Zwangsstörungen in nur vier Tagen einfach wegtherapieren: Das klingt zu schön, um wahr zu sein? In Deutschland könnte das bald Realität werden.
Zwangsstörungen sind mit rund 2,3 Millionen Betroffenen die vierthäufigste psychische Erkrankung in Deutschland. Die Behandlungsraten sind gering und oft vergehen Jahre, bis Patienten eine Therapie in Anspruch nehmen – auch die Diagnose wird häufig nicht gestellt. Das führt dazu, dass eigentlich gut wirksame Therapien und Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden. „Oft vergehen 7–10 Jahre, bis Patienten mit Zwangsstörungen eine adäquate Behandlung erhalten. Und selbst wenn sie dann einen Therapieplatz bekommen, ist die Behandlung auf maximal 3 Stunden pro Woche begrenzt. Alles, was über diese Frequenz hinausgeht, muss umständlich extra beantragt werden. Gerade bei Zwangsstörungen sollte aber eine intensive Behandlung in einem kurzen Zeitraum erfolgen“, erklärt Psychotherapeut Dr. Ahmed El-Kordi.
Ein kompaktes Behandlungsmodell soll genau diese Eigenschaften erfüllen. Das Bergen 4-Day-Treatment (B4DT) hat in seiner norwegischen Heimat gute Ergebnisse erzielt und soll nun auch in Deutschland umgesetzt werden, um den geringen Behandlungsraten mit Kürze entgegenzuwirken. Den Anfang macht das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, an dem die Kompaktbehandlung gegen Zwangsstörungen aktuell erforscht und auch umgesetzt wird.
In Norwegen wurden bisher bereits über 5.000 Patienten mittels der viertägigen Therapie behandelt. Die Ergebnisse sind gut: Eine Studie untersuchte 77 Patienten mit Zwangsstörungen. Sie wurden gemäß dem Bergen 4-Day-Treatment behandelt und mit der Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS) vor und nach der Behandlung sowie bei Nachuntersuchungen nach drei und sechs Monaten sowie vier Jahren nach der Behandlung bewertet. Der Mittelwert der Y-BOCS veränderte sich von 25,9 vor der Behandlung auf 10,0 nach der Behandlung und 9,9 bei der langfristigen Nachuntersuchung.
In einem Follow-Up zeigt sich, dass die Remissionsrate auch vier Jahre nach der Behandlung (initial 73 %) immer noch bei 69 % liegt. „Berücksichtigt man die Rückfallquote, die Abbruchquote, die Remission, den Rückfall und die weitere Verbesserung während des Nachbeobachtungszeitraums, so wurden 72 % langfristig geheilt“, heißt es in der Studie.
„Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) stellt das am besten untersuchte Psychotherapieverfahren der Zwangsstörung dar und zeigte sehr hohe Effektstärken. Die störungsspezifische KVT, einschließlich Exposition und Reaktionsmanagement, ist daher die Psychotherapie der ersten Wahl“, heißt es in der S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Zwangsstörung. Auch das Bergen 4-Day-Treatment basiert auf diesem Ansatz.
Die norwegische Kompakttherapie findet in Gruppen mit 3–6 Teilnehmern bei einem Patienten-Therapeuten-Schlüssel von 1:1 statt. Am ersten Tag stehen im norwegischen Vorbildkonzept 3 Stunden Psychoedukation und Vorbereitung der individuellen Expositionsaufnahmen auf dem Programm. Tag zwei und drei sind dem individuellen Expositionstraining gewidmet. Am dritten Tag werden auch Familien und Freunde zu einem psychoedukativen Treffen geladen. Der vierte Tag dient der Zusammenfassung der gelernten Lektionen und der Vorbereitung auf die nächsten 3 Wochen des selbstverordneten Expositionstrainings.
„Das Hauptmerkmal unserer 4-tägigen Intervention ist es, den Patienten beizubringen, sich dem zu nähern, was die entsprechenden Ängste auslöst und ihnen zu helfen, systematisch zu lernen, wie sie sich in die Angst hineinversetzen können (LET-Technik), anstatt die Situationen offensichtlich oder subtil zu vermeiden“, erklären die Studienautoren. „Diese Herangehensweise ist eigentlich keine neue methodische Erfindung – trotzdem ist sie natürlich innovativ. Man muss im Rahmen dieser störungsspezifischen Behandlung viel Zeit investieren. Deswegen sind solche Blockverfahren interessant. Auch die ambulante Versorgung könnte von einer Option, Therapiesitzungen zu bündeln, profitieren“, so Dr. El-Kordi.
Auch in Hamburg wird aktuell das Kompaktmodell unter denselben Bedingungen angewandt. Nach der notwendigen Vorbereitung werden auch hier die Patienten – unter individueller Betreuung – Expositionsübungen ausgesetzt. Besonderes Augenmerkt liegt darauf, das Sicherheits- und Vermeidungsverhalten ihrer Zwangsstörung zu erkennen. „Die Türklinke in einem öffentlichen Gebäude anzufassen, ist nur der Anfang. Viel wichtiger ist, gemeinsam zu erkunden, ob das ,Diktat des Zwanges‘ vollständig abgelegt werden kann. Es geht darum, sich die Kontrolle über das eigene Leben zurückzuholen“, erklärt Studienleiterin Prof. Lena Jelinek. Deswegen werden im Rahmen der Behandlung die Patienten auch in ihren persönlichen Umfeldern, wie zu Hause oder am Arbeitsplatz, auf die dortigen Umstände vorbereitet.
„Solche Blocktherapien könnten nicht nur aus therapeutischer Sicht, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich sein. Ich würde mir wünschen, solche Konzepte auch in der ambulanten Behandlung umsetzbar zu machen. Das bräuchte aber eine Anpassung der gesetzlichen und politischen Entscheidungen. Ebenfalls müsste die Psychotherapie-Leitlinie angepasst werden und sollte solche empirischen Erkenntnisse aufnehmen. Mache Krankheitsbilder, so auch Zwangsstörungen, bräuchten störungsspezifische Kontingente. Es würde bereits helfen, wenn die verordneten Therapiestunden in Blockeinheiten von 2–3 Stunden mehrmals die Woche gestaltet werden könnten, anstatt auf 3 Stunden pro Woche begrenzt zu sein“, so El-Kordi.
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