Lauterbachs Gesetz zur Entlastung deutscher Kliniken ist auf den Weg gebracht. Es verspricht Hilfe für alle – aber es gibt Gegenwind. Für Wolfgang Kubicki hängt sogar die Zukunft des Gesundheitsministers am seidenen Faden.
Die Corona-Pandemie scheint so langsam überwunden. Experten sprechen bereits davon, dass die Lage endemisch ist. Heißt auch: Nun geht es für den Gesundheitsminister in die Sacharbeit abseits des akuten Krisenmanagements. Dass die Situation des deutschen Gesundheitswesens jede Menge Baustellen zu bewältigen hat, ist auch evident. Am Freitag zeigte Lauterbach nun seinen ersten großen Wurf. Sein Hilfs- bzw. Entlastungspaket gilt nun der Krankenhauspflege und wird mit nicht weniger als der „Revolution der Krankenhausplanung“ angekündigt.
Zentrales Element des Gesetzes ist es, das aktuelle System von „billig und Menge“ zu überwinden, denn man könne „im Krankenhaussektor nicht mit den gleichen Regeln vorgehen wie Lidl seine Lebensmittel verkauft“. Unter dem sehr anschaulichen Satz subsummiert der Minister die Vorhaben, das Pauschalen-System der DRGs aufzubrechen, Ambulantisierung- und Digitalisierung voranzutreiben und gleichzeitig die Pflege zu entlasten.
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Doch wie soll nun der Trick funktionieren, die gesamte Krankenhauslandschaft auf einen Schlag zufrieden zu stellen? Im Grunde sind es zwei Hasen, die der Minister dazu aus dem Hut zaubert. Der erste kleine Hase heißt „Pflegepersonalbemessung“ und soll ab 2025 bindend sein – eine Voraberprobung inklusive. Den Pflegeschlüssel zur Idealbesetzung einer Station soll dabei ein Instrument errechnen, das zuvor eigens entwickelt wurde.
Der Pfeffer, in dem der Hase sich bettet, ist auch schnell ausgemacht. Jens Baas, Vorstandschef der Techniker Krankenkasse konkretisiert: „Statt neuer Kolleginnen und Kollegen wird die geplante Pflegepersonalbemessung den Pflegekräften jede Menge zusätzlichen Bürokratieaufwand bescheren.“
Auch DKG-Chef Gerald Gaß stößt sich an anderer Stelle: „Der Minister sollte [aber] in dieser Situation das tun, was seine Aufgabe ist, nämlich die Pflegepersonaluntergrenzen in allen Abteilungen generell aufheben, um damit den Verantwortlichen in den Krankenhäusern wieder den Handlungsspielraum beim Personaleinsatz zu geben, den es in dieser schwierigen Lage braucht. Dazu reicht aber keine mündliche Aufforderung des Ministers an die Krankenkassen, die Prüfung zeitweise auszusetzen.“
Gleichzeitig fehlt es dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe allgemein zu sehr an Personal – ohne, dass hier eine Lösung in Aussicht ist: „Wenn wir nicht schnell grundlegende Reformen bekommen, kann man die pflegerische Versorgung in Deutschland nicht mehr aufrechterhalten“, sagte die Vorsitzende Christel Bienstein dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Laut Verband fehlen Deutschland zum aktuellen Zeitpunkt 200.000 Pflegekräfte.
Häschen Nummer zwei nennt sich „Krankenhaustagesbehandlung“ und schafft gleich zweierlei: Zum einen gibt es dem Pflegepersonal Freiraum und schafft Entlastung durch wegfallende stationäre Behandlungen. Zum anderen bietet es die Grundlage zu einer stärkeren Ambulantisierung und damit einem einheitlichen Vergütungssystem. On top sollen Krankenkassen und Krankenhäuser bis zum 31. März gemeinsam einen Katalog ambulant durchführbarer Operationen sowie eine entsprechende Vergütung festlegen. Wie dieser Mammutschritt mit Hasenfüßen nun wieder gelingt – ob Hybrid-DRG oder ein anderes Finanzierungssystem – erklärt Lauterbach am morgigen Dienstag, wenn er seine „große Krankenhausreform“ präsentiert.
Kritik an den neuen halb-ambulant, halb-stationären Behandlungen kommen seitens der Kassen. So kommentiert Baas das Vorhaben: „Die geplanten Tagesbehandlungen werden die Ambulantisierung kaum voranbringen, im Kern sind es weiterhin dieselben stationären Behandlungen. Von der gemeinsamen Selbstverwaltung wurde bereits ein vielversprechender Prozess rund um das ambulante Operieren auf den Weg gebracht. Diesen Prozess – und notwendige Strukturreformen – bremst das Gesetz eher aus."
Bleiben wir in der Tierwelt – denn der Minister hat auch eine Kuh vom Eis geholt. Der Name der Kuh: Pädiatrie und Geburtshilfe. Das Eis: Die Finanzierung von Kinderkliniken sowie die Vergütungsgrundlagen im pädiatrischen Bereich. Dass er sich hier besonders verpflichtet fühlte und Nachholbedarf sah, „das neue Gleichgewicht“ aus Ökonomie und Medizin zu etablieren, erklärt, weshalb der Fachbereich bereits im kommenden Jahr und damit relativ kurzfristig mit einem finanziellen Direktpaket bedacht wird.
Zur Linderung der „enormen Not“ der Kinderkliniken werden in den beiden kommenden Jahren 2023 und 2024 dazu jeweils 270 Millionen Euro zur Finanzierung der Pädiatrie entnommen werden. Finanziert wird das Ganze mit Liquiditätsreserven des Gesundheitsfonds. Gleiches gilt für Finanzierung der Geburtshilfe mit jeweils 108 Millionen Euro in 2023/2024. Auch werden Hebammen künftig zu 100 Prozent mit Pflegekräften gleichgestellt und ihre Arbeit vollständig erstattungsfähig werden.
Die Reaktionen von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin sieht trotz des längst überfälligen Vorstoßes den Weitblick in Gefahr: „Wir begrüßen sehr, dass die Kinder-PPR und intensivmedizinische Stationen im Gesetzentwurf durch Änderungsanträge berücksichtigt werden. Allerdings ist dies langfristig nur sinnvoll, wenn auch das benötigte Pflegepersonal für die Gesundheits- und Kinderkrankenpflege aufgebaut und ausgebildet wird“, so DGKJ-Generalsekretär PD Dr. Burkhard Rodeck.
Wesentlich drastischer fällt das Urteil in Sachen Direkthelfe von Seiten des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte aus: „In dieser Situation fällt dem Gesundheitsminister nichts anderes ein, als Eltern zu raten, Vorsorgeuntersuchungen für wenige Wochen zu verschieben, um Praxen in der Infektwelle zu entlasten. Weiterhin schlägt er vor, Personal aus Erwachsenenstationen auf Kinderstationen zu entsenden.[…] Ebenso absurd und gefährlich ist auch die Idee, Pflegende ohne Erfahrung auf Kinderstationen abzukommandieren und gleichzeitig die Personaluntergrenzen aufzuheben. Dadurch werden fachfremde Kräfte in Akkordarbeit schwer kranke Frühgeborene, Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche versorgen: ein Desaster!“, erklärt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ).
Dass der Minister sich letztlich an seinem ersten nicht-corona Werk messen lassen muss und auch für ihn persönlich mehr auf dem Spiel steht als die Praktikabilität des neuen Gesetzes, machen ihm Kollegen aus der eigenen Koalition sehr deutlich. FDP-Vize-Chef Wolfgang Kubicki wirft ihm unabhängig eines Erfolgs oder Miserfolgs öffentlich vor, dass er sein Ministerium nicht leiten könne und die SPD-Kollegen frustriert seien. „Ich gehe, ehrlich gesagt, nicht davon aus, dass Karl Lauterbach als Gesundheitsminister die ganze Legislaturperiode im Amt bleibt“, so Kubicki. Ob Lauterbach Stellung bezieht und wir nun mit einem Hahnenkampf bei der morgigen Konferenz den Zoo voll bekommen, bleibt abzuwarten.
Bildquelle: Annie Spratt, Unsplash