entzündung, oder indirekt aufgrund des damit verbundenen psychosozialen Stresses: Angst vor einer Infektion, soziale Isolation und finanzielle Belastung.
Eine Kasuistik von Aytac et al. präsentiert einen 28-jährigen weiblichen Fall von Post-Covid Major Depression mit psychotischen Merkmalen und Cotard-Syndrom ohne vorherige psychiatrische Vorgeschichte. Auch weitere Kasuistiken nach Covid-Pneunomie liegen vor. Zwei Monate nach der Infektion mit der B.1.1.7-Variante des Coronavirus trat in einer Kasuistik von Yesilkaya et al. eine Episode des Cotard-Syndroms auf. Zwei Monate nach Abschluss der Behandlung von COVID-19 begann die Patientin zu denken, dass sie durch die virale Besetzung ihres Körpers vernichtet und ihr Nervensystem zersetzt würde.
Auch nach Schlaganfällen, Schizophrenie oder bei Morbus Parkinson werden Fälle vom Cotard-Syndrom beschrieben.
Ebenfalls bei semantischer Demenz – eine neurodegenerative Erkrankung, die durch den Verlust der Semantik oder der Bedeutung von Substantiven und Objekten gekennzeichnet ist – wurde das Syndrom beschrieben. Klinisch gesehen sind die frühesten und häufigsten Defizite bei semantischer Demenz Sprachschwierigkeiten, die durch den Verlust der Bedeutung von Wörtern gekennzeichnet sind. Die Defizite gehen jedoch über die Sprache hinaus und umfassen eine multimodale oder amodale Beeinträchtigung des Wissens über Objekte, Gesichter, Gerüche, andere Sinneswahrnehmungen oder Konzepte. Eine Kasuistik von Mendez et al. beschreibt beispielsweise eine Patientin mit semantischer Demenz, die ein Cotard-Syndrom entwickelte, das mit der Überzeugung einherging, dass sie tot sei oder im Sterben liege.
Es wurden mehrere Berichte über erfolgreiche pharmakologische Behandlungen veröffentlicht. Sowohl Monotherapien mit Antidepressiva, Antipsychotika oder Lithium als auch Kombinationsbehandlungen mit Antidepressiva und Antipsychotika. Die am häufigsten berichtete erfolgreiche Behandlungsstrategie für das Cotard-Syndrom ist die Elektrokrampftherapie (ECT), deren Verabreichung den aktuellen Behandlungsrichtlinien der zugrunde liegenden Erkrankungen folgen sollte.
Die Literaturübersicht zeigt, dass mehrere erfolgreiche pharmakologische Behandlungen für das Cotard-Syndrom untersucht wurden – darunter Aripiprazol, Amitriptylin, Duloxetin, Fluoxetin, Paroxetin, Olanzapin, Sulpirid, Lithium und Kombinationsstrategien mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, trizyklischen Antidepressiva und Antipsychotika. Quetiapin in Kombination mit Venlafaxin wurden in Einzelfällen erfolgreich beim Cotard-Syndrom eingesetzt. Auch eine Kombination von Nortriptilin und Quetiapin zeigte sich erfolgreich.
Bildquelle: Nathan Wright, unsplash