Die aktuelle Lage ist bekannt: Krankenhäuser bangen um ihre Existenz, Ärzte stehen vor dem Kollaps, Pfleger vor dem Burnout. Lauterbachs Finanzspritze soll jetzt das System retten.
Das deutsche Krankenhaussystem liegt im Sterben. Alle Seiten gehen an den Bedingungen und Begleitumständen zugrunde – von Hedgefonds und privaten Anleger, die gewinnbringend in lukrativen Regionen investieren, vielleicht einmal abgesehen.
Auch ein Blick auf die zu erwartende Entwicklung der 20er Jahre verstärkt die Sorge um den Kollaps des Systems. So steht zu erwarten, dass die Boomer-Generation, der ein Gros der aktuellen Ärzte angehört, in Rente geht und so vom Behandelnden zum Behandelten wird. Gleichzeitig öffnet sich die Schere zwischen medizintechnischem Fortschritt und ausbleibenden oder jedenfalls nicht ausreichenden Investitionen immer weiter.
Die Reanimation des Patienten Krankenhaus versucht Karl Lauterbach nun über eine umfassende Reform des gesamten Systems.
Die zentralen Lauterbachschen Instrumente zur Wiederbelebung heißen: Vorhaltekosten, Versorgungsebenen und das Ende der DRGs. Die Basis bildet eine neue Ausrichtung – hin zu mehr Qualität, weg von der Überökonomisierung im stationären Sektor.
Nach diesem Prinzip soll es künftig drei Arten bzw. Ebenen von Krankenhäusern geben, gestaffelt nach Versorgungsleistungen. Die erste Ebene bilden kleinere Kliniken, die deutschlandweit die Grund- und Notfallversorgung sicherstellen. Als integriert ambulant-stationäre Einrichtungen werden diese die Mindeststrukturqualität garantieren, ein akutpflegerisches System bereitstellen und eng mit den niedergelassenen Kollegen zusammenarbeiten.
Die zweite Ebene wird aus Krankenhäusern der Regel- oder Schwerpunktversorgung bestehen. Diese können sich unter anderem auf bestimmte Leistungen spezialisieren und sich dafür zertifizieren lassen. Auf Ebene drei werden Häuser der Maximalversorgung eingruppiert, wie beispielsweise Universitätskliniken.
In welcher Ebene sich die Krankenhäuser einsortieren, bleibt im Prinzip ihnen selbst überlassen – ein Teil der neuen Freiheit der Häuser. Auch bleibt ihnen freigestellt, ob und für welche Leistungen sie sich zertifizieren lassen wollen, welche Schwerpunktleistungen sie anbieten oder ob bauliche Änderungen – wie auch Zusammenschlüsse – stattfinden sollen, respektive: müssen. Auch soll das Ganze kein starres System sein. Kliniken können mit einem Level-up oder Downgrade die Stufe wechseln.
Die zweite Säule des neuen Systems kann man als Institutionalisierung des Credos „medizinische Expertise vor ökonomischem Anreiz“ lesen. Sie ist fest verbunden mit den neuen Klinik-Leveln und soll gewährleisten, dass Patienten in Fachzentren eine Fachbehandlung erhalten. Die Expertenkommission der Bundesregierung hat dazu bereits 128 Leistungen formuliert, die das Ende des medizinischen Gemischtwarenladens bedeuten. So soll es laut Tom Bschor, Kommissionschef des eingesetzten Expertengremiums, nicht mehr dazu kommen, dass beispielsweise eine kleine Abteilung der Inneren Medizin mit schlechter Ausstattung komplexe Krebsbehandlung durchführt und abrechnet.
Mit der Möglichkeit zur ständigen Erweiterung der Leistungen zeigen die Fachleute, dass ihnen die künftige Flexibilität der Kliniken durchaus wichtig ist. „Krankenhäuser profitieren auch davon, dass sie die Leistungsgruppen tauschen“, bestätigt Bschor und kommt damit gleichzeitig auf die künftige Finanzierung zu sprechen. Denn um so eher Standorte gebündelt und Fachzentren zusammengelegt werden, um so weniger Kliniken müssen sich die künftig zu verteilenden Gelder teilen.
Worauf man in der Klinikwelt wohl am sehnlichsten gewartet hat, ist die Beantwortung der Frage zu einem neuen Finanzierungsmodell der Häuser. Die Antwort heißt: Vorhaltekosten. Wie man sich das vorstellen kann, veranschaulicht Kommissionsmitglied Prof. Christian Karagiannidis, der die künftige Krankenhausstruktur mit der Feuerwehr vergleicht, die deutschlandweit auf Abruf stehe, um Menschenleben zu retten und sich auch nicht je nach Fall und Brand bezahlen lasse.
Doch ganz so simpel ist es natürlich nicht – zumal Lauterbach nicht gänzlich auf Vorhaltekosten setzt bzw. keine Mehrheit dafür zustande bekam, das DRG-System ganz zu Grabe zu tragen. Entsprechen wird in Zukunft auf einen Hybrid aus Vorhaltung und DRGs gesetzt. Auch hier orientiert sich die Regelung an den neuen Krankenhausklassen. So sind für die kleineren Kliniken mit akutpflegerischem Schwerpunkt (Level Ii) ausschließlich sachgerecht kalkulierte degressive Tagespauschalen als Abrechnungsgrundlage vorgesehen. Ergänzend dazu werden dort die Leistungen für Ärzte mit eigener KV-Zulassung nach EBM abgerechnet.
