Ein Arzt wird nicht krank – das denken viele, auch wir Ärzte selbst. So helfen wir bei Burnout, aber Burnout-Hilfe für uns gibt es nicht. Von meiner verzweifelten Suche nach einem Rettungsanker.
Es fängt ganz langsam an: zu volle Ambulanz, zu viele neue Patienten auf Station, zu langes Routineprogramm für die anwesenden Ärzte und Pflegekräfte. Trotzdem wird alles darangesetzt, alle Patienten zu sehen, zu untersuchen, zu betreuen. Weil wir dafür da sind. So arbeiten Ärzte und Pflege in diesen Krisenzeiten noch enger zusammen. Nicht selten werden Kollegen zu Freunden – man verbringt immerhin den Großteil des Tages miteinander. Einsicht von Vorgesetzten oder gar dem Chef ist nicht gegeben. Zu schwierig sind die Zeiten, in der es um Finanzierung, Fallpauschalen und Behandlungsprämien geht.
Und so reiht sich Tag um Tag aneinander, an dem Patienten immer notdürftiger behandelt werden und man selbst immer mehr die Hoffnung verliert. Aufrecht gehalten vom Verantwortungsgefühl, dass, wenn man nicht mehr zum Dienst erscheint, die Kollegen noch mehr arbeiten müssen und die Patienten noch schlechter versorgt werden. Man steht morgens auf, obwohl einem alles weh tut. Trinkt mehr Kaffee, um halbwegs wach zu werden. Nimmt etwas gegen die Schmerzen.
Keine Pause bei der Arbeit. Man isst und trinkt am späten Nachmittag das erste Mal – wenn überhaupt. Der Körper will das nicht, man spürt die Symptome und man ignoriert es. Der Stress betäubt und so schleppt man sich nach Hause: müde. Geistig wie körperlich. Nur noch der Wunsch nach Ruhe und Schlaf. Aber der Schlaf bringt keine Erholung mehr. Dunkle Gedanken, dass man nicht mehr kann und dass man das alles beenden muss, erscheinen im Bewusstsein. Und dann ist der Schicksalstag da.
Es reicht meist ein kleiner Auslöser. Etwa eine Auseinandersetzung mit dem Vorgesetzten, eine Erkältung, ein Streit mit dem Partner. Und dann geht auf einmal nichts mehr. Der Körper streikt, der Geist streikt. Man ist gefangen in einem schwarzen Loch, kann sich kaum noch bewegen, schafft es nicht mehr, aus dem Bett aufzustehen. „Aber man ist doch Arzt“ oder „Man muss doch“ – aber man kann nicht mehr. Und dann wird es einem bewusst: Man steckt bis zum Hals im Burnout. Diese Erkenntnis wiegt schwer. Die tiefe Einsicht ist fast unmöglich. Obwohl man es weiß, ist man gefangen im Verantwortungsgefühl und seinen eigenen Vorstellungen. In diesem Moment zu realisieren, dass man Hilfe braucht, ist der erste Schritt. Vielleicht das erste Mal im Leben.
Und so beginnt man mit der Suche. Die Suchanfrage „Burnout Hilfe für Ärzte“ ergibt zahlreiche Treffer, aber keine Hilfe für Ärzte. Ein Anruf bei der zuständigen Ärztekammer, allerdings nur bei der Beratungsstelle für suchterkrankte Ärzte. Man nimmt sich Zeit in dem Telefonat, aber Hilfe gäbe es im Speziellen nicht. Auch wenn dies dringlich notwendig sei, wie versichert wird. Es findet sich schließlich eine Hotline für Burnout-betroffene Ärztinnen einer Interessensvertretung. Auf der Homepage wird deutlich hervorgehoben, dass die Beratung nur für die weiblichen Mitglieder sei. Ein Anruf, in dem die Situation geschildert und auch signalisiert wird, dass ein Eintritt in die Interessensvertretung möglich sei. Man möge das Problem und den Sachverhalt per Mail schildern. Die E-Mail bleibt unbeantwortet. Und so geht die Suche weiter.
Es findet sich in älteren Suchergebnissen ein Artikel, in dem zur Vereinigung psychotherapeutisch tätiger Kassenärzte eine Service-Telefonnummer angegeben wird. Ein ernüchternder Anruf und eine Belehrung darüber, dass man keine Beratungsstelle sei und man auf der anderen Seite des Hörers nicht nachvollziehen könne, warum so viele Ärzte in der letzten Zeit diese Telefonnummer wählen würden. Hilfe gäbe es hier keine. Auch die Ärztegewerkschaft bietet diese nicht. Allenfalls im Landesverband Bayern finden sich dazu Seminare, das letzte war 2018.
Und so fragt man sich, warum Ärzte, deren Burnout-Häufigkeit direkt hinter der Berufsgruppe der Pädagogen rangiert, sich so schwertun, die Diagnose des Ausgebranntseins für sich – aber scheinbar auch von Kollegen – zu akzeptieren. Vielmehr wirkt es so, dass, wie auch bei anderen Erkrankungen, immer noch der Leitsatz gilt: „Als Arzt wird man nicht krank.“ Und wenn doch, dann bitte im Geheimen. Außerdem hat man ja die fachliche Voraussetzung und weiß, welche Schritte notwendig sind.
Diese Schritte zu gehen und sich Hilfe zu holen, ist für einen an Burnout oder Depression Erkrankten schon nicht einfach. Für jemanden, dessen Lebensaufgabe es ist, stets Schaden von Anderen abzuwenden, noch schwieriger. Es mag nicht überraschen, dass die Suizidrate bei Ärzten am höchsten ist. Dieser Text ist keine Anklage gegenüber den genannten Vereinigungen, Interessensverbänden, der Ärztekammer oder der Gewerkschaft. Er soll aber wachrütteln. Wir als Ärzte sollten uns und unseren Kollegen gegenüber Verständnis und Fürsorge walten lassen. Das Etablieren einer Anlaufstelle für Prävention und Hilfsangebote für von Burnout und Depression betroffenen Ärzten wäre aus Sicht einer Betroffenen ein Schritt zu mehr (Selbst-)Akzeptanz.
Der Autor des Textes ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.
Bildquelle: Pat Whelen, Unsplash