Ab Anfang 2015 soll das neu gegründete IQTiG-Institut im Auftrag des G-BA Daten der Qualitätssicherung von Kliniken und Praxen aufbereiten und öffentlich machen. Kassen, Ärzte und Patientenvertreter sehen der Arbeit des IQTiG mit gemischten Gefühlen entgegen.
„Die gegenwärtige Qualitätssicherung stammt aus den 90er Jahren und ist ausschließlich diagnosen- und prozedurenorientiert.“ Zu diesem nicht ganz schmeichelhaften Ergebnis kommt die aktuelle Studie „Qualität 2030 – Die umfassende Strategie für das Gesundheitswesen“ von Matthias Schrappe, Lehrbeauftragter für Patientensicherheit und Risikomanagement an der Universität Köln.
In der deutschen Medizin soll die Qualitätssicherung auf neue Füße gestellt werden - das war einer der Vorsätze im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Qualitätsberichte der Krankenhäuser, aber auch Ranglisten und Suchportale von Focus oder AOK und anderer Krankenkassen sind unzureichend, um das bisherige Niveau der medizinischen Versorgung zu halten oder, wenn möglich, noch zu verbessern. Also, so beschloss es der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA im Sommer dieses Jahres, soll ein neues Institut her, das die Aufgabe übernimmt, Daten aus der Qualitätskontrolle „sektorenübergreifend“ zu sammeln, aufzubereiten und zu veröffentlichen. Letztendlich sollen nicht nur Versorgungsfachleute verstehen, warum eine Klinik oder eine Schwerpunktpraxis wirklich gut ist oder doch noch Hausaufgaben erledigen muss, um Fehler und Risikofaktoren abzustellen. Das IQTiG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen) soll im Auftrag des G-BA seine Arbeit 2015 aufnehmen und ab 2016 schließlich die Referenzstelle für Qualitätsmessung und -sicherung in Deutschland werden - angelehnt an seinen Verwandten mit dem ähnlich klingenden Namen, dem IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen). Jährliche Berichte zum Stand der Qualität gab seit 2010 das Göttinger AQUA-Institut heraus. Warum arbeitet der G-BA nicht mit den dortigen Experten weiter zusammen? Alle vier Jahre muss dieser Auftrag europaweit ausgeschrieben werden. Eine langfristige Planung und Entwicklung neuer Qualitätsparameter scheint so nicht möglich. Also verfuhr man nach dem bewährten Verfahren wie beim IQWiG und setzte eine Stiftung als Träger ein. „Das IQWiG schaut auf das, was ins System hineinkommt,“ beschreibt der Berliner Ärztekammer-Präsident Günther Jonitz die Aufgabenteilung zwischen den beiden Institutionen, „das IQTiG wird auf das schauen, was im System beim Patienten ankommt.“
Entsprechend den bisherigen Plänen für das Arbeitsprogramm des IQTiG wird zuerst der stationäre Bereich im Mittelpunkt der Qualitätsanstrengungen stehen. Später soll aber auch der ambulante Bereich dazukommen und mit dem stationären verflochten werden. Das bedeutet, dass die Experten zukünftig solche Qualitätsstandards bestimmen werden, die für beide Sektoren verbindlich sind. Müssen sich Ärzte nun auf noch mehr Formulararbeit am Schreibtisch statt der Patientenversorgung am Behandlungstisch einstellen? Glaubt man den Experten, soll das neue Institut keine Datenkrake werden, die die Dokumentation jedes einzelnen Handgriffs einfordert. Genau wie bei den Aufträgen an das Aqua-Institut soll auch das IQTiG „sparsam“ mit den Daten umgehen und sich nach dem Willen des G-BA erst einmal mit den Abrechnungsdaten der Krankenkassen aus Routine und Verwaltung zufriedengeben. Eine „Eingrenzung der dokumentationspflichtigen Leistungen“ sei entsprechend den Aqua-Experten auch notwendig, „um valide und reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten und das Resultat richtig einordnen zu können.“ Generell, so fordert Matthias Schrappe in seiner Studie, sollte die Qualitätsmessung in Zukunft eher weg von der Präferenz der Akutmedizin und Operationen und vielmehr hin zur Patientenversorgung für chronisch kranke, oft multimorbide ältere Patienten. Jedoch sei die Konzentration auf die Verwendung von Routinedaten gefährlich. Sie übersähe rund die Hälfte aller Komplikationen und sollten durch klinische Falldefinitionen wie in der Infektionsepidemiologie ergänzt werden.
Entsprechend der Zusammensetzung der Mitwirkenden am neuen Qualitätsinstitut gehen die Wünsche, was die zukünftige Arbeit betrifft, weit auseinander. Im Stiftungsrat und im Vorstand des Instituts sitzen sich paritätisch Vertreter der Kassen sowie der Leistungserbringer als Deutsche Krankenhausgesellschaft, KBV und KZBV gegenüber. Wie auch bei Diskussionen im G-BA als Auftraggeber des IQTiG führen die unterschiedlichen Ziele und Einflussmöglichkeiten zu scharfen Kontroversen. Vehement protestierten etwa die Zahnärzte gegen eine einseitige Nutzung Daten im Sinne der Krankenkassen: „Aus Qualitätsberichten abgeleitete Rankings für den ambulanten Bereich lehnen wir aber entschieden ab!“, baute Wolfgang Eßer von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung schon einmal vor. Nicht ganz so viel Opposition kommt von den Ärzten. Günther Jonitz spricht sich für eine Reform der Qualitätssicherung aus: „Grundsätzlich bin ich für mehr Transparenz. Entscheidend ist aber, ob man Transparenz für die Optimierung von Einrichtung oder für die Dezimierung, sprich Schließung von Einrichtungen braucht. Davon hängen Datenqualität und Umsetzung ab.“ Zentral bleibe die Rolle des Arztes, auch wenn dieser oft vom Allein- zum Letztverantwortlichen mutiert sei. „Mit seinem eigenen ärztlichen Gewissen muss man immer im Reinen sein“, betonte Jonitz im Gespräch mit DocCheck.
Dass es zwischen den einzelnen Parteien noch heftige Auseinandersetzungen über die Arbeit der neuen Qualitätsinstanz geben dürfte, zeigt ein Rechtsstreit in Nordrhein-Westfalen. Dort klagen zwei Kliniken mit Unterstützung der Krankenhausgesellschaft gegen die Veröffentlichung von QSR-Daten (Qualitätssicherung aus Routinedaten) im AOK-Kliniknavigator. „Aufgrund zahlreicher Rückmeldungen aus unseren Mitgliedshäusern haben wir erhebliche Zweifel, ob die Ergebnisse der AOK aussagekräftig sind. Externe Experten haben uns diese Zweifel in zwei Gutachten aus methodisch-fachlicher und aus rechtlicher Sicht bestätigt“, erklärte Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen. Dennoch setze die Krankenhausgesellschaft auf das neue IQTiG, das dann für einen Qualitätswettbewerb mit transparenten und fairen Spielregeln sorgen solle. Ob ein Ausgleich zwischen all diesen unterschiedlichen Interessen möglich ist, hängt wohl zu einem großen Teil vom zukünftigen Leiter des Instituts ab. Intern ist der Name wohl schon bekannt, wurde jedoch noch nicht öffentlich bekannt gegeben. Inwieweit auf den Arzt in den nächsten Jahren tatsächlich Mehrbelastungen zukommen und was der Wechsel von Aqua zu IQTiG für den einzelnen Arzt bedeutet, lässt sich im Moment wohl noch nicht vorhersagen. Nach dem Willen des G-BA sollen im Lauf der Zeit auch Patientenbefragungen als weiteres Messwerkzeug für die Behandlungsqualität in der Medizin dazukommen. Weitere konkrete Maßnahmen sind jedoch bisher noch nicht bekannt.
Dass gut gemeinte Maßnahmen in der Qualitätssicherung auch einmal ins Leere laufen können, zeigt eine Studie kanadischer Forscher, die das New England Journal vor eineinhalb Jahren veröffentlichte. Checklisten in der Chirurgie nach Piloten-Vorbild, wie sie von vielen Experten zuvor gefordert wurden, haben zumindest in Provinz Ontario nicht zu einem signifikanten Rückgang von Todesfällen und Komplikationen geführt. „Ärztliche Versorgung besteht in der Anwendung wissenschaftlichen (allgemeingültigen) Wissens auf den individuellen Einzelfall des Patienten“, so Regina Klakow-Franck vor einigen Tagen auf dem Deutschen Krankenhaustag. „Gerade weil aber ärztliche Versorgung bzw. Qualität in der Medizin nicht vollständig normierbar ist, bedarf es einer kontinuierlichen Selbst- und Fremdüberprüfung der ärztlichen Entscheidungen und Handlungen“, so Klakow-Franck weiter. Wenn das IQTiG seinen hohen Ansprüchen gerecht werden will, darf es nicht zur Datensammel- und Auswertestelle mutieren, sondern muss sich intensiv um die Qualität der Qualitätssicherung in der Medizin kümmern, um sie weiter zu verbessern.