Quelle: Bundesgesundheitsministerium
Für die Krankenhäuser der Level In, II und III gliedert sich die Vergütung in eine fallmengenunabhängige und eine fallmengenabhängige Komponente. Während die fallmengenunabhängige Vergütung sich ebenfalls an dem Vorhalte- sowie Pflegebudget orientiert, berechnet sich der fallmengenabhängige Part durch die noch zu reduzierenden DRGs.
Wie hoch letztlich das Vorhaltebudget tatsächlich ist und welche Leistungsgruppe wie bedacht wird, soll nach einer im kommenden Jahr zu startenden Konvergenzphase aus den Parametern Bevölkerungsbezug, Prozess- und Ergebnisqualität und Fallmenge ermittelt werden. Fest steht, dass nicht mehr Geld als heute ohnehin vorgesehen einfließt und damit letztlich das vorhandene Gesamtbudget lediglich umverteilt wird.
Genau an diesem Punkt setzt die Kritik von Krankenhausseite an: „Die grundsätzlich richtigen Gedanken der Kommission basieren aber auf einer falschen Grundprämisse. Die Reform soll nach Vorstellung der Kommission die aktuellen Mittel nur umverteilen. Basis sind die Zahlen aus dem Jahr 2021. Damit basiert die Finanzreform aber bereits auf einer strukturellen Unterfinanzierung und ist damit im Prinzip schon zu Beginn zum Scheitern verurteilt“, erklärt DKG-Vorstandsvorsitzender Dr. Gerald Gaß.
Flankiert werden die drei zentralen Punkte von einer Reihe weiterer Maßnahmen und Änderungen, die das System als solches optimieren sollen (wir berichteten). Auch sollen Krankenhäuser künftig verpflichtet werden, an ein zentrales Register zu melden, wie Belegung und Bedarf sind, um verlässliche Zahlen zur Auslastung und anderen statistischen Größen zu ermitteln. Zudem soll mit Blick auf Klinik-Zusammenlegungen und bauliche Veränderungen stärker auf das Konzept des Green Hospital Rücksicht genommen werden.
Was man bis hierhin festhalten kann: Ja, Lauterbach hat nicht das Ende der DRGs, wie einst angesagt, durchgesetzt. Dennoch herrscht vielerorts Einigkeit, dass die Überlegungen in die richtige Richtung gehen und man mit etwas Nachsteuern tatsächlich einen revolutionären Weg gehen könne. Dass ähnliche Konzepte der Leistungsgruppenorientierung bereits in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen etabliert wurden, mag als Vorweg-Bestätigung gelten.
Es wäre nicht Politik, wenn man sich nicht trotz guter Vorschläge an irgendetwas stört. Und was trifft da besser als die Keule der Verstaatlichung, die die immerwährend historische Angst vor der Berliner Bevormundung erzeugt? Kein Wunder, dass der lauteste Protest von Antagonisten aka. Gesundheitsminister Klaus Holetschek, Bayern, kommt: „Die Planungen greifen unzumutbar in die Krankenhausplanungskompetenz der Länder ein.“ Auch sieht er in dem Vorschlag der Kommission „ein zentral gesteuertes, quasi-planwirtschaftliches und hochtheoretisches System.“ Dass der Bundesminister bestätigte, dass Bedarf und Planung in Länderhand verblieben, die Frage nach Investitionen noch geklärt werden müsse und auch das Gesamtkonzept noch in der Länderrunde am 5. Januar besprochen wird, scheint da nebensächlich.
Das Thema Investitionen ist tatsächlich besonders heikel – weil hier die Bundesländer am Zug wären, ihren Verpflichtungen aber seit Jahren nicht nachkommen. Einen Vorschlag zur Lösung des Problems gibt es, aber der kostet Geld. Gaß: „Die unzureichende Investitionsförderung ist eine der Hauptursachen für die angespannte wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser und die knappe Personaldecke. Wir haben deshalb ein Anreizsystem vorgeschlagen, das jene Länder durch Kofinanzierungen des Bundes belohnt, die Investitionsmittel in einer Höhe zur Verfügung stellen, die dem tatsächlichen Investitionsbedarf nahekommt.“
Nun wurde die DKG in die Krankenhaus-Revolution bisher nicht eingebunden, andere Verbände – von Lauterbach pauschal „Lobbygruppen“ genannt – auch nicht. Etwas Gegenwind darf also nicht verwundern. Aber die Verbände sind im Moment ohnehin zweitrangig. Entscheidender ist zunächst einmal die Bund-Länder-Sitzung im Januar, denn ohne die Bundesländer und damit ohne die CDU/CSU wird es keine Revolution geben. Die Gefahr ist, dass es am Ende eher bei einem Revolutiönchen bleibt, bei dem zwar Geld vom DRG-Topf in den Vorhaltetopf verschoben wird, das eigentlich Innovative des Konzepts, der strukturelle Umbau der Versorgungslandschaft, aber auf der Strecke bleibt. Gefragt sind jetzt politische Umsetzungskunst und die Fähigkeit, über Gräben hinweg einen Konsens zu schmieden.
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