Engpass kreativ beendet: Nach ständigen Lieferproblemen will Merck das altehrwürdige Digimerck® nächstes Jahr komplett einstellen. Welche Alternativen gibt's?
Das Digitalis-Glykosid Digitoxin ist schon länger auf der Liste der Medikamente, bei denen Lieferprobleme gehäuft auftreten. Nachdem es früher bei Herzinsuffizienz das Standardmedikament schlechthin war, wird es heute nur noch selten eingesetzt: Es bessert zwar die Symptome, nicht aber die Prognose. Kardiologen wollen trotzdem nur ungern darauf verzichten, weil es einige Indikationen gibt, bei denen es weiterhin gute Dienste leistet, insbesondere beim tachykard übergeleiteten Vorhofflimmern und bei weit fortgeschrittener Herzinsuffizienz.
Entsprechend energisch waren monatelang die Forderungen der Kardiologen an die Digitoxin-Hersteller, die wiederholten Engpässe in den Griff zu kriegen. Doch jetzt wird es erstmal schwieriger statt einfacher: Das Unternehmen Merck hat überraschend angekündigt, die Produktion seines Digitoxin-Präparats Digimerck® komplett einzustellen. Damit verlässt eines der wichtigsten Digitoxin-Präparate in Deutschland dauerhaft das Spielfeld. „Inwieweit Präparationen anderer Hersteller verfügbar sein werden, ist aktuell nicht sicher zu beurteilen“, betont die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK). Klar sei in jedem Fall, dass die durch globale Rohstoffmängel bedingten Engpässe bei der Herstellung von Digitoxin mindestens im ersten Quartal 2023 noch anhalten werden, so die Fachgesellschaft. Ob es danach besser wird? Viele zweifeln daran.
Die DGK jedenfalls sieht sich gezwungen, zu reagieren. Sie hat jetzt eine dreiseitige Stellungnahme publiziert, in der sie unter Nennung konkreter Einsatzszenarien mögliche Alternativen zu Digitoxin thematisiert. Das Medikament, das einem hier als erstes einfällt, ist natürlich das besser verfügbare Digoxin. Das wird aber dummerweise – anders als das über die Leber eliminierte Digitoxin – primär renal ausgeschieden, was bedeutet, dass es bei Niereninsuffizienz akkumuliert. Und das wiederum ist ein Problem, weil viele Herzinsuffizienzpatienten auch niereninsuffizient sind und weil Digoxin in der Natur bekanntlich ein Gift ist, mit entsprechend übersichtlicher therapeutischer Breite.
Die DGK empfiehlt dann auch, bei Patienten, bei denen die Medikation verändert werden muss, weil Digitoxin nicht mehr lieferbar ist, zunächst zu überprüfen, ob es überhaupt eine zwingende Indikation für Digitalis-Präparate gibt. „Eine Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Funktion (HFpEF) ohne tachykardes Vorhofflimmern stellt keine Indikation für Digitalis dar; Digitoxin kann und sollte hier ersatzlos abgesetzt werden“, so die DGK. Was aber tun bei den anderen Digitalis-Indikationen?
Mögliche Digitalis-Alternativen bei tachykardem Vorhofflimmern ohne reduzierte Pumpfunktion sind der DGK zufolge in erster Linie Betablocker sowie bradykardisierende Calciumantagonisten, in zweiter Linie Amiodaron, auch wenn das primär zur Rhythmus- und nicht zur Frequenzkontrolle eingesetzt wird. Ferner sollte die Indikation zu einer Pulmonalvenenisolation geprüft werden, betont die Fachgesellschaft. Digoxin ist dann eine Option, wenn keine Risikofaktoren für eine Überdosierung vorliegen.
Ist die Pumpfunktion zusätzlich zum tachykarden Vorhofflimmern eingeschränkt, liegt insofern eine andere Situation vor, als bradykardisierende Calciumantagonisten kontraindiziert sind. In der Erstlinie bleibt dann primär der Betablocker, zusätzlich ggf. Pulmonalvenenisolation oder Amiodaron sowie natürlich Digoxin, wenn einsetzbar.
Patienten, die kein tachykardes Vorhofflimmern haben und trotzdem wegen ihrer Herzinsuffizienz Digitoxin erhalten oder erhalten sollen, sind in der Regel schwer krank. Hier empfehle es sich, Patienten an ein Studienzentrum der BMBF-geförderten DIGIT-HF-Studie zu überweisen, die sich genau auf diese Patienten konzentriert und in deren Rahmen Digitoxin verfügbar ist. Generell gilt es bei diesen Patienten, die Herzinsuffizienz-Kombinationstherapie aus Betablocker, ACE-Hemmer/ARNI, Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist und SGLT-2-Hemmer auszureizen. Zusätzlich kann bei Zustand nach Dekompensation der Stimulator der löslichen Guanylatzyklase Vericiguat eingesetzt werden. An invasiven Optionen steht hier primär die kardiale Resynchronisationstherapie zur Verfügung, sofern es nicht ohnehin in Richtung Herztransplantation oder Assist Device geht.
Ist Digoxin eine Option, weil die Niere mitmacht, dann gibt es einige Dinge zu beachten, wenn Patienten umgestellt werden sollen. Digitoxin hat eine Halbwertszeit von etwa 7 Tagen. Es müsse deswegen eine Therapiepause von 2–3 Wochen eingehalten werden, bevor mit Digoxin begonnen werden kann, so die DGK. Wer ganz sichergehen will, bestimmt den Digitoxin-Spiegel und beginnt erst dann mit Digoxin, wenn er unterhalb der therapeutischen Spanne von 8–18 ng/ml (10,5–23,6 nmol/l) liegt.
Bei der Startdosis von Digoxin kann die zuletzt eingenommene Digitoxin-Dosis Orientierung geben. Bei Patienten, die maximal 0,07 mg/Tag Digitoxin eingenommen haben, empfiehl die DGK eine Digoxin-Startdosis von 0,1 mg/d. Wer 0,1 mg/Tag Digitoxin eingenommen hat, bei dem kann mit Digoxin 0,2 mg/Tag gestartet werden. Die Digoxin-Spiegelkontrolle erfolgt nach 7–10 Tagen, der Zielspiegel liegt bei 0,5–0,9 ng/ml bzw. 0,65–1,15 nmol/l.
Spiegelmessungen sollten generell 7–10 Tage nach jeder Dosisänderung erfolgen. Bei Patienten mit einer GFR < 60 mg/min besteht Akkumulationsgefahr, es ist aber keine formale Kontraindikation. Die DGK empfiehlt in dieser Konstellation häufigere Spiegelmessungen. Liegt der Digoxin-Spiegel deutlich über dem Zielwert, muss die Gabe zunächst für 2 Tage bzw. bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz sogar bis zu 5 Tage pausiert werden.
